Künftiger Philharmoniechef stützt Putin: Ziemlich falsche Freunde

Valery Gergiev ist der zukünftige Chef der Münchner Philharmoniker. Dass er demonstrativ Putins Krimpolitik unterstützt, sorgt allerdings für Ärger.

Kein Distanzieren, sondern Dirigieren: Valery Gergiev steht zu Putin. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Eigentlich wollte er die forsche Frage des Agenturjournalisten gar nicht beantworten. Was das mit seiner Kunst zu tun habe, wollte Kirill Petrenko wissen, der neue, vom Publikum vergötterte Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper. Doch dann sagte er doch das, was die Öffentlichkeit von ihm erwartete. Es sei „alles andere als normal“, was dort, auf der Krim derzeit passiere; er hoffe auf eine „politische Lösung, die die Souveränität der Ukraine nicht antastet“.

Petrenko ist Russe. Im Orchestergraben des Münchner Nationaltheaters eilt er in seiner ersten Saison von Erfolg zu Erfolg. Jüngst leitete er die Wiederaufnahme von Modest Mussorgskys finsteren Zarendrama „Boris Godunow“. Die ein Jahr alte Schockinszenierung des für seine drastischen Regieeinfälle ebenso berühmten wie berüchtigten Spaniers Calixto Bieito zeigt gleich zu Beginn demonstrierende Menschenmassen, die von martialischen Sicherheitskräften zusammengeknüppelt werden. Als einer der Demonstranten ein Putinkonterfei in die Höhe hält, geht ein Raunen durchs Publikum. Wohl niemand, der da nicht an den Kiewer Maidan dachte, an die Krim, an Moskau.

Ein Satz, wie Petrenko ihn sich abrang, wäre einem Mann wie Valery Gergiev nicht über die Lippen gegangen. Im Gegenteil. Der designierte Chef der Münchner Philharmoniker, Russe auch er, lässt sich lieber von Zarendarsteller Putin Orden an die Brust heften und wirkt auf entsprechenden Fotos so, als sei er wirklich stolz auf das Blech aus der Hand des Despoten. Vor zwei Wochen unterschrieb er in der russischen Zeitung Iswestija einen Unterstützerappell für Putins aggressives Vorgehen auf der Krim.

Die Nachricht, dass Gergievs Name auf der Liste zusammen mit siebzig anderen patriotisch gesinnten Künstlern steht, fand sogleich ihren Weg nach München. Seither wird nicht nur in den Lokalzeitungen darüber debattiert, ob Gergiev noch der richtige ist (oder jemals war) für die angeblich bestbezahlte Position, die die bayerische Landeshauptstadt zu vergeben hat. Kiew ist übrigens, pikant, pikant, eine der Partnerstädte von München.

Vorwürfe wegen Homophobie

Es ist nicht die erste Krise, in die Gergiev die Münchner Philharmoniker gestürzt hat, bevor er sein Amt überhaupt offiziell antritt. Im vergangenen Dezember protestierte die Münchner schwullesbische Szene gegen den langjährigen Chef des St. Petersburger Mariinski-Theaters und international omnipräsenten Dirigenten, weil er in einem Interview, wie so oft in homophoben Kreisen, Schwule und Kinderschänder in einen Topf geworfen hatte.

Auf einer denkwürdigen Pressekonferenz im Münchner Gasteig, wo er von Journalisten regelrecht gegrillt wurde, distanzierte er sich nur halbherzig von dieser Äußerung und Putins Menschen verachtenden Antischwulengesetzen. Seine Einlassung, Kinder sollten sich lieber mit Puschkin und Tschaikowsky beschäftigen als mit den Rechten und Bedürfnissen sexueller Minderheiten, sprach Bände.

Gergiev hat aus seiner Nähe zu Putin und dessen autokratischem System nie einen Hehl gemacht. Natürlich beehrte er auch die Eröffnungsgala der Olympischen Winterspielen in Sotschi mit seiner Anwesenheit.

Das offizielle München schweigt vielsagend angesichts der neuerlichen Vorwürfe. Man wolle die private politische Meinung Gergievs nicht kommentieren, lautet die Sprachregelung bei den Philharmonikern und im Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Die Sprecherin von Kulturreferent Hans-Georg Küppers (SPD) wies vorsichtshalber darauf hin, wie wichtig ihrem Chef die Meinungsfreiheit sei.

Trotzdem steht ein Wunsch der Stadtrats-Grünen nach einer Aussprache zwischen Küppers und Gergiev im Raum. Gergiev müsse sich „erklären“, fordern die Grünen. Wenn er sein Vorgehen unverändert für richtig halte, „ist er als Chefdirigent unserer Philharmoniker untragbar geworden“.

Gergiev handelt aus Überzeugung

Wie umgehen mit dem Mann? Wie umgehen mit der immergleichen Frage, ob oder wie die Sphären von „hehrer“ Kunst und „schmutziger“ Politik zu trennen sind. Klar ist, die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Klar ist auch, dass man die Billigung von Menschenrechtsverletzungen nicht hinnehmen darf und kann.

Gergiev, so viel ist sicher, handelt aus tiefer innerer Überzeugung. Er dürfte wirklich restlos davon überzeugt sein, dass sein Mentor und Gönner Putin im Sinne Russlands und zum Wohl des russischen Volkes handelt. Aber muss man sich deshalb immer wieder so demonstrativ aus dem Fenster lehnen?

Auch andere Dirigenten, wie der in jüngeren Jahren so schneidig-konservativ argumentierende Christian Thielemann, waren ob ihrer politischen Haltung umstritten. Thielemann hat rechtzeitig die Kurve gekriegt und spricht jetzt meist nur noch über das, von dem er nachgewiesenermaßen am meisten versteht: von der Musik.

Das würde man Gergiev auch wünschen. In München ist er ein designierter Chefdirigent auf Bewährung. Noch einen Fauxpas wird sich der Putinverehrer nicht leisten können, egal wie toll er Schostakowitsch, Strawinsky und Tschaikowsky dirigiert.

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