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Kristina Hänel über ihr 219a-Urteil„Ich will keine Märtyrerin sein“

Die Ärztin Hänel wurde wegen Paragraf 219a, der Werbung für Abtreibung verbietet, rechtskräftig verurteilt. Nun zieht sie vors Verfassungsgericht.

Gibt nicht auf: Kristina Hänel Foto: Boris Roessler/dpa
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Frau Hänel, Sie haben angekündigt, Informationen über Schwangerschaftsabbrüche von der Website Ihrer Praxis zu nehmen. Warum?

Kristina Hänel: Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat meine Revision verworfen. Ich bin nun nach Paragraf 219a zum ersten Mal rechtskräftig verurteilt. Wenn ich die Informationen jetzt nicht von der Seite nehme, wären immer wieder Anzeigen möglich. Letztlich würde mich das finanziell ruinieren.

Was haben Sie die Anzeigen von Abtreibungsgegnern bisher gekostet?

Allein die Anwalts- und Verfahrenskosten von meinen Kolleginnen Nora Szász, Bettina Gaber und mir dürften bei um die 60.000 Euro liegen. Und ich habe ja noch nicht mal Strafe gezahlt, da kommen also nochmal 2.500 Euro drauf. Zum Glück hat der Verein Pro Choice Deutschland mittlerweile ein Spendenkonto für uns eingerichtet.

Was passiert jetzt? Geben Sie auf?

Natürlich nicht. Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich mache. Auch über die Frage, ob ich ins Gefängnis gehen würde, um etwas zum Guten zu verändern. Aber ich will keine Märtyrerin sein. Ich glaube, dass der Weg zum Bundesverfassungsgericht nun erstmal der richtige ist. Der ist jetzt frei.

Sie reichen Verfassungsbeschwerde ein?

Im Interview: Kristina Hänel

64, ist Ärztin für Allgemeinmedizin. Im November 2017 wurde sie verurteilt, weil sie auf ihrer Website darüber informiert, dass und wie sie Schwangerschaftsabbrüche macht. Ihre Verurteilung löste eine bundesweite Debatte um den Paragrafen 219a aus, der „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche verbietet

Die ist schon vorbereitet. Mit dem Urteil des OLG Frankfurt habe ich gerechnet. Die Berliner Ärztin Bettina Gaber war die erste, die nach Paragraf 219a rechtskräftig verurteilt wurde. Sie hat bereits Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Jetzt kommt meine dazu. Ich hoffe, das erhöht den Druck.

Dass Sie im November 2017 vom Amtsgericht Gießen zum ersten Mal verurteilt wurden, war der Auslöser einer bundesweiten Debatte über den Paragrafen 219a. Was hat sich seitdem getan?

Was seitdem passiert ist, hat mein Leben verändert. Ich habe unglaublich viel mediale Aufmerksamkeit bekommen. Das hilft, um mein Ziel zu erreichen, das nach wie vor ist: den Paragrafen 219a abzuschaffen oder so zu verändern, dass Ärz­t:in­nen Frauen darüber informieren dürfen, wie sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Ich bin außerdem eine Reizfigur für Abtreibungsgegner geworden, die mich zum Teil bedroht haben. Das ist zwar eine Belastung, aber kein Grund, mich selbst in den Keller einzusperren. Hier in Hessen gibt es jetzt immerhin Schutzzonen von 150 Metern um unsere Praxen.

Das heißt, es sind keine „Mahnwachen“ von Abtreibungsgegnern mehr möglich, durch die die Frauen hindurch müssen.

In Hessen nicht, aber in anderen Bundesländern und Städten schon, das ist ein großes Problem. Es wird auch weiter angezeigt, weiter angegriffen. Und der unsägliche Kompromiss der großen Koalition zum Paragrafen 219a hat die rechtliche Situation für uns Ärz­t:in­nen letztlich nur verschlechtert: Mit ihm wurde klar, dass auch die sachliche Information über das „Wie“ von Schwangerschaftsabbrüchen in jedem Fall bestraft wird.

Das klingt nach einer bitteren Bilanz.

