Kritik an Berliner Abschiebepolitik: Die Polizei kommt gern nachts
Die versuchte Abschiebung eines Senegalesen bei Nacht war rechtswidrig, sagen Flüchtingsorganisationen. Berliner Innenverwaltung weist Kritik zurück.
Nach Darstellung der Organisationen, darunter Moabit Hilft und die Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen (KuB), lebt der an Schizophrenie und Epilepsie erkrankte Diallo T. (Name geändert) seit 2018 in Berlin. Aktuell laufe sein Asylfolgeverfahren. Dennoch sei die Polizei am 19. Oktober 2021 um 2:24 Uhr in das Zimmer des Mannes „eingedrungen“, nachdem der Mitbewohner die Tür der gemeinsamen Wohnung geöffnet habe.
Wie so oft bei Abschiebungen hätten Polizist*innen Diallo T. das Handy abgenommen und damit verhindert, dass er seinen Anwalt kontaktierte. Mit Fußfesseln sei er zum Flughafen BER und von dort nach Brüssel gebracht worden. Von dort sollte er in den Senegal abgeschoben werden. Doch der Pilot habe sich geweigert, ihn mitzunehmen, aufgrund „der offensichtlichen psychischen Probleme“.
Die Ereignisse hätten Diallo T. schwer retraumatisiert, sagen die Organisationen. Aus Brüssel zurück habe er zeitweilig in einer psychiatrischen Klinik untergebracht werden müssen, sagt Andreas Tölke vom Verein Be an Angel. Zuvor habe er einen Deutschkurs und ein Praktikum als Mechatroniker absolviert, ein Angebot für einen Ausbildungsplatz habe vorgelegen.
„Rückführung“ geht auch krank
Die Innenverwaltung erklärte, die besagten Krankheiten hätten einer „Rückführung“ nicht im Wege gestanden, was gerichtlich bestätigt worden sei. Auch seine Reisefähigkeit sei am selben Tag ärztlich bestätigt worden. Dazu muss man wissen, dass Amtsärzte fast immer die Reisetauglichkeit von Geflüchteten bestätigen – egal was ärztliche Gutachten besagen.
Was den laufenden Asylfolgeantrag angeht, erklärte die Innenverwaltung, dieser habe „nach Aktenlage des Landesamts für Einwanderung (LEA) nicht vorgelegen“. Jedoch liegt der taz eine Mail vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vom 22. Juli 2021 an T.s Anwalt vor, die bestätigt, dass der Asylfolgeantrag bei der Behörde eingegangen ist.
Merkwürdig ist auch: T. hatte nach Tölkes Angaben sogar einen Termin beim LEA, um für das Folgeverfahren eine Duldung zu bekommen. Doch er und seine Begleitung seien am fraglichen Tag im Amt nicht vorgelassen worden.
Wenig überzeugend ist auch, was die Innenverwaltung zur nächtlichen Abholung sagt: Diese sei nötig gewesen wegen des Nachtflugs von Brüssel in den Senegal. Allerdings ist laut Aufenthaltsgesetz Paragraf 58, Absatz 7, die „Organisation der Abschiebung“ explizit kein Grund, der ein nächtliches Abholen rechtfertigt.
Abholung meist nachts
Trotzdem werden inzwischen für einen Großteil aller Abschiebungen aus Berlin die Menschen nachts abgeholt: 2020 in 611 von 986 Fällen, in 2021 bis Ende Juni in 406 von 516 Fällen. Dass ausgerechnet unter Rot-Rot-Grün de facto regelmäßig gegen das Gesetz verstoßen wird, beklagt der Flüchtlingsrat ebenso regelmäßig wie erfolglos.
Auf die Kritik am Eindringen in die Wohnung ohne Richterbeschluss erwiderte die Verwaltung wie üblich, dies sei keine „Durchsuchung“ gewesen, die einen solchen erfordere. Die Beamten hätten die Wohnung nur „betreten“, was ohne Richterbeschluss gehe. Mehrere Gerichtsbeschlüsse haben diese Rechtsauffassung allerdings zurückgewiesen. Erst kürzlich verlor das LEA einen ähnlichen Fall vor dem Berliner Verwaltungsgericht.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, „unter welchen Umständen eine richterliche Anordnung erforderlich ist, hat das LEA die Zulassung der Berufung beantragt“, erklärte der Sprecher der Innenverwaltung, Martin Pallgen, nun anlässlich des neuen Falls.
Für T. fordern die Organisationen ein humanitäres Bleiberecht – und einen generellen Stopp von Abschiebungen psychisch Kranker.
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