Kritik an Polizeieinsatz in Göttingen: „Schmerzgriffe, Schläge, Tritte“
Bei einem Corona-„Spaziergang“ räumte die Polizei Gegendemonstrant:innen aus dem Weg. Die Aktivist:innen kritisieren das brutale Vorgehen.
Südniedersachsen gilt als ein Hotspot der Coronaleugner:innen-Bewegung. Vor allem montags gibt es in zahlreichen Orten der Region sogenannte „Spaziergänge“ von Querdenker:innen und Neonazis.
Wie in den vergangenen Wochen trafen sich auch am Montag in Göttingen annähernd 150 Menschen aus der Szene zu so einem „Spaziergang“. Statt wie in den vergangenen Wochen durch die Innenstadt, führte der Marsch dieses Mal durch das bürgerliche Ostviertel. Auch regionale Rechtsextremismus-Größen wie Tobias Haupt und der mehrfach vorbestrafte Jens Wilke vom – mittlerweile aufgelösten – „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ mischten sich nach übereinstimmenden Augenzeug:innenberichten unter die Teilnehmenden.
Das Bündnis gegen Verschwörungsmythen und Antisemitismus, das bereits in den vergangenen Wochen zu Protesten gegen die Coronaleugner:innen aufgerufen hatte, mobilisierte auch am Montag gut 150 Gegendemonstrant:innen, unter ihnen die „Omas gegen Rechts“ und Mitglieder von „Die Partei“. Mehrfach setzten sich Aktivist:innen auf die Straße und blockierten Kreuzungen, um den Aufzug der „Spaziergänger:innen“ zu stoppen.
Viviane Depping, Grüne Jugend Göttingen
„Als die Personen der ihnen erteilten beschränkenden Verfügung, die Straße zu räumen, nicht freiwillig nachkamen, mussten die Einsatzkräfte in letzter Konsequenz unmittelbaren Zwang in Form von Schieben/Abdrängen anwenden und die Gegenprotestler bis auf den Gehweg zurückzudrängen“, schildert die Göttinger Polizeisprecherin Jasmin Kaatz das dann folgende Geschehen. Auch um später weitere Blockaden aufzulösen, hätten die Beamt:innen „die blockierenden Personen von der Straße drängen oder schieben“ müssen.
In der Darstellung des Bündnisses liest sich das völlig anders. Demnach hat die Polizei die Antifaschist:innen „zwei Stunden lang durch das Ostviertel“ gejagt. Trotzdem seien diese an mehreren Stellen erfolgreich auf die Route gelangt, um die Querdenker:innen friedlich zu blockieren. Dabei seien die Blockaden „jeweils auf brutale Art geräumt“ worden. Die Beamt:innen hätten Schmerzgriffe, Schläge und Tritte eingesetzt. Auch sei mindestens eine Person in Handschellen abgeführt worden.
Die Polizei hat diese Festnahme bestätigt. Gegen den Mann sei ein Ermittlungsverfahren wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet worden.
Dem Bündnis zufolge waren die Gegendemonstrant:innen am Montag nicht nur zahlreichen Körperverletzungen, sondern auch verbalen Angriffen – „Verpiss’ dich, du Sau“ – und Gewaltandrohungen – „Ich schlag dir gleich in die Fresse“ – durch Polizist:innen ausgesetzt. Damit habe die Göttinger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) wieder mal gezeigt, „dass sie jede Gelegenheit nutzt, antifaschistischen Protest einzuschüchtern und brutal zu zerschlagen“. Die BFE ist wegen ihres oftmals ruppigen Vorgehens gegen linke Demonstrant:innen in der Stadt seit Jahren umstritten.
Auch die Göttinger Grünen zeigen sich „irritiert“ vom gewaltsamen Vorgehen der Polizei. „Bei allem Verständnis für den Druck, dem die Beamten ausgesetzt sind, verstehen wir nicht, warum die BFE mit martialischem Kriegsgebrüll auf den notwendigen und gerechtfertigten antifaschistischen Gegenprotest zustürmen muss“, sagt Hannah Rudolph vom Stadtvorstand der Göttinger Grünen. „Menschen wurden gegen parkende Autos geschubst, mit Schmerzgriffen malträtiert und sogar vom Fahrrad gestoßen.“ Es brauche dringend eine transparente Aufarbeitung dieses Einsatzes, so Rudolph.
Anzeige wegen Körperverletzung im Amt
Kritik kommt auch von der Grünen Jugend Göttingen, die das Vorgehen der Polizei als „äußerst gewaltsam und unverhältnismäßig“ verurteilt. Es brauche eine klare Positionierung gegen rechte Gruppierungen und Menschen, die die Demokratie angriffen. „Dafür muss ein Gegenprotest möglich sein, der ohne Angst vor gewaltsamen Übergriffen der Polizei ablaufen kann“, sagt deren Sprecherin Viviane Depping.
„Wir haben in den letzten Wochen beobachten können, dass die Polizei vor allem darauf fokussiert ist, die antifaschistischen Gegenproteste zu kriminalisieren“, beklagt Mira Dahl vom Bündnis gegen Verschwörungsmythen und Antisemitismus. Bisher seien die Gegenproteste in Göttingen sehr erfolgreich gewesen. Die Verschwörungsideolog:innen hätten in der Stadt nicht den Raum einnehmen können, den sie sich gewünscht hätten.
Vom Fahrrad gezerrt
Auch den Gegenprotest vom Montag halte das Bündnis ungeachtet der polizeilichen Übergriffe nicht für erfolglos: „Wir sehen, dass sich jede Woche Menschen zusammenschließen, um dem gefährlichen Schulterschluss aus Rechtsextremen, Esoteriker:innen und Impfgegner:innen solidarisch entgegenzutreten.“
Inzwischen hat eine Frau, die am Montag mit dem Fahrrad in Göttingen unterwegs war, mehrere der am Einsatz beteiligten Beamt:innen wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt angezeigt. Als ihr der Demozug der Coronaleugner:innen entgegenkam, seien die Polizist:innen plötzlich auf sie zugelaufen und hätten ihr das Rad entrissen. Daraufhin sei sie gestürzt und habe sich leicht verletzt. Nach Angaben von Sprecherin Kaatz hat die Polizeiinspektion Göttingen „sofort nach Eingang der Anzeige“ weitere Ermittlungen gegen die angezeigten Beamt:innen eingeleitet.
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