Das stimmt nicht: Das Positive überwiegt deutlich. Es gab unglaublich viel Anerkennung dafür, dass wir uns engagieren. Egal, wo ich mit Lesungen hinkam, wurde ich mit offenen Armen empfangen. Studierende un­d Ärz­t:in­nen kommen in unsere Praxen und wollen von uns lernen. Gruppen von Ak­ti­vis­t:in­nen sind entstanden, die versuchen, die Situation für Ärz­t:in­nen und Frauen zu verbessern. Auch dass Abbrüche in Argentinien, Südkorea oder Irland legalisiert wurden, ist ein enormer Erfolg.

Sie sehen Ihren Kampf im globalem Kontext?

Ja. Was hier in Deutschland passiert, ist nur ein Teil der Geschichte. Frauen kämpfen weltweit um ihre Rechte.

Hat die Pandemie Ihre Arbeit verändert?

Immens. Ich habe viel, viel mehr Zulauf. Das liegt daran, dass meine Praxis so bekannt ist. Viele Frauen, die sonst keine Informationen finden, wenden sich mit Fragen an mich. Andere Praxen haben in der Pandemie ihr Angebot eingeschränkt, manche Krankenhäuser machen keine Abbrüche mehr. Diese Frauen landen jetzt bei mir.

Wie machen Sie nun weiter?

Ich sehe den Schritt zum Bundesverfassungsgericht als Push. Im Paragraf 219a können nur noch verbohrte Fun­da­men­ta­lis­t:in­nen irgendeinen Sinn erkennen. Aber ich kann eine Gesetzgebung, die ärztliche Aufklärung und Information verbietet, nicht akzeptieren. Ich werde also zum einen weiter als Ärztin für Frauen da sein.

Und zum anderen?

Ich darf auf meiner Webseite nun nicht mehr über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Aber alle Personen, die keine Abbrüche machen, dürfen das. Ich habe den großen Wunsch und die Hoffnung, dass der Schwung aus den vergangenen vier Jahren zu einem kraftvollen Akt führen kann.

Leute, hierzulande gibt es 80 Millionen Menschen! Wenn auch nur ein paar von euch in die Lücke springen, wenn auch nur ein paar von euch sachliche Informationen ins Netz stellen – dann braucht es meine nicht mehr. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Aber wer Interesse hat, findet bereits Aufrufe mehrerer Personen auf verschiedenen Social Media-Kanälen. Wir können die Informationshoheit nicht den Fun­da­men­ta­lis­t:in­nen überlassen.

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19 Kommentare

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  • Wie wäre,es, wenn die taz, die ja selbst keine Schwangerschaftsabbrüche anbietet, eine Webseite mit Informationen zu selbigen aufmacht?

    Das wäre mal so richtig subversiv.

    Und zur Not hat die taz ja auch kampferprobte Juristen zur Hand.

  • Die Gesetze samt Gerichtsbürokratie sind eine Farce und Schande für diese Gesellschaft. Stoppt die Kriminalisierung von schwangeren Personen und deren medizinischen Versorgung!

  • Frau Hänel ist von sog. "Lebensschützern" bedroht worden- Muss Mensch sich mal Gedanken darüber machen. Das ungeborene Leben "schützen", das lebende bedrohen wollen

    • @Rasmuss:

      Tjo, Christ*innen und "Nächstenliebe".

    • @Rasmuss:

      Es geht den "Lebensschützern" um "unschuldiges" Leben. Führt jemand Abtreibungen durch, ist er in deren Augen ein Mörder. Ob da ein Wunsch nach Selbstjustiz bzw. Todesstrafe oder zu starkes Hineinsteigern in einer ohnehin sehr emotionalen Debatte dahinter stecken, kann pauschal nicht beantwortet werden. Zu verurteilen ist es aber in jedem Falle.

    • @Rasmuss:

      Kurz und knapp auf den Punkt gebracht, nicht nur Dummheit ist unendlich.

    • @Rasmuss:

      Manche Leute meinen eben, der Zweck heilige die Mittel. Einzelne lebene Menschen als Opfer sind für möglicherweise sie hinzunehmen, um die Vielzahl IHRER Opfer zu retten.

      Ich möchte das in dieser Pauschalität mitnichten verteidigen oder gutheißen. Nur gebe ich zu Bedenken geben, dass wer um das friedliche, hassfreie Miteinander der Menschen besorgt ist, aber "I still hate...", bezogen auf einen Menschen (egal wen), als Motto führt, an der Stelle vielleicht ein wenig im Glashaus sitzt...

      • @Normalo:

        Mit dem Geschwurbel wollen Sie relativieren? Tatsächlich wurden bereits einige Ärzt*innen ermordet, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.

        • @Uranus:

          Ich will nichts relativieren. Ich weise nur darauf hin, dass "Der Zweck heiligt die Mittel" ein nicht nur bei selbsterklärten Lebensschützern verbreiteter Irrglaube ist.

          Zu den Fakten: Wir haben in Deutschland ein Recht zur Notwehr und Nothilfe, das auch die Tötung eines Angreifers mit einschließt, wenn der Angriff "rechtswidrig" und "gegenwärtig" und die Tötung "geboten" ist. Bei Anschlägen auf Ärzte, die legale Schwangerschaftsabbrüche durchführen, greift dieses Recht nicht ein, aber im Kopf der Abtreibungsgegner möglicherweise schon. Denn für sie ist "ungeborenes Leben" einfach "Leben", und nichts kann seine Tötung rechtfertigen.

          Das ist - ob's Ihnen passt oder nicht und wie auch immer Sie es werten wollen - die unterstellbare Sichtweise dieser Leute. Sie ist natürlich weder sakrosankt noch befindet sie sich im Einklang mit der Rechtsordnung. Aber sie ist in sich durchaus nicht so widersprüchlich, wie @Rasmuss andeutet.

  • Was ich nicht verstehe, warum schreiben Ärzte ihr Fachwissen nicht einfach in der Wikipedia nieder oder verwenden andere öffentliche Systemen? Selbst wenn der Enkel die Webseite mit den Informationen über die Verfahren betreibt wäre dem Gesetz schon genüge getan oder warum macht das z.B. nicht die Ärztekammer. Oder ist dieser Verein auch christlich-rechts versifft?

    Wenn nicht der einzelne Arzt selbst informiert ist es ja keine "Werbung" (auf sowas muss man erst mal kommen!) für eine eigene Praxis. Oder habe ich da was falsch verstanden?

    so lange jeder Arzt sagt: ich führe Verfahren A,B,C durch und was was ist finden sie hier --> Link... ist das doch rechtlich einwandfrei.

    • @danny schneider:

      Das ist einer der Fälle, der meiner Achtung vor Recht und Justiz wieder wieder einen Stich versetzt.

    • @danny schneider:

      "so lange jeder Arzt sagt: ich führe Verfahren A,B,C durch und was was ist finden sie hier --> Link... ist das doch rechtlich einwandfrei."

      Nein, ist es (noch) nicht. Ärzte dürfen nach meinem Verständnis in der allgemeinen Öffentlichkeit nur mitteilen, DASS sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, nichts zum "Wie". Frau Hänel möchte darüber hinaus wohl SELBST beschreiben dürfen, was unter den Verfahren zu verstehen ist, die sie anwendet (oder am Besten gleich die ganze Werbung straffrei stellen lassen).

    • @danny schneider:

      Laut 219a StGB reicht das öffentliche Anbieten, was auch sowas wie "Ich führe Verfahren A, B, C durch." einschließt.

  • @HENNI und andere

    Spendenkonto www.pro-choice.de

    • @Henni:

      Danke, da habe ich gleich mal gespendet.

      • @Gesunder Menschenverstand:

        Ich danke auch und habe da auch gespendet. Solidarische Grüße



        Still loving Feminism

  • @Frau Hänel - Chapeau! Wie kann man/frau helfen?

  • Ich bin kein Jurist und weiß nicht, welche Interpretationsspielräume die Justiz bei solch unsinnigen Paragraphen wie 218 und 219 haben.



    Wenn aber ein Gesetz unsinnig aus der Zeit fällt, muss es revidiert oder wie hier vom Gesetzgeber abgeschafft werden!



    @ Kristina Hänel - COURAGE



    Wo gibt's das Spendenkonto?