Kritik TV-Duell: #bringbackourgirls > #telleurope
30 Sender, 90 Minuten, 5 Kandidaten: Streit um Sekunden, parteitypische Körpersprache, blaue Joker. Das TV-Duell zur Europawahl ist geschafft.
22.50 Uhr: Fazit
Das Fachpublikum im taz-Cafe scheint am ehesten von Ska Keller überzeugt zu sein.
In Sachen Ukraine wurde für taz-Osteuropaexpertin Barbara Oberteil nichts neues beigetragen. „Da gab es pure Hilflosigkeit, bei allen.“
Jan Feddersen, Redakteur für das gute im Menschen fasst zusammen: „Letztlich redeten sie viel inhaltlicher als bei diesen maybrit Illner Shows. Verwirrend war natürlich die Übersetzung. Aber wir werden uns daran gewöhnen müssen. Das war eine famose, friedensstiftende Aktion.“
22.41 Uhr: Haha HSV
Athen: Als einziger hat Tsipras die „Troika“ angegriffen. Insgesamt ein gelungener Auftritt von ihm. Schade, dass er frühere Debatten vermieden hat. Oder war sein Auftritt bei der Kommunistischen Partei Böhmens wichtiger als die Teilnahme an der ersten Debatte der Spitzenkandidaten am 28.April?
Und Ralf Sotscheck aus Dublin gibt sein Schlusswort: Ich habe zwischendurch auf das Relegationsspiel HSV gegen Greuther Fürth umgeschaltet. Das war genauso langweilig (0:0). Also wieder zurück zur Europa-Debatte, gerade rechtzeitig für den Zwischenruf der Moderatorin: „Ihre Zeit ist abgelaufen.“ Galt das allen fünf KandidatInnen? Aber im Ernst: Der Minutentakt und die Joker wie beim Canasta sind ermüdend, jeder spult geschwind die Schlagworte runter, dann ist der nächste dran. Ich gehe jetzt in den Pub.
22.40 Uhr: Und nun?
In gewisser Weise war dieses Medien- und Sprachenexperiment ein ziemlich gutes Abbild der europäischen demokratischen Öffentlichkeit: Maximaler kommunikativer Aufwand mit wenig erhellendem Effekt.
Je deutlicher die Mühe ist, die viele wohlmeinende Menschen sich mit dem Politikvermitteln geben, desto ratloser ist das geneigte Publikum: Was wollen sie uns sagen?
Wir übertragen das TV-Duell im taz-Café in der Berliner Rudi-Dutschke-Straße. Für die Livekritik werden Andreas Rüttenauer, Ulrike Winkelmann, Jan Feddersen, Barbara Oertel, Doris Akrap, Deniz Yücel, Una Hajdari, Paul Wrusch und Daniél Kretschmar das Geschehen kommentieren.Aus Athen berichtet Jannis Papadimitriou.
Parallel wird die Livekritik ins Englische übersetzt.
Es gibt nicht den Resonanzboden, auf dem Argumente ihren Klang entfalten können, die stets nur in Stichworten umrissen werden können. Dabei gibt es durchaus europäische Probleme, die in jedem Einzelstaat bekannt sind. Am Ende steht nur noch der Eindruck, den die Menschen halt so beim Reden machen: jung und frisch, alt und gebeugt, engagiert oder etwas wirr-sympathisch.
Berlin, taz-cafe: Chefredakteur Andreas Rüttenauer liefert eine Minute nach Ende der Debatte seinen Text und trägt ihn im taz-Cafe vor. Wir werden ihn nachtragen. So richtig gut kommt das tv-Duell in seinem spontanen Text nicht weg. Jan feddersen hält dagegen. „Was sollen sie denn machen? Das Ereignis war das Ereignis selbst. Das es überhaupt zustande kam, das ist sensationell genug.“
Rudolf Balmer, unser Mann in Paris meldet sich auch mit einer ersten Einschätzung: Diese kurzen Statements lassen es nicht zu, dass die vier Kandidaten und die Kandidatin so etwas wie ein Programm entwickeln und erklären können. War das die Absicht? Was bleibt sind Momentaufnahmen, kleine rhetorische Glanzlichter. Wenn zum Beispiel Tsipras sagt, das wahre Defizit in Europa ist das Demokratie-Defizit, oder als Verhofstadt einen Brief von Kasparow zur Kraftprobe in der Ukraine vorliest. Zwangsläufig punkten die Konkurrenten, die mir wie Kandidaten bei einem Fernsehquiz vorkommen statt als Teilnehmer an einer politischen Debatte, mehr mit der Art ihres Auftreten. Keller lächelt als Einzige und vermittelt damit einen optimistischen Eindruck. Juncker dagegen scheint zu einer Grabrede aufgeboten zu sein, er wirkt traurig und gequält. Neben ihm macht Verhofstadt auf Clown, er bewegt sich viel und fuchtelt mit seinen Armen. Für die französischen Fernsehzuschauer wird das Ganze durch die gelangweilt und desinteressiert klingenden Stimmen der Simultanübersetzer auch nicht attraktiver. Die meisten haben wohl nach einigen Minuten den Kanal gewechselt.
22.25 Uhr: Stärke zeigen und ein Knüller
Schulz zeigt Stärke: Sollte jemand anderes als Kommissionspräsident als den 5 Kandidaten vorgeschlagen werden, wird das EU-Parlament einfach dagegen stimmen. Er gibt sich selbstbewusst: Der nächste Kommissionspräsident steht vor ihnen, das bin ich. Damit kündigt er einen Koalitionskrach in Deutschland an. Irgendwie freut man sich darauf.
Nun, da hat man Juncker schon klarer sagen hören, dass entweder er oder Schulz Präsident werden muss. Der Verweis auf den Vertrag von Lissabon, dass die Regierungen das Parlament bloß anhören muss, ist eben genau die Ankündigung, dass sie sich auch noch einen ganz anderen Kandidaten suchen können.
Athen: Verhofstadt ist das alles egal. Er wird ja ohnehin EU-Parlamentspräsident.
Wien: Wird eine/r der Anwesenden Kommissionspräsident? Da ist man sich einmal einig. Es wäre eine Bankrotterklärung des Parlaments wenn Frau Merkel mit Herrn Hollande einen anderen Präsidenten auskungelt. Tsipras nennt das Problem beim Namen. Martin Schulz kann die Frage schon nicht mehr hören.
Nochmal Athen: Jetzt wird Juncker staatsmänisch. Und auch sentimental: We have to fall in love with Europe. Doch Jacques Delors hat schon mal vorgewarnt: Du kannst dich nicht wirklich verlieben in einen Binnenmarkt.
Tsipras redet derweil über Mitsprache und nicht über soziale Gerechtigkeit, wie interessant. Das übernimmt Schulz.
Verhofstadt spielt mit seinen Sekunden, aber was hätte ein Liberaler außer Jobs Jobs Jobs schon anzukündigen?
Berlin, taz-Cafe: Die Schlussstatement: Ska Keller langweilt uns hier komplett. Verhofstadt dagegen punktet, der einzige, der Europa noch größer machen will. Bravo. Tsipras will die Katastroika aus der EU schmeißen. Schulz will seine Fenster und Türen öffnen, na dann! Und zum Schluss dann doch wieder Gemeinsamkeit: Alle halten ein Blatt in die Höhe und fordern #bringbackourGirls. Sie beziehen sich damit auf die von Boko Haram verschleppten Mädchen in Nigeria.
Ulrike Winkelmann: Das ist natürlich ein Knüller!
22.19 Uhr: Verpasste Gelegenheiten
Ist die Grüne Ska Keller eigentlich die einzige, die ihre Joker ausspielt? Geschickt von der Jüngsten im Quintett. Dabei vergisst sie sogar die grünen Inhalte, die in weniger als eine Minute passen würden: Dass Politiker ins Abklingbecken gehören, bevor sie in die Wirtschaft wechseln, hätte in eine Minute gepasst.
Tsipras verpasst den Punkt auch, aber bringt immerhin noch den Kampf gegen Steuerhinterziehung und Mafia unter.
Verhofstadt hat als Liberaler natürlich noch nie von Lobbyisten gehört, klar. Aber der Angriff auf die nationalen Hauptstädte: ping.
Und das Internet? – Wir dachten, dass das Netz sich einbringen kann, mit Kommentaren, Fragen. Bisher gab es nur Statistiken über Tweets per Minuten und anderes. Wir sind dann doch enttäuscht!
22.10 Uhr: Beteiligung und Desinteresse
Jetzt wird es spannend: Warum sind die Bürger an Europa eigentlich nicht interessiert, weshalb diese geringe Wahlbeteiligung?
Ska Keller argumentiert, dass es kein Desinteresse gibt, sondern ein Misstrauen gegenüber den Institutionen der EU. Populismusalarm! Verhofstadt sucht nach mehr Argumenten für Europa und findet sie in der Wirtschaft, klar. Aber er wirbt auch für den Schutz der Privatsphäre (er hat NSA gesagt! Wird auch Zeit). Juncker wirbt floskelhaft für ein starkes Europa. Schulz spricht von bisheriger Langeweile bei den Wahlen. Er glaubt, dass es dieses Mal aber schon einen Unterschied macht.
Einzig der Linke Tsipras bringt es auf den Punkt! 28 EU-Staaten im Parlament tun das, was Frau Merkel möchte. Das sei das Problem.
Athen: So kennt man Tsipras in Griechenland: Dauerwahlkampf gegen Merkel.
Jetzt kommt Juncker mit dem Währungskrieg, den eben noch der Verhofstadt beschwor. Aber ging es nicht um Mitsprache? Endlich greift Tsipras Juncker an und nennt die Tage des Verrats an den demokratischen Verfahren: Als Italien eine Regierung aufgedrückt und Griechenland die Abstimmung verboten wurde.
Punkt für die Liberalen. Verhofstadt ist gut, er kritisiert die Abhängigkeit der EU von Berlin und Paris und hat Ähnlichkeiten mit Tsipras. Außerdem erwähnte er zuvor zum ersten Mal überhaupt urliberale Themen: Datschenschutz und Privatsphäre.
Leonhard aus Wien: Ska Keller legt den Finger in die Wunde der Lobbyisten. Manchmal steht sogar ihre Adresse in den Richtlinienvorschlägen, die sie im Namen der Kommission schreiben. Liebe Lobbyisten: bitte seid in Zukunft weniger schlampig, wenn Ihr Euch die Gesetze zurecht schreibt. Streicht bitte jeden Hinweis auf Euer Zutun!
22.07 Uhr: Manöverkritik aus Wien
Ralf Leonhard, unser Mann in Österreich, reibt sich die Hände: „Interessant: Juncker tritt auch für eine geregelte Einwanderungspolitik ein und rügt die Länder, die die Entwicklungshilfe kürzen. Denn wenn den Afrikanern nicht geholfen werde, wo sie sind, dann kämen sie zu uns. Ich hoffe, sein Parteifreund Michael Spindelegger, Finanzminister in Österreich, hört zu. Der hat gerade die EZA um 25% gekürzt.“
22.05 Uhr: Dublin hängt hinterher
Das muss die Zeitverschiebung sein, Ralf Sotscheck sieht erst jetzt den Ukraineteil der Debatte und kommentiert: Beim Feindbild Putin sind sich die Kandidaten einig. Als Gegengewicht sollte man John Pilger lesen: “Zum ersten Mal seit der Reagan-Jahre drohen die USA, die Welt in den Krieg zu treiben. Ost-Europa und der Balkan sind jetzt Außenposten der Nato, und der letzte Pufferstaat an Russlands Grenze, die Ukraine, wird von faschistischen Kräften zerrissen, die von den USA und der EU losgelassen worden sind. Wir im Westen unterstützen nun Neo-Nazis in demselben Land, in dem die Ukrainer damals Hitler unterstützt haben… Der Pentagon unterhält zur Zeit “spezielle Operationen” – geheime Kriege – in 124 Ländern… Wenn dann noch die Gefahr eines Atomkriegs hinzukommt, stellt sich die Frage: Warum tolerieren wir das?”
22.03 Uhr: Gegen den Rollback
Es wird hitzig bei der Debatte um religiöse Symbole. Ska Keller ist für Relativismus was religiöse Symbole angeht, damit hat sie sich rausgekegelt, meinen einige hier. Juncker ist gegen eine Einmischung der Europäischen Union in die religiösen Sitten und Umsetzungen. Unsinn! Wer sagt, man habe Prinzipien, will sie aber nicht umsetzten, hat es nicht verstanden.
Tsipras hält dagegen: Er will in ganz Europa dafür kämpfen, einen konservativen Rollback etwa beim Abtreibungsverbote aufzuhalten.
Verhofstadts Angriffe auf alle möglichen Leute funktionieren wie ein Flipperautomat (kennen nur die Über-30-Jährigen) - manchmal trifft er, und es macht Ping. Aber Redesekunden zu diesem Thema hätte man insgesamt woanders verteilen können, das ist ja so ein Gehetze durch den Themenkanon.
21.58: Separatisten und Zeitnot
Berlin, taz-Cafe: Mal ehrlich: Wir sind etwas geschafft. Anfangs gefielt uns diese strenge Zeitregelung noch, jetzt merken wir: das ist kontraproduktiv. Die Politiker versuchen auf den Punkt zu argumentieren und fallen so immer wieder in die gleichen Floskeln zurück. Vielleicht liegt es auch vor allem an der simultanen Übersetzung? Das ist anstrengend, man bewertete die Übersetzer, nicht die Politiker. Aber als wahre Europäer müssen wir uns daran gewöhnen!
Und sonst so? – Selbst wenn Verhofstadt konkret wird, versteht man ihn nicht. Was hat Barroso bloß in Katalonien falsch gemacht? Wie gerne wüssten die Zuschauer das. Aber genau: Separatisten in Ruhe lassen, zu heikler Punkt.
Verhofstadt bekommt aber einen Sympathiepunkt: Er verlangt mehr Schutz für syrische Kriegsflüchtlinge in Europa.
Wie kann es sein, dass alle Parteien für legale Einwanderung sind und bislang nichts passiert ist? Die Kandidaten beweisen allein an diesem Punkt, dass entweder kein europäischer Politiker etwas zu sagen hat, oder mindestens einer vertritt öffentlich etwas anderes, als seine Parteienfamilie in den Einzelstaaten. Richtig: Es ist Juncker.
Athen: Wo Tsipras Recht hat, hat er Recht: Dublin II muss reformiert werden. Juncker macht derweil einen etwas müden Eindruck. Ob er nicht wirklich daran glaubt, dass er gewählt wird, trotz Vorsprungs in den Meinungsumfragen?
21.49 Uhr: „Wir“ und Putin
Verhofstadt findet wirklich, dass Europa zu schwach gegenüber Russland ist. Man lernt an ihm die Liberalen noch einmal ganz neu kennen. Ob er weiß, wer die FDP ist?
Tsipras ist in seiner Kritik an Putin meilenweit und deshalb erholsam von der deutschen Linkspartei entfernt.
Warum aber redet Keller von „wir“, wenn konkret Frankreich gemeint ist, das die Kriegsschiffe nicht an Russland liefern sollte?
Juncker will eine soft power sein, wer wollte das nicht. Erstmals versagt Schulzens Argumente-Kondensator.
21.44 Uhr: Botschaften zur Finanzpolitik
Tsipras erinnert immerhin daran, dass die Linke nicht Europa auflösen, sondern retten will, damit räumt er ein Vorurteil ab.
Schulz wird schon wieder am konkretesten, es ist, als hätte er einen Argumente-Kondensator eingeschaltet.
Juncker will immer noch vor allem nichts ändern und das Freihandelsabkommen TTIP.
Ska Keller vergisst im ersten Anlauf immer die grünen Inhalte, nutzt aber zum zweiten Mal eine Replik, um eine Forderung unterzubringen: TTIP geht nicht.
Verhofstadt verteidigt den Euro, weil er den Wettbewerb der Währungen ausschaltet, das ist für einen Liberalen sehr originell.
Es ist aber vollkommen ausgeschlossen, dass irgendein europäischer Bürger auf diese Weise seine Parteien wiedererkennt.
Und das Internet? Na endlich, die sozialen Medien kommen ins Spiel. Mehr als 1000 Tweets pro Minuten gibt es, weiß der Socia-Media-Moderator. Er zeigt eine Cloudwolke. Am häufigsten wird #RomaniResistance erwähnt. Was soll das nur?
21.40 Uhr Blaue Auge und Banken
Huch, Juncker nimmt Fahrt auf: Die Verteidigung der Bankenrettung geht ihm flüssig von der Zunge, in der Tat wollte damit niemand den Untergang des Geldsystems. Seine Wut über die Kritik am Krisenmanagement 2008 bis 2010 ist überzeugend.
„Wir haben die Banken nicht wegen der schönen blauen Augen der Banker gerettet.“ Ein Raunen geht durchs taz-Cafe. Was, das hat der Juncker gerade gesagt? Tatsächlich stellt sich bei den meisten Kandidaten eine gewisse Redundanz ein.
Nachtrag zur Körpersprache: Verhofstadt dagegen wirkt körpersprachlich etwas aggressiv, winkt drohend mit seinen Zeigefingern.
Tsipras spricht kein Englisch, sondern Griechisch. Eine weise Entscheidung aus seiner Sicht. Auf die Anschuldigungen von Verhofstadt, auch seine Partei habe wohl Bankdarlehen zu Vorzugskonditionen erhalten, wollte er trotzdem nicht antworten.
Einwurf aus Dublin von Ralf Sotscheck: „Wann singen die endlich? Da war ja das europäische Kampfsingen vorigen Samstag spannender.“
21.30 Punkt für Grün
Ska Keller zieht ihre blaue Karte, ihren Joker. Damit kann sie direkt reingrätschen. Es bleiben ihr nur 30 Sekunden. Sie nutzt die typische grüne Körpersprache: Die Arme vor dem Körper immer wieder im Kreis drehend. Alexis Tsipras dagegen spart sich seine Joker noch auf. Kluger Kerl!
Der Streit um die Sekunden brandet immer wieder auf. Ein Fest für Zeitfetischisten. Das ist Europa, durchreglementiert bis zum Letzten.
Und was machen die Inhalte? Nun gut, wirklich alle wollen in neue, junge und zukünftige Märkte investieren, das haben wir begriffen, und allen ist klar, dass das Geld irgendwoher kommen muss und neue Schulden sind nicht so sinnvoll. Endlich - Ska Keller macht den ersten guten Punkt - die Schulden waren in Spanien die Schulden der Banken, das darf man nicht die Bürger bezahlen lassen.
21.22 Uhr Jugendarbeitslosigkeit und Radikalität
Die Meinungen zum Minutenzwang gehen auseinander. Ulrike Winkelmann: „Das Minutenformat ist wirklich ein wenig frustrierend“
Und sonst so? – Ska Keller vergisst schon wieder die grünen Inhalte, und Tsipras bleibt auch recht allgemein, Schulz redet für einen Sozi verblüffend viel über Mittelstand, das irritiert bestimmt alle, auch den Mittelstand
Konsolidierungspolitik fortsetzen heißt bei Junckr natürlich, dass sich nichts ändern wird, tut ihm Leid. Zumal die Freizügigkeit für die Jugend ja schon gilt, die er nennt. Verhofstadt verspricht was total Neues, aber was meint er bloß?
Athen: Noch bleibt es bei Floskeln und parallelen Monologen. Leider. Einen dynamischen Eindruck macht vor allem Ska Keller.
taz-Cafe: Danke Alexis, dass du da bist. Wenigstens einer, der etwas Stimmung in die Runde bringt, etwas Radikalität. Er wirbt für einen Schuldenerlass, giftet gegen die Ideen der anderen.
Apropos Social Media: Der Hashtag des Duells #TellEurope liegt schon 20 Minuten nach Start auf Platz 5 der Trending Topics in Deutschland.
21.20 Uhr Dramaturgie stimmt
Berlin, taz-cafe: Die Bedingungen: knallhart! Jeder Kandidat hat eine Minute für das Eingangsstatement. Der erste Punkt geht an den Sozialdemokraten Martin Schulz. Er geht sympathisch auf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen ein. Der Liberale Guy Verhofstadt langweilt mit der „Europa steht am Scheideweg“-Floskel (wobei, vielleicht ist das auch ein Übersetzungsproblem). Alexis Tsipras wird die Wundertüte des heutigen Abends werden, bisher ist er kaum TV-bekannt. Besonders die Linke in Europa ist auf seinen Auftritt gespannt.
Die Inszenierung des Duell gefällt bisher. Zugespitzt, harte Bedingungen, klare Strukturierung. Wird bald den Eurovision Song Contest an Dramatik überholen. Einzig die Kameraführung nervt, diese ständigen Fahrten... braucht kein Mensch.
Wir lieben diese ablaufende Uhr im Hintergrund. Politiker am Limit, ständiger Zeitdruck, Argumentieren auf den Punkt, man streite sich um Sekunden. Das hat Potenzial, für Politik-Talkshows, Mitarbeitergespräche, Eltern-Telefonate...
21.15 Uhr Die Eingangsstatements
Verhofstadt: „Diesmal stimmt das“ - die Wahlen sind wichtig, weil Klimawandel und Arbeitslosgkeit nur gemeinsam bekämpft werden können, und das im Wettkampf mit China war. Ok, mit viel gutem Willen erkennt man bei Verhofstadt das liberale Element.
Juncker: Von Juncker bleibt hängen, dass er gegen Russland ein starkes Europa will. Nach China (Verhofstadt) schon der zweite Gegner, der aufgebaut wird.
Tsipras: Der Grieche spricht von der Tragödie seines Landes, das beispielhaft für die Folgen der Austeritätspolitik steht. Klares linkes Profil. Der Dolmetscher allerdings verhaut schon den ersten Satz. Nicht gut.
Schulz: Es gelingt ihm, innerhalb einer Minute die maximale sozialdemokratische Positionsdichte zu kommunizieren.
Keller: Erstaunlicherweise kommt die grüne Spitzenkandidatin im Eingangsstatement ganz ohne grüne Inhalte aus.
21.00 Uhr Es geht los
Die Regeln werden erklärt. Unter dem Hashtag #telleurope laufen im Sekundentakt zig Fragen an die KandidatInnen kommuniziert.
20.50 Uhr Warmlaufen bei Phoenix
Phoenix gelingt es, im vorbereitenden Gespräch die Quote der Debatte exakt wiederzuspiegeln. Nehmen mit Ska Keller und der Moderatorin Monica Maggioni zwei Frauen am Duell teil, bietet der „Ereigniskanal“ mit Christiane Hoffmann vom Spiegel und der französischen Journalistin Elisabeth Cadot genauso viele auf. Es ist die Rede vom „hässlichen Entlein“ Europawahl. Na mal sehen, ob da noch – „Rise like a Phoenix“ – ein bisschen mehr passieren wird.
Berlin: Wir hatten ja etwas Sorge – Europawahl, TV-Duell, bei Phoenix und wir machen public viewing im taz-cafe. Doch es gibt ein interessiertes Publikum, die Sitzplätze sind besetzt.Das Fachpublikum frohlockt: „Wir müssen uns freuen, vor 5 Jahren wären höchstens 4 Leute gekommen. Europa wächst!“
20.30 Uhr: Hintergrund
Es ist das erste gesamteuropäische TV-Duell der Spitzenkandidaten zur Europawahl. Jean-Claude Juncker (Konservative), Martin Schulz (Sozialdemokraten), Ska Keller (Grüne), Guy Verhofstadt (Liberale) und Alexis Tsipras (Linke) diskutieren ab 21 Uhr im Streitgespräch.
Die Europäische Broadcasting Union organisiert das TV-Duell. Moderiert wird die 90-minütige Sendung von Monica Maggioni vom italienischen TV-Sender RAI. Mehr als 30 Sender in ganz Europa übertragen das Duell live. In Deutschland der ARD-ZDF-Ereigniskanal Phoenix.
Im Vorfeld gab es Widerstand gegen die Entscheidung von ARD und ZDF, das Duell lediglich im Spartensender zu übertragen und stattdessen in eigenen TV-Duellen nur auf Juncker und Schulz zu setzen. Eine Petition dagegen unterzeichneten fast 28.000 Menschen allein in Deutschland.
ZuschauerInnen sollen aktiv an dem Duell teilnehmen. Über die sozialen Medien können das Duell kommentieren und Fragen an die Spitzenkandidaten richten. Der Hashtag des Abends: #telleurope.
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