Ausstellung über Politkunst: Äußerst fragwürdiger Wahrheitsbegriff
In der Schau „Visual Investigations. Zwischen Aktivismus, Medien und Gesetz“ lässt sich das TU-Architekturmuseum München von Infobildern verführen.
Menschenrechtsverletzungen, von wem auch immer begangen, hinterlassen Spuren. Solche, die offenkundig sind, und solche, die ohne technologische Hilfsmittel wohl im Verborgenen bleiben würden.
Während sich die technischen Möglichkeiten derzeit schnell weiterentwickeln, nehmen Menschenrechtsverletzungen einen immer größer werdenden Raum im öffentlichen Diskurs ein, nicht nur in der digitalen Öffentlichkeit sozialer Netzwerke.
Die Ausstellung „Visual Investigations. Zwischen Aktivismus, Medien und Gesetz“ im Architekturmuseum an der Technischen Universität München blickt auf dieses noch relativ junge Feld der Erforschung und Aufklärung von Verbrechen durch visuelle IT-Werkzeuge.
Schlagzeilen mit aufwendiger Recherche
Dafür setzen sich zumeist interdisziplinäre Teams aus Journalisten, Informatikern, Datenanalytikern, Designern, Architekten und Filmemachern zusammen. Mit aufwendigen Recherchen sorgten diese investigativen Teams zuletzt immer wieder für Schlagzeilen.
„Visual Investigations. Zwischen Aktivismus, Medien und Gesetz“. Architekturmuseum der TU-München, bis 9. Februar 2025
Besonders bekannt ist die kürzlich mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnete Gruppe Forensic Architecture um den Londoner Architekten Eyal Weizman, aber auch die Recherchekollektive Bellingcat oder das in New York beheimatete SITU kennt man vielleicht. Nicht zuletzt, da die Arbeiten dieser Gruppen auch viel in Kunstausstellungen zu sehen sind. Sie alle wollen komplexe, politische Ereignisse mithilfe von Technologie rekonstruieren und so Beweismittel für rechtliche wie auch journalistische Zwecke bereitstellen.
Die Münchner Schau stellt nun sieben solcher investigativen Untersuchungen vor und blickt dabei besonders auf die Rolle, die Architekten bei den Recherchen spielen. Handelt es sich doch viel um die Erfassung und Darstellung von Räumen, von Straßen, zerstörten Gebäuden und Tatorten.
Mit Unrecht um die Welt
Die beiden Kuratoren, die Architektin Lisa Luksch und der Architekturhistoriker Andres Lepik, präsentieren dafür Untersuchungen zu chinesischen Internierungslagern in Xinjian, Polizeigewalt in den USA, der Tötung eines kolumbianischen Journalisten, dem russischen Angriff auf das Theater in Mariupol, Landenteignung im Westjordanland, zu politischen Morden während Mexikos „Schmutzigem Krieg“ sowie zu den Folgen der Klimakatastrophe für pazifische Inselstaaten.
Die Schau konfrontiert mit einer multimedialen Fülle an Raumanalysen und 3D-Modellierungen bis hin zu Darstellungen des Einsatzes von KI und maschinellem Lernen. Dabei seien die vielgestaltigen Infobilder stets einer „sachlichen, transparenten, wertfreien und möglichst unabhängigen Sichtbarmachung von Fakten und Zusammenhängen“ verpflichtet, behaupten Luksch und Lepik.
Doch verpasst das Kuratorenteam gleich zu Beginn seiner Ausstellung eine kritische Einordnung. Denn es wird ausgespart, dass den vermeintlich wertfreien Darstellungen bestimmte Narrative zugrunde liegen. So präsentiert „Visual Investigations“ am Beispiel des Westjordanlandes, wie Agrarflächen durch die israelische Besatzungsmacht systematisch umgewandelt werden.
Einseitiges Bild
Satellitenaufnahmen zeigen die Verwandlung von Olivenbaumplantagen palästinensischer Landwirte zu Weinanbausystemen israelischer Siedler. In Videos und Texten, beruhend neben Landbildaufnahmen auf Vor-Ort-Dokumentation und Zeugenaussagen, wird Besuchern ein höchst einseitiges Bild der Situation im Westjordanland vermittelt.
Über die Hintergründe, wie es zu dieser Situation kommen konnte, die seit 1967 besteht, wird kaum informiert. Auch fehlen in der Darstellung israelische Stimmen. Das vermeintlich Faktische offenbart hier deutlich ideologische Schlagseite. Die „Beweisführung“ selbsternannter Feldforscher etwa, die eher Politaktivisten zu sein scheinen, führt auf geradem Wege zur Untermauerung der Apartheid-Hypothese.
Auch wenn es um die Aufarbeitung von Polizeigewalt während der Proteste in New York infolge der Tötung des Afroamerikaners George Floyd geht, neigt man zu Einseitigkeit. Ein „Experiment“ der Gruppe SITU will Methoden zur Identifikation mutmaßlich an Gewalt beteiligter Beamter aufzeigen. Mittels KI-gestützter Gesichtserkennungsalgorithmen decken die Rechercheure die Identitäten beteiligter Beamte auf.
Wenn offizielle, staatliche Stellen solche Überwachungstechnologien anwenden, führt dies – berechtigterweise – zu öffentlicher Kritik. Doch der selbstermächtigte Privatermittler wird in der Ausstellung seltsamerweise unkritisch eingeordnet.
Solche einzelnen Versäumnisse werfen insgesamt ein ungünstiges Licht auf die ambitionierte Schau. So überwiegt der Eindruck einer eher naiven Technologiebejahung und eines fragwürdigen Objektivitäts- wie Wahrheitsbegriffs. Erkenntnistheoretische Herausforderungen und praktische Folgen, denen Redaktionen, aber auch eine breite Öffentlichkeit, angesichts der Visual Investigations gegenüberstehen, bleiben so unterbelichtet.
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