Kritik an Volt-Partei: Mitglieder werfen Vorstand undemokratisches Verhalten vor
Die Partei Volt will besonders demokratisch und transparent sein. Nun gibt es intern Kritik an der Auswahl der Spitzenkandidatin Maral Koohestanian.
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Volt war das große Versprechen bei der Europawahl. Fünf Sitze holte die junge Partei, besonders gut schnitt sie in Großstädten ab. Volt wirbt mit dem Anspruch, Politik anders machen zu wollen, transparenter.
Doch im Bundestagswahlkampf läuft es nicht gut. Die Partei wollte den Sprung ins Parlament schaffen, dies scheint wenige Tage vor der Wahl unrealistisch zu sein. Der Wahlkampf ist blass und inhaltsleer, auf Plakaten sieht man nur die Spitzenkandidatin, Maral Koohestanian. Die fiel im Wahlkampf nur auf mit einem Auftritt im Video-Podcast des Journalisten Tilo Jung, bei dem sie Fragen nach dem eigenen Parteiprogramm nicht beantworten konnte.
Und nun gibt es auch interne Kritik, die nicht zum Anspruch von Volt passt, Politik transparent und anders zu machen. Der taz liegen Screenshots aus interner Kommunikation der Partei vor.
Außerdem hat die taz mit mehreren Volt-Mitgliedern gesprochen, die dem Bundesvorstand undemokratisches und intransparentes Verhalten vorwerfen – vor allem die Aufstellung der Spitzenkandidatin Maral Koohestanian steht in der Kritik. An der Person stören sich die Mitglieder nicht, wohl aber daran, wie sie zu ihrer Rolle gekommen sein soll.
Vorwurf der Scheinwahl
„Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich fühle mich bezüglich des Verfahrens um die Spitzenkandidatin verarscht“, schreibt ein Volt-Mitglied in einem parteiinternen Portal.
Das Mitglied vermutet, die Entscheidung, Koohestanian zur Spitzenkandidatin zu machen, sei schon im Vorfeld der internen Abstimmung der Spitzenkandidatin gefallen, der „Rest“ – die kurze Bewerbungsphase – diene nur zur demokratischen Legitimation. Koohestanian sei schon vor der Abstimmung parteintern durch den Bundesvorstand besonders beworben worden.
Vom 14. bis zum 17. November hatten ausschließlich FLINTA-Mitglieder die Möglichkeit, sich auf die Position zu bewerben. Das begründete die Partei damit, dass „Frauen im Bundestag immer noch unterrepräsentiert“ sind. Dieses Kriterium stellt auch für die Mitglieder, die Kritik am Vorgehen üben, kein Problem dar.
Spitzenkandidatin ohne Konkurrenz?
Es gab aber weitere Kritierien: Wie aus internen Dokumenten hervorgeht, war neben einer Person mit „rhetorischem Talent“ und Amtserfahrung auch die Repräsentation von marginalisierten Gruppen, etwa durch einen Migrationshintergrund, gewünscht. Außerdem solle die Kandidatin bereits über Sichtbarkeit und Reichweite verfügen.
Mehrere Mitglieder kritisieren, alle Kriterien zusammengenommen, sei die Wahl auf Koohestanian zugeschnitten gewesen und habe anderen möglichen Kandidatinnen kaum eine Chance gelassen.
„Es wurden mehrere Kandidatinnen zur Wahl gestellt“, sagt dagegen Parteigründer und Volt-Abgeordneter im EU-Parlament, Damian Boeselager. „Bei Spitzenkandidaturen gibt es nicht die gleichen demokratischen Ansprüche wie etwa bei Parteiprogrammen oder Listenaufstellungen. Der Vorstand hätte keine weiteren Kandidatinnen zur Wahl stellen müssen“.
Lediglich zwei Personen bewarben sich letztlich auf die Spitzenkandidatur. Die vom Parteivorstand festgelegten Kriterien erfüllte die Mitbewerberin nicht, wie aus den Bewerbungsschreiben hervorgeht, die der taz ebenfalls vorliegen. Bei der anschließenden Online-Abstimmung gewann Koohestanian. „Es wirkt, als wäre die Person entschieden und es wurde sich ein Legitimationsprozess ausgedacht, um das Ergebnis herbeizuführen, das man haben will“, schreibt ein Mitglied im internen Parteiportal.
Unzufriedenheit gehöre nunmal dazu
„Mein Hauptproblem ist das Vorspielen eines demokratischen Prozesses, den es am Ende gar nicht gibt“, ein anderes. Noch jemand: „So eine Fiktiv-Abstimmung; geht gar nicht“. Ein anderes Parteimitglied geht noch weiter: „Der Prozess, der jetzt läuft, entspricht in seiner demokratischen Legitimierung dem der freien Wahlen in der DDR und anderen pseudodemokratischen, autoritären Systemen. Das können wir nicht ernsthaft wollen“.
Parteigründer Boeselager hält die Aufregung für übertrieben: „Die Entscheidungen wurden von einem gewählten Bundesvorstand getroffen. Manchmal vergisst man, dass wir als Partei erst acht Jahre alt sind. Natürlich gibt es da auch mal Unzufriedenheit, gerade im Wahlkampf. Und wir haben mittlerweile 9.000 Mitglieder. Ich weiß nicht, wie relevant diese Kritik ist. Wenn man unzufrieden mit dem Bundesvorstand ist, kann man ihm beim nächsten mal auch wieder abwählen“.
Ein Mitglied hält gegenüber der taz dagegen: „Sie können davon ausgehen, dass ein Drittel der Mitglieder nicht hinter Maral Koohestanian steht“. Überprüfen lässt sich das nicht.
Jedoch teilen nicht alle, die das Verfahren um die Spitzenkandidatur beanstanden, die Schärfe der Kritik: „Der Auswahlprozess der bundesweiten Spitzenkandidatur ist angesichts knapper Fristen nicht so basisdemokratisch ausgefallen, wie bei Volt üblich. Dass ein Bundesvorstand über solche Prozesse entscheidet, ist aber völlig normal, genauso wie die Kritik an den Entscheidungen“, heißt es aus Parteikreisen.
Ein Schlag für den Parteizusammenhalt
Ob die Art und Weise des Verfahrens einen Einfluss auf das Ergebnis hatte, ist nicht für alle klar: „Ich gehe davon aus, dass Koohestanian auch gewonnen hätte, wenn die Wahl ordentlich abgelaufen wäre“, verrät ein Mitglied. Dennoch habe die Stimmung in der Partei Kratzer bekommen: „Das Gefühl, das hier zurückbleibt, ist, mit Verlaub, verarscht zu werden“. Das Gefühl, die eigene Stimme habe keinen Einfluss, habe einst zur Gründung von Volt geführt.
Rechtlich ist das Vorgehen der Parteiführung vollkommen in Ordnung. „Es zeigt aber, dass der Bundesvorstand nicht verstanden hat, wie wichtig das Basisdemokratische großen Teilen der Partei ist“, sagt ein Mitglied. Ob sie die Kritik der Mitglieder nachvollziehen könne, ließ die Parteiführung unbeantwortet.
Die Bewerberinnen seien einer offenen Online-Wahl gegeneinander angetreten und der Prozess habe eine „transparente und partizipative Auswahl“ gewährleistet, sagte Volt der taz. Maral Koohestanian äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu den Vorwürfen.
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