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Krise in RusslandPutin lahmt, Hofstaat verunsichert

Der Präsident hinkt, die Bürger begehren auf, es herrschen teilweise „chaotische Zustände“: Ist der Kreml von einer politischen Führungskrise erfasst worden?

Präsident Putin im Kreise seiner Liebsten. Bild: reuters

MOSKAU taz | Ausgerechnet der japanische Ministerpräsident Yoshihiko Noda brachte das delikate Thema wieder aufs Tapet. Noda sagte am Freitag eine geplante Russlandvisite mit Rücksicht auf Wladimir Putins Gesundheitszustand ab. Der Kreml schäumte vor Wut. Wieder war Putins Pressemann genötigt, Gerüchte um eine ernsthafte Erkrankung seines Chefs zu zerstreuen.

Putin hinkt seit September. Offiziell heißt es, der sportbegeisterte Präsident habe sich beim Trainieren verletzt. Je häufiger die Version wiederholt wird, desto weniger glaubt man sie. Selbst Kameraleute des byzantinischen Kreml-TV beklagen sich hinter vorgehaltener Hand, dass sie den Herrscher in kaum einer Position noch filmen dürfen, während Physiotherapeuten im Netz Zweifel anmelden: maximal einen Monat würden sie brauchen, um den Präsidenten wieder zum Laufen zu bringen, wenn es denn ein Sportunfall gewesen sein sollte.

Schon wieder ist Putin in Bedrängnis. Erst mischten die Proteste gegen Wahlfälschungen im vorigen Dezember unerwartet Russlands politische Landschaft auf: Aus dem vormaligen Garanten für Stabilität wurde über Nacht ein Symbol für Rückständigkeit und Rückwärtsgewandtheit.

Nun nagt auch noch ein körperliches Malaise am Image des unverletzbaren, ewig jungen und alles beherrschenden Machos. 2010 entblätterten sich Studentinnen noch als Geburtstagsgeschenk auf einem Pin-up-Kalender. Natalja aus Kursk, die diesjährige Vertreterin beim Schönheitswettbewerb „Miss Erde" auf den Philippinen, meldet sich hingegen mit einem Text über die Heimat zu Wort: „Ein Land, dessen Reichtum von wenigen Auserwählten außer Landes geschafft wird, mein Russland – ist ein Bettler", ließ sie die Jury wissen.

Die Atmosphäre ist freier geworden

Allein in diesem Jahr beträgt die Höhe des Fluchtkapitals rekordverdächtige 80 Milliarden Dollar. Vor kurzem hätten Patrioten noch aufgeschrien, und die Kremljugend wäre aufmarschiert. Inzwischen lässt sich dergleichen nur noch in Ausnahmefällen ahnden. Es sind zu viele, die Widerspruch wagen.

Die Atmosphäre ist freier geworden, auch wenn der Kreml versucht, durch Repression den Protest einzudämmen und den politischen Gegner zu kriminalisieren. Das Hochverratsgesetz wurde verschärft, das jeden, der zu Ausländern Kontakt hält, im Bedarfsfall zum Spion erklären kann. Auch die Brandmarkung westlicher NGO als „ausländische Agenten" gehört zu diesen Maßnahmen. Bis jetzt reagiert die erwachende Zivilgesellschaft eher trotzig denn eingeschüchtert.

Der Kreml versucht auch nicht mehr, die hastig verfassten Gesetze als demokratisch zu kaschieren. Das Ziel der Machterhaltung ist zu offensichtlich. Damit verlässt die herrschende Elite den Kurs der Vorjahre, als sie sich zu gemeinsamen europäischen Werten bekannte und Abweichungen als Besonderheit und Tribut an die russische Tradition darstellte.

„Chaotische Zustände“ in der Führungsetage

Stattdessen unterstützt sie jetzt offiziell den „spezifisch russischen Weg", der auf konservative Institutionen wie die orthodoxe Kirche baut. Damit grenzt sich die politische Klasse gegenüber den 15 bis 20 Prozent der urbanen Mittelschicht ab, die Veränderungen verlangen, und setzt auf die Traditionalisten: Pensionierte, Arbeiter in Staatsbetrieben, Armeeangehörige und Bürokraten.

Der einstige PR-Berater des Kremls, Gleb Pawlowski, spricht von „chaotischen Zuständen“ in der Führungsetage. Die Zweifel nehmen zu, dass der Präsident die Interessen der eigenen Klientel nicht mehr lange schützen kann. Auch auf den unteren Ebenen herrscht Ratlosigkeit: Wie lange hält das System noch? Wen wird es im Interesse des Regimeerhalts opfern?

Putin lancierte soeben eine Antikorruptionskampagne, die zwar Punkte beim Wahlvolk bringt, aber auch die Loyalität der Bürokratie gefährdet. Untere Chargen werden zur Verantwortung gezogen, leitende Kader wie der Verteidigungsminister geraten zwar ins Zwielicht, müssen aber nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Die Verunsicherung der Machthaber ist gewaltig, obwohl die Opposition den Druck der Straße nicht aufrechterhalten konnte und ihr es auch nicht gelang, Führer zu bestimmen oder ein Programm aufzustellen.

Auch die Opposition ist mit sich befasst, klar ist jedoch: Sie wird nicht weichen. Politisch aktiv zu sein, ist modisch geworden. Ebenso klar ist dem Kreml: Geht er auf die Forderung nach Demokratisierung ein, betreibt er Selbstdemontage. Untergehen wird das archaische System des autoritären Zentralismus ohnehin. Die offene Frage ist: durch Revolution, inneren Zerfall und Verwesung oder über den Umweg einer Diktatur? Qualvoll wird es so oder so.

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19 Kommentare

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  • B
    Benz

    @Hendrix

    In der russ. Verfassung steht klipp und klar, dass nur zwei AUFEINANDERFOLGENDE Amtszeiten verboten sind. Woran sich Putin selbstverständlich gehalten hat. Aber es steht nirgends, dass ein Ex-Präsident nicht Premier sein dürfe. Oder nach einer Pause wieder Präsident werden dürfe. So sind nun mal die Fakten.

     

    Daran kann nichts geändert werden, schliesslich ist die russ. Verfassung kein beliebig dehnbares Gummigesetz. Es ist die Art totalitärer Regimes, die Gesetze je nach Bedarf zu dehnen. Aber dass Sie das gutheissen überrascht mich eigentlich nicht mehr, sie riefen ja auch nach der Zensur.

  • H
    Hendrix

    In der russ. Verfassung ist nicht zum Spass die Beschränkung auf zwei Amtszeiten aufgenommen worden. Das geschah nicht mit dem Ziel, dass, nach Einsetzen einer Marionette, der Präsident zurückkehrt. Insofern ist die Rochade zwischen Putin und Medwedew zwar kein formaler Verstoß gegen die Verfassung, verhöhnt diese jedoch.

     

    In D kann jeder Kanzler beliebig oft wiedergewählt werden. D ist keine präsidiale, sondern eine parlamentarische, Republik und das Kanzleramt mit weit geringeren Machtbefugnissen ausgestattet als der Präsident in einem präsidialen System wie Frankreich oder die USA. Anders als in RU treten dort die Präsidenten auch ohne zu murren nach zwei Amtszeiten ab...

  • B
    Benz

    @Hendrix

    Aber Sie wissen schon, dass

    1) in Ru der Präsident nur 2 Amtszeiten hintereinander haben darf

    2) Putin folgerichtig 2008 das Präsidentenamt verliess (=demokratischer Machtwechsel)

    3) DE keine Begrenzungen der Amtszeiten des Kanzlers kennt? Kohl z.B. blieb volle 4 Amtszeiten hintereinander im Amt.

  • H
    Hendrix

    Benz, Sie verwechseln mal wieder die elementarsten Grundbegriffe. Die Trennung von der Macht kommt natürlich immer, muss aber kein Sturz sein. In demokratischen Systemen findet ein Machtwechsel durch Abwahl statt, oder weil ein Kandidat nicht wieder antritt. Für letzteres ist übrigens auch Jelzin ein positives Beispiel. Der Machtwechsel wird von allen Beteiligten akzeptiert.

     

    In autoritären Regimen wie Russland treten die Herrschenden nicht freiwillig ab, sondern nutzen jede, auch undemokratische, Möglichkeit sich an der Macht zu halten. Denken wir nur an die letzten Wahlfälschungen in RU. Ein Putin tritt nicht freiwillig ab. Oder gar durch Wahlen: Als ob Russlands oberster Wahlfälscher Tschurow, bekannt durch seinen Ausspruch "Kann Putin etwa irren?", je einen Sieg der Opposition akzeptieren würde. Und weil der Machtwechsel nicht demokratisch erfolgen kann, erfolgt er gegen den Willen der autoritären Machthaber: durch deren Sturz!

  • B
    Benz

    @Fred

    Jawohl! Es lebe die strikt der westlich-progressiv-menschenrechtlicher Linie folgende Russlandberichterstattung der taz! Es lebe der Euro, die Nato und die EU! Solche enthusiastischen Bürger wie Sie braucht die Bundesrepublik.

     

    @Hendrix

    Auch Ihnen kann ich ausnahmsweise mal zustimmen, da Sie ja eine Binsenweisheit geschrieben haben. ''Sicher ist, dass der Sturz kommt.'' Das ist tatsächlich sicher, stimmt so für jede Regierung jeden Landes. Auch Merkels Sturz wird sicher kommen. Allein schon wegen der unausweichlichen Sterblichkeit des Menschen.

     

    Gerne dürfen Sie in Ihren Kommentaren auch etwas gehaltvollere Aussagen bringen.

  • H
    Hendrix

    Benz, es geht wie gesagt nicht um Putins Krankheit, sondern um die typisch sowjetische Geheimniskrämerei, die daraus gemacht wird.

     

    Was Ihre rhetorische Frage nach dem Zeitpunkt des Regimesturzes angeht, die Sie schon zum hundertsten mal stellen: Niemand kann das genau sagen, bei keinem autoritären Regime. Aber wie der Autor schon schrieb: Sicher ist, dass der Sturz kommt. Und das ist auch in Russland jedem klar.

  • F
    Fred

    Die taz ist die pointierteste, in meinen Augen die interessanteste Zeitung im gesamten deutschsprachigen Raum. Klaus-Helge Donath ist in meinen Augen der beste deutschsprachige Russlandberichterstatter. Ohne taz und ohne die Berichte und Analysen von Donath wäre mein Leben als Russlandinteressierter ohne Zweifel ärmer. Danke!

  • B
    Benz

    @Hendrix

    Sie sollten eigenes Wunschdenken nicht mit der Realität verwechseln. Wenn Sie Putins Rückenschmerzen als Agonie Russlands bezeichnen, dann sind Merkels herabhängende Mundwinkel Deutschlands Untergang oder was?

     

    Ja wann kommt sie denn, die gross angekündigte, aber immer wieder verschobene russische Revolution? Ist wie beim Comeback von Michael Jackson- da wurde auch immer wieder eine neue Konzerttournee angekündigt und immer wieder abgesagt und verschoben.

  • H
    Hendrix

    Guter Beitrag, beschreibt treffend die Agonie des Regimes. Dieses wird der Sowjetunion immer ähnlicher; der Umgang mit Putins Krankheit erinnert an die gute alte Breschnew-Zeit. Alter Ost-Witz: "Worin unterscheidet sich der Sozialismus vom Feudalismus? Im Feudalismus wird die Macht vom Vater zum Sohn übertragen. Im Sozialismus von Opa zu Opa." In Russland von Putin zu Medwedew und zurück.

  • G
    garfield

    ich lese immer nur einmischen???

    wenn die sz was über den berliner flughafen schreibt, ist das einmischen? wenn die taz über goma berichtet?

    das nennt sich journalismus und es spielt erst mal keine rolle, ob das richtig, falsch, schwachsinnig oder klug ist...

  • B
    Benz

    Die russische neoliberale Opposition verkündet wieder einmal die nahende Revolution... Na das ist ja lustig, aus Putins Rückenschmerzen eine Staatskrise machen zu wollen. Mein Gott, es gibt viele Länder, die wären froh wenn der Rücken des Staatschefs ihr grösstes Problem wäre.

  • ES
    erner Schittenhelm

    Ein höchst widerlicher Bericht von KLAUS-HELGE DONATH.

    Ich verstehe nicht warum sich Deutsche in Agelegenheiten anderer Länder mischen obwohl auf den heimischen Gefilden viel Arbeit wäre.

    Was soll es: Zucht und Ordnung waren immer beliebte Themen in Deutschland.

  • O
    Otton

    In den Amerikas (beiden) liest man auch solche Artikel ueber "Zerfall" und "Hinken" - aber in EU-Europa...

  • HS
    Hari Seldon

    Augenscheinlich versteht der Herr KHD immer noch nicht, was Dempokratie ist. Demokratie bedeutet die Regierung der MEHRHEIT. Er schreibt über 15-20% städtische Mittelschicht. Davon sind mindestens 60% Putin-Wähler, so übrig bleibt ca. 6-8% der Bevölkerung (obwohl die "Grossdemonstrationen" mit 0,0..1% Grössenordnung lassen erahnen, dass hier um eine sehr kleine, aber dafür sehr agressive und lautstarke Minderheit geht). Nun, bitte, meint der gute KHD, dass es demokratisch wäre, wenn die Regierung in Russland im Interesse von max. 6-8% der Bevölkerung regieren würde? Ein neutraler Beobachter würde einen Besuch beim Arzt für Herrn KHD empfehlen, aber für die TAZ-Leser ist er schon seit langem wegen seiner Putin-Phobie bekannt. Zum Sportverletzungen: Leider kommen solche Verletzungen vor. Und wie Putin sich Filmen lässt, ist seine eigene Sache, und fragt den Herrn KHD darüber niemand. Übrigens, die Mobbing und Meckereien von KHD&Co. zeigen, dass Putin im Interesse von Russland, und nicht im Interesse von anderen Ländern regiert.

     

    @TAZ: Bitte, das Geld für Artikel besser einzusetzen, und objektive Lageberichte zu veröffentlichen. Die subjektive Mobbing von KHD degradiert TAZ auf das Niveau von der BLÖD-Zeitung. Für die