Kritik an EU-Strommarktreform: Ökostrombranche bangt um Profite
Die EU-Kommission will Höchstpreise für Strom einführen, der mit staatlicher Förderung entsteht. Experten finden das richtig, Lobbyverbände falsch.
Als Reaktion auf die Energiepreiskrise im vergangenen Jahr hat die EU-Kommission die Reform des Strommarktes angekündigt. Für Verbraucher:innen sind einige Neuerungen vorgesehen. Sie sollen etwa künftig Verträge mit mehreren Anbietern gleichzeitig schließen können, etwa einen mit festen Preisen für den Grundbedarf und einen flexiblen, etwa um günstige Zeiten für das Laden des E-Autos zu nutzen. Außerdem sollen sie sich erneuerbare Energien teilen können, Nachbar:innen also die Solaranlage auf dem Haus nebenan mitnutzen können.
Auf massive Kritik der Erneuerbaren-Branche stoßen die Regelungen für die Großhandelsmärkte. Hier sieht die Kommission zwei Instrumente vor: Erstens Langzeitverträge zwischen privaten Erzeugern und Abnehmern, die stabile Preise gewährleisten sollen. Zweitens sogenannte Differenzverträge, wenn eine staatliche Förderung im Spiel ist. Das soll künftig nur noch mit diesen Verträgen möglich sein, und zwar für erneuerbare Energien und für Atomkraft. Diese Verträge sehen sowohl einen Mindest- als auch einen Höchstpreis vor, entweder in Form eines Preiskorridors oder eines Festpreises. Damit haben etwa Windparkbetreiber garantierte Einnahmen. Explodieren die Preise, profitieren sie aber nur bis zu einer bestimmten Grenze davon. Diese Grenze soll im Rahmen von Ausschreibungsverfahren festgelegt werden. Profite darüber soll der Staat abschöpfen.
Diese Differenzverträge lehnt der BEE ab. Für den deutschen Strommarkt sei die Reform in der jetzt vorgesehenen Form ein Nachteil, sagt Peter. Der Hintergrund: Heute gibt es für die Erzeuger erneuerbarer Energien in Deutschland einen Mindestpreis, der durch die sogenannte Einspeisevergütung gesetzt ist. Eine Obergrenze gibt es nicht, was zu immensen Gewinnen der Branche führte – die die Bundesregierung nun teilweise abschöpft. Die Differenzverträge würden die Einspeisevergütung ersetzen. Das käme der Rückkehr zu einem Festpreissystem gleich, das „ein marktdienliches Verhalten der Erzeuger nicht anreize“, sagt ein BEE-Sprecher. Würden die Vorschläge der Kommission realisiert, würden Erzeuger kontinuierlich Strom ins Netz speisen, weil es keinen Anreiz für eine flexible Produktion gäbe, sagt er. Der Bundesverband Windenergie schließt sich auf Anfrage dieser Position „vollumfänglich“ an.
Kritik an Atomförderung
Energieexperte Matthes hält solche Argumente für vorgeschoben. Es sei richtig, das bei staatlicher Förderung einer Anlage auch eine Preisobergrenze gezogen wird und nicht – wie heute – nur ein garantierter Mindestpreis. „Wir hatten bislang eine Asymmetrie“, sagt er. „Ist das Risiko für die Anbieter niedrig, ist es aber geboten, die Profite zu begrenzen.“ Wer mit Hilfe staatlicher Förderung investiere, müsse hinnehmen, dass Steuerzahlende sich einen Teil des Gelds zurückholen. Dafür eine dauerhafte Regel einzuführen hält er für sinnvoller als die Ad-hoc-Abschöpfung, die im vergangenen Jahr für Stromhersteller beschlossen wurde. „Wer so toll ist, dass er keine staatliche Förderung braucht, kann ja auf den privaten Markt gehen“, sagt Matthes. Angewendet werden Differenzverträge bereits in einigen Ländern, etwa in Großbritannien. „Das funktioniert“, betont er.
Dass Differenzverträge auch für Atomkraft möglich sind, kritisieren sowohl Matthes als auch der BEE. Die Kommission eröffne einen „Selbstbedienungsladen für die Atomkraft“, sagt Matthes. In den Genuss staatlicher Förderung sollen alte und neue AKWs kommen. Das bediene vor allem die Interessen der französischen Regierung, die alte Meiler weiterbetreiben will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Türkei und Israel nach Assad-Sturz
Begehrlichkeiten von Norden und Süden
Katja Wolf über die Brombeer-Koalition
„Ich musste mich nicht gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen“