Wahlempfehlungen der Europa-taz: Begeisterung, Pflicht und Abscheu
Einige überzeugen mit Satire, andere mit Rhetorik. Manches ist Utopie, anderes Schuldigkeit. Was die Europa-tazler an die Urnen treibt.
Überzeugt hat mich keine der großen Parteien. Zu gering die Unterschiede, zu vage die Pläne, zu schlecht der Wahlkampf. Deshalb werde ich die Satirebranche unterstützen mit einer Stimme für Die PARTEI. Schon 0,5 Prozent könnten für die Partei um den früheren Titanic-Chef Martin Sonneborn für einen Sitz im EU-Parlament reichen. 60 Kandidaten hat sie aufgestellt, für jeden Monat der Legislaturperiode einen. Die geplante Rotation spült Geld und Erfahrung in die Kassen und Köpfe der Satiriker. Gut so.
Selbst der Wahlkampfslogan „Ja zu Europa, Nein zu Europa“ spricht mir aus der Seele. Wer jetzt „verschenkte Stimme“ meckert, dem sei gesagt: Quatsch! Eine Stimme für Die PARTEI schwächt die Rechten. Und es braucht eine starke Front gegen Rechtspopulisten. Etablierte Parteien tun sich bekanntlich schwer mit diesem Pack. Deshalb zähle ich auf Die PARTEI. Nichts ist entlarvender für Nazis und solche, die es werden wollen, als Satire. Denn Satire darf alles, auch gewählt werden. Paul Wrusch
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Wählen ist einfach, jedenfalls wenn man ein Parteibuch hat. Das Kreuzchen geht an die Partei, deren Mitglied man ist. Selbstverständlich. Dieser einfache Logik kann ich zur Europawahl nicht folgen. Als Linker würde meine Stimme zwar Gabi Zimmer zugutekommen, doch ebenso auch Alexis Tsipras nützen.
Ein billiger Populist, verkappter Antisemit und gewiss kein Europäer. An Tsipras merkt man, wie sehr Lothar Bisky der Europäischen Linken fehlt. Und auch am Europa-Wahlprogramm der deutschen Linkspartei, dessen europäischer Spirit kaum messbar ist. Vollkommen unwählbar, es braucht eine Alternative. Vieles verbietet sich, ich bin nicht grundlos Linker. Auf nationaler Ebene für mich undenkbar, kann ich mir gut vorstellen die Grünen zu wählen. Ich will kein TTIP, viel Öko, Energiewende, Netzneutralität. Meine Linke kann das alles nicht, die Grünen im Bundestag auch nicht. Dafür braucht es die Grünen in Straßburg und Brüssel, denn genau dort wird über diese Zukunftsthemen entschieden. Manuel Schubert
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Würde ich meine Wahl von der Performance in den TV-Duellen abhängig machen, ich müsste die Liberalen wählen: Der Sozialist wollte kein Englisch sprechen, die Grüne sagte immer nur „grün“, der Sozi sagte fast gar nichts, weil er sich schon für den Sieger hielt, und der Konservative sagte erst recht nichts, weil er nicht wusste, was er sagen sollte, was die anderen nicht schon gesagt hatten, und wiederholte deshalb immer wieder die Frage.
Der Einzige, der wirklich etwas sagte, war der Liberale. Guy Verhofstadt warnte nicht allgemein vor einem Rechtsruck, sondern entblößte diese Warnung als bigott. Mit Ungarn sei der Rechtsruck längst passiert. Er war der Eloquenteste, Unterhaltsamste und Streitbarste. Mit seiner Biografie (von recht weit rechts zum überzeugten Förderalisten), seiner Partei (schwer diskursunfähig) und seinem Äußeren (Zahnlücke, fettige Haare, ältester Kandidat) ging er als lächerliche Figur ins Rennen. Aber er ist der einzige Kandidat, der das Zeug dazu hat, die AfD lächerlich zu machen. Doris Akrap
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Das Wenigste von dem, was an der EU kritisiert wird, überzeugt: Die Undurchsichtigkeit der Verhältnisse, was die Spiele der Macht angeht. Die Schwierigkeit, keine gemeinsame Sprache zu sprechen. Oder dass für Länder wie Großbritannien oder Frankreich außenpolitisch das Nationale vor dem Europäischen das Prä hat. Regelungswahn, Genderhorror - der ganze Mist: weder für Rechte noch für Linke gut. Auch nicht, dass das Parlament im Zweifel von den tonangebenden Regierungschefs (Merkel, Cameron, Hollande und so weiter) ausgehebelt werden könnte.
Mag alles richtig sein - und wer will, kann gern anfügen, was noch zu monieren wäre. Trotzdem ist die EU, sind die Wahlen zu ihrem Parlament wichtig. Denn es ist ja nur der Anfang. Ein Kontinent, dessen Länder einander spinnefeind waren, wird mählich zivilisiert. An diese utopische Kraft glaubt man - in der Ukraine, in Bosnien und Georgien, selbst in Aserbaidschan und bei manchen in Russland. Alles im Aufbau, das. Weiter so zum noch Besseren. Jan Feddersen
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Ich bin es schuldig, zu wählen. Klingt überhöht und ideologisch. Klingt altbacken und großväterlich. Aber bei dem lahmen Wahlkampf muss man so rangehen. Ich bin es Joachim Gauck schuldig, der mit 50 zum ersten Mal frei wählen durfte. Mit 50! Ich bin es meiner Urgroßmutter schuldig, die ich nicht kenne, weil sie vor dem Mauerfall starb. Was hätte sie darum gegeben, der DDR und ihrer Parteidiktatur nicht mehr untertan sein zu müssen. Weltweit stehen Menschen Schlange, hoffend, unbeobachtet Kreuze machen zu können. In Libyen warteten sie 50 Jahre, um frei den Nationalkongress zu wählen. 50! Wir, Jahrgang 1992, wir müssen nicht mal anstehen.
Mittzwanziger schicken ihren Brief ab. Sie sind übers Wochenende nicht in Berlin, sondern in Frankfurt, Bonn oder Polen. Aber wer zur Wahl geht, sollte es zelebrieren. Nicht freudestrahlend urnenhüpfen, sondern in stiller Freude. Dieses simple Kreuzchen, der Zettelwurf - das ist Freiheit. Und ein bisschen Macht. Kostet es aus! Julia Neumann
Leser*innenkommentare
APOKALYPTIKER
"Ich bin es schuldig, zu wählen. Klingt überhöht und ideologisch. Klingt altbacken und großväterlich."
Vergessen , liebe Julia Neumann , haben Sie noch hinzuzufügen : "Klingt total nach Quatsch." Das würde es auch am ehesten treffen , das Wählen bei dem EU-Operetten-Parlament . Eine Wahl wäre das nur dann , wenn man diese überflüssige Volksverdummungs-'Als ob'-Veranstaltung ganz a b w ä h l e n
könnte .
Übrigens . Der "Wahlkampf" war nicht "lahm" , der war schlicht an Absurdität und Lächerlichkeit nicht zu überbieten , eine Beleidigung der Intelligenz noch des letzten Deppen . Das Gute an dem Wahlkampf : er beweist die Absurdität der Sache selbst . Vielleicht hilft das irgendwann mal , dass die Wähler*Innen aufhören wollen , sich mit sowas selbst zu verarschen .
Uff , ich habe gesprochen ! LOL
90191 (Profil gelöscht)
Gast
@Manuel Schubert:
Ausgerechnet die grünen Einknicker. Lächerhaft.
90191 (Profil gelöscht)
Gast
Ich wähle nicht. Weil es keine wählbare Partei gibt.
vic
Ich wähle, weil ich das Feld nicht den Rechtspopulisten inkl. den C-Parteien überlassen will.
Hans Post
Wird unser Heldenbariton Gregor Gysi (DIE LINKE) bald Nestflüchter und Überläufer? Er empfiehlt bei der Europawahl den Martin Sonneborn von der "Die PARTEI" – so jedenfalls lese ich hier mit einiger Verwunderung:
http://www.tornante.pf-control.de/blog1/?p=18838
Age Krüger
Paul Wruschs Aufruf DIE PARTEI zu wählen, muss man evtl. noch hinzufügen, dass eigentlich jeder, der etwas denken kann und lange genug TITANIC liest, weiß, dass dahinter auch eine durchaus nachvollziehbare Ideologie steht, die man nur unterstützen kann.
Die früheren Beiträge von Böhlich und die heutigen von Gärtner sind durchaus ernstzunehmen und ich habe da wenig drin entdeckt, dem ich vollständig widersprechen müsste.
Hady Khalil
Eine Stimme für das Recht
Auf Arbeit. Jetzt bin ich entschieden, wen ich von den drei in Frage kommenden Parteien ich wähle. SPD würd ich ja gern, geht aber nicht wegen deren Zustimmung zum TTIP. Es heißt sie würden keine Verbraucherstandards preisgeben. Welche Branchen und Arbeitsplätze sollen denn dem freien Fall der Marktgesetzen, nur die Stärksten überleben, geopfert werden, für…? Habe gehört, sogar Bildung soll liberalisiert werden. Gebt ihr aUFß –Den Bildungssektor zu sanieren?Die versiertesten Kritiker sind die Bündnisgrünen. Allerdings gibt es dort auch eine starke Fraktion der amerikanischen Thinktankbesucher und Frackinggasfreunde und wenn die sich mit den Russlandphobikern zusammentun, weiss man nicht was hinten rauskommt. Haben sich AFD und NPD gegen ein Freihandelsabkommen mit den seit Jahrhunderten ungeschlagenen Weltmeistern im Pokern ausgesprochen? Habe nichts gehört. Bleiben die LINKEN. Es wird ja allgemein gedacht, das Europa das Abstellgleis für ausrangierte Politiker sei. Wahrscheinlich wurde das von denen selbst in die Welt gesetzt , um geschickt zu verharmlosen, das dass ja Leute sind mit den allerdesten Verbindungen und Vertreter ihrer Interessengruppen. Oft wird die europäische Bühne ja auch benutzt, um die Interessen, die man im eigenem Land und Wahlkreis nicht durchsetzen kann, über Europa durchzusetzen. Stichwort, Genforschung, AKW, Fracking…
Gottfried Diethelm
Die Partei, das Karma nimmt keinen Schaden.
Peter Osten
Lieber Manuel Schubert, sie schreiben von Tsipras: "Ein billiger Populist, verkappter Antisemit und gewiss kein Europäer." Gibt es dafür Belege, frage ich mich (auch wenn ich Grün-Wähler bin)? Immerhin wird Tsipras in Italien von Barbara Spinelli unterstützt ...
Sikasuu
Der Linken fällt nicht ein?
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Schade, da gibt es doch Vorlagen auf die man zurückgreifen könnte. ZB:
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„Vereinigte Staaten von Europa – das wäre vor allem die einzige denkbare Form der Diktatur des europäischen Proletariats.“ (Trotzki: Das Friedensprogramm, Band 3, Teil 1, S.92.) usw.
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Ein wenig zeitgemäss angepasst:-) Das Programm ist doch da.
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Meint
Sikasuu
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Ps. Wo heute selbst Banker die Akumulation der Kapitals in immer weniger Hände als große Gefahr für den Kapitalismus ansehen:-)