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Kritik an Forensic ArchitectureZweifelhafte Beweisbilder

Die Recherchegruppe Forensic Architecture untersucht Menschenrechtsverletzungen. Doch die Analysen haben Schlagseite – aktuell gegen Israel.

Infografiken suggerieren Wissenschaftlichkeit: Ausstellung mit Forensic Architecture in Mexiko-Stadt Foto: Luis Cortes/universalpix/imago

Um Menschenrechtsverletzungen oder Kriegsverbrechen mittels Open-Source-Investigationen unabhängig von staatlichen Interessen zu untersuchen, haben sich in den letzten Jahren zahlreiche Recherchenetzwerke gegründet. Zu den bekanntesten gehört Forensic Architecture. Seit 2010 setzt die am Gold­smiths, University of London situierte Rechercheagentur Aufnahmen aus sozialen Medien oder Satellitenbilder in 3-D-Simulationen ein. In Ermittlungsvideos werden minutiös militärische Einsätze rekonstruiert.

Mit den meist von Menschenrechtsorganisationen in Auftrag gegebenen bildforensischen Recherchen wendet sich das Forschungskollektiv gegen staatliche Informationspolitiken und fordert juristische Aufarbeitung ein. Dafür wird es in einer aktivistisch theoretisierenden Kunstwelt gefeiert. Eine kritische Analyse blieb bisher weitestgehend aus.

Zuletzt erschien die mehrteilige Untersuchung „Destruction of Medical Infrastructure in Gaza“. Bereits im Oktober und November veröffentlichte die Gruppe in sozialen Medien jedoch vorläufige Untersuchungsergebnisse zum Raketeneinschlag am Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza am 17. Oktober. Internationale Medien wie die New York Times und Tagesschau hatten Hamas-Meldungen übernommen, nach denen das israelische Militär (IDF) das Krankenhaus bombardiert habe, und von bis zu 500 Toten und 600 Verletzten berichtet.

Weltweit kam es zu antiisraelischen Protesten und antisemitischen Gewalttaten. In Berlin warfen Vermummte Brandsätze auf eine Synagoge. Als sich herausstellte, dass die Rakete auf dem nahegelegenen Parkplatz eingeschlagen war, wurden die Opferzahlen stark nach unten korrigiert.

Human Rights Watch stützt die Version der IDF

Die IDF führt die Detonation auf eine fehlgeleitete Rakete der Hamas/des Islamischen Dschihad zurück. Sprecher präsentierten Videos vom Raketenbeschuss aus Gaza kurz vor der Explosion, eine Tonaufzeichnung gab das vermeintliche Gespräch zweier Hamas-Terroristen über die Fehlfunktion wieder, und Luftbilder demonstrieren, dass ein für israelische Bomben typischer Krater fehlt. Analysen, etwa von Human Rights Watch, stützen diese Version.

In seinem ersten X-Post nach dem Hamas-Angriff kündigte der Gründer von Forensic Architecture, der britisch-israelische Architekt Eyal Weizman, am 14. Oktober die Dokumentation der „punishing violence of the occupation forces, a crime against humanity“, an. Die Massaker, Vergewaltigungen und über 240 verschleppten Geiseln erwähnte er hier nicht. Im Arts-Persist-Podcast vom 8. November beschreibt ein anonymes Mitglied der Rechercheagentur den pogromartigen Überfall als „a number of violent and fatal clashes“. Die israelische Offensive aber sei „the most televised and visually documented coverage of genocidal policies in history“.

Forensic Architecture wendet diese Bilder gegen Israel. Für die Untersuchung kooperiert die Gruppe mit Earshot, einer Organisation für Audio-Recherchen, und der palästinensischen Menschenrechtsorganisation al-Haq. Letztere wurde, ohne eindeutige Belege vorzulegen, vom israelischen Verteidigungsministerium 2021 wegen angeblicher Verstrickungen mit der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) als Terrorgruppierung eingestuft.

Mit kurzen Clips, die allein auf X über 16 Millionen Mal gesehen wurden, versucht das Kollektiv die israelischen Beweise zur Al-Ahli-Explosion zu falsifizieren und bezeichnet sie als „desinformation“. Bei der IDF sei es üblich, Krankenhäuser anzugreifen. Verschwiegen wird, dass die Hamas zivile Opfer einkalkuliert und Einsatzzentralen unter Krankenhäusern einrichtet oder Raketenstellungen neben Schulen positioniert.

Vermeintlich objektiv

Die Videoanalyse zeichnet sich durch eine vermeintlich objektive, wissenschaftliche Haltung aus. Sie führt vor, dass die Beweisbilder der IDF einen Abfangjäger des Iron Dome zeigen, zu weit vom Krankenhaus entfernt. Eine 3-D-Rekonstruktion suggeriert, die Flugbahn der Rakete lasse sich zweifelsfrei berechnen.

Die Auswertung identifiziert Videos als Aufnahmen einer Explosion kurz vor der Detonation am Krankenhaus, einen Kilometer entfernt. Audioanalysen schlussfolgern, die Rakete sei aus Nordost, aus Richtung Israel, gekommen und dass der Gesprächsmitschnitt bearbeitet wurde.

Die Agentur nutzt dokumentarische Bildsprachen und Strategien der Blicklenkung, um die Wissenschaftlichkeit ihrer Untersuchungen zu suggerieren und Authentizität zu generieren: Ein Zeitstrahl vermittelt temporale Einordnung; Kreise und Markierungen leiten den Blick.

Ihren Status als Beweisbilder erhalten die Aufnahmen in ihrer Kombination: Mithilfe zeichnerischer Dekodierungen werden sie lesbar gemacht und kommentiert. Ein Voice-over erklärt in besonnenem Ton, was angeblich gesehen wird und wie das Gesehene zu verstehen ist. So wird empirische Eindeutigkeit vermittelt. Raum für politische Diskursivierung gibt es nicht.

Israel als alleiniger Aggressor

Unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Objektivität ergreift Forensic Architecture regelmäßig Partei. Auf Basis vermeintlich forensischer Faktizität halten die Investigationen zum Nahostkonflikt einen palästinensischen Opfer- und israelischen Täterstatus aufrecht. Die israelische Armee wird als alleiniger Aggressor gegenüber wehrlosen Zi­vi­lis­t*in­nen ins Bild gesetzt: Im Video „The Bombing of Rafah“ (2015), einer der am häufigsten ausgestellten Arbeiten des Kollektivs, nutzt es dafür eine Sequenz mit dem Wasserzeichen des mit der Hamas assoziierten Nachrichtensenders muqawama press.

Den Adres­sa­t*in­nen der Analyse, die den betreffenden Bombenabwurf im Gaza-Krieg 2014 als menschenrechtswidrig klassifiziert, wird dieser Distribu­tionskontext vorenthalten. Auch für „Destruction of Medical Infrastructure“ bezieht sich das Kollektiv unter anderem auf die Hamas-nahe Nachrichtenagentur Shehab News.

Um Evidenzen zu schaffen und öffentlichkeitswirksame Gegennarrative zu etablieren, unterlässt es die Gruppe, eine Kritik ihrer Quellen selbst zu formulieren. Im US-Magazin Art in America schrieb die Kritikerin Emily Watlington im März, die Gruppe bewege sich so an der Grenze zu Fake News und Halbwahrheiten.

Bei der Kundgebung „We still still still still need to talk“ am 10. November in Berlin sprach Weizman von einem Genozid, der seit der Staatsgründung Israels 1948 an Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen begangen werde. In einem Granta-Interview betont er, Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen haben ein Recht auf Palästina. Die Frage nach den Grenzen Palästinas lässt er offen – ebenso wie die nach „the rights of Jews in Palestine“, mit der das Interview endet und Raum für Spekulationen bietet.

Vortrag von Forensic Architecture in Aachen abgesagt

Weizman bekundete schon vor Jahren seine Unterstützung für die BDS-Bewegung. Im Kunstfeld, wo Kritik an Israel regelrecht zum guten Ton gehört, wird der politische Impetus des Kollektivs bisher kaum thematisiert. An der RWTH Aachen wurde zuletzt ein für den 11. Dezember geplanter Vortrag von Forensic Architecture durch den Rektor Ulrich Rüdiger untersagt. Laut Stellungnahme befürchteten jüdische und israelische Studierende, er könne die angespannte Lage an der RWTH verschärfen. Eine Klage des Veranstalters Axel Sowa wurde vom Verwaltungsgericht Aachen abgewiesen.

Es ist fraglich, wie wirksam solche an deutschen Institu­tionen vermehrt zu beobachtenden Absagen im Kontext von Antisemitismusvorwürfen sind. Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut. Für eine kritische Auseinandersetzung mit Forensic Architecture ist es in jedem Fall an der Zeit.

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12 Kommentare

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  • Super Text, vielen Dank für die Analyse!



    Schön vor allem, dass die Autorin sich nicht darin verliert, wer Schuld an irgendwas ist, sondern eine Metaebene aufmacht, auf der miserable Verfahren und auch ein bisschen miserable Ästhetik thematisiert werden.

  • Eyal Weizman hat Erfahrung mit den Taktiken der IDF, jahrelange Recherchen und Buchpublikationen belegen das - Recherchen, die mit Hamas nichts zu tun hatten. In einer Situation in der kaum Journalisten in Gaza sind diesen Kritikpunkt anzufügen kommt mir zu diesem Zeitpunkt nicht sehr brauchbar vor.

  • "Unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Objektivität ergreift Forensic Architecture regelmäßig Partei" - als solches schon eine mehr als gewagte These und von einem reichlich naiven Wissenschaftsverständnis ausgehend, ist es schon erstaunlich, wie hier erstens, eine kritische Stimme verunglimpft wird und wie zweitens, geltende Prinzipien internationalen Rechts nicht zur Kenntnis genommen werden.

  • Forensische Schlussfolgerungen zu präsentieren erscheint unter den gegebenen Bedingungen beschränkt erhellend. Die Untersuchungsbedingungen sind erheblich eingeschränkt, die Validität der Daten und Widersprüche können nicht wirklich überprüft werden. Nur Zweifel sähen nützt in der Sache wenig.

  • Warum sollte bei Analysen von Einzelereignisses ein politischer „geschichtlicher“ Kontext gezogen werden? In den deutschen Medien finde ich es eher unsäglich jedes Mal vom 7. Oktober zu lesen. Als wäre es eine Legitimation für Verbrechen. Gewalt hat noch nie Gewalt legitimiert. Auf keiner Seite!

    • @Littleneo:

      Warum man das tun sollte? Ganz einfach weil Israel nicht aus reiner Lust am Krieg führen in Gaza einmarschiert ist, sondern um die Hamas, für den 7.10., zu bestrafen und eine Wiederholung des geschehenen zu verunmöglichen.

      Es ist eben eine Reaktion auf den 7. Oktober, ganz einfach.

      Und zur Gewaltfrage: natürlich ist es die Aufgabe eines Staates, solche Gewalttaten gegen seiner Bürger gewaltsam zu bekämpfen. Gerade dann, wenn wie im Fall der Hamas, der Zweck der Gewalt einfach die Vernichtung jüdischen Lebens ist. Dann muss diese Organisationen um jeden Preis gestoppt werden. Das geht eben nur gewaltsam.

  • 6G
    6028 (Profil gelöscht)

    Im Prinzip löblicher Beitrag, der allerdings selbst eine gewisse Ähnlichkeit mit dem kritisierten Vorgehen des Recherchenetzwerks FA hat: 
anfangs ein objektiver Blick, der aber später nicht durchgehalten wird.



    Im wesentlichen wird vorgebracht, dass FA eine eindeutige anti-isrealische Einstellung hat und mit anti-isrealischen Medien kooperiert, woraus dann gefolgert wird, dass FA lediglich vorgibt, faktenbasiert vorzugehen, um letzten Endes doch nur pro-palästinische Propaganda zu betreiben.



    Die monierte Einstellung der FA scheint mir zutreffend, andererseits hat die Informationsabteilung der IDF den Auftrag. Israel zu entlasten. Daher wäre es naiv, anzunehmen, dass die IDF stets streng faktenbasiert vorgeht (dies stell FA ja in Frage).



    Da FA die gesuchten Beweise von der pro-israelischen Seite wohl kaum bekommen wird, ist sie gezwungen, auch auf pro-palästinensisches Material zurückzugreifen; kritisch ist hier, ob sie diese sorgfältig genug prüft, worauf der Artikel nicht eingeht (aber insinuiert, dass FA dies nicht tut).



    Im Falle Al-Ahli behaupten die pro-palästinensischen Medien einen Angriff der IDF; diese entlarvt ihrerseits die Vorwürfe als Propaganda und FA rekonstruiert wiederum die IDF-Version als Fake. Ob FA damit Recht hat, wird in Frage gestellt („versucht … zu falsifizieren“), aber anstelle den Gegen-Beweise zu erbringen, wird moniert, dass die FA an dieser Stelle die Instrumentalisierung von Zivilisten durch die Hamas verschweigt. Das stimmt, jedoch die an dieser Stelle entscheidende Frage, ob es eine israelische oder eine palästinische Rakete war, ist unabhängig von der Instrumentalisierung von Zivilisten.

    • @6028 (Profil gelöscht):

      Danke für die Analyse!

    • @6028 (Profil gelöscht):

      Finde ich eine gute Betrachtung der Dinge. Ich habe eine ähnliche Einstellung dazu und demzufolge zu diesem Artikel.

      Allein die bekanntgegebenen Informationen der isr. Streitkräfte durch Bild und Ton sind widersprüchlich. Einerseits werden Bilder gezeigt die die Raketen aus südlicherer Richtung als das Krankenhaus Richtung Israel zeigt, was Sinn macht bei ungelenkten Raketen, andererseits werden Kartendetails gezeigt wo die Raketen zumindest erstmal östlich bis südöstlich hätte fliegen müssen um dann angeblich doch nördlich-nordöstlich von Gaza in Israel einzuschlagen. Das macht keinen Sinn. Genauso hält es sich mit der Verlautbarung der isr. Streitkräfte das es die Al-Quds-Brigaden (isl. Dschihad) gewesen soll, die Aufnahmen werden aber mit Al-Qassam-Executives (Hamas) betitelt. Eine Neuordnung dieser Informationen hat es durch die isr. Streitkräfte ebenso nicht gegeben. Das dies Tür und Tor für andere Möglichkeiten aufmacht, ist doch dann völlig klar.

  • Forensic Architecture untersuchte auch die Mordserie in Hanau, syrische Foltergefängnisse, den Einsatz von Tränengasbomben weltweit, Umweltverbrechen, die Lage von Geflüchteten in Griechenland oder den Genozid der Deutschen in Namibia. Das fehlt in dem Artikel. Ob FA bei den Recherchen zu Israel manipuliert hat, müsste zudem bewiesen werden (ich habe keine Ahnung).

    • @lorenz schröter:

      Was in dem Beitrag aber deutlich wird: die fehlende Quellenkritik. Wer israelische Quellen als manipulativ hinstellt und gleichzeitig Hamas-nahe Quellen unkritisch übernimmt, macht sich selbst unglaubwürdig.

  • Danke für diesen Kontext und die kritische Aufarbeitung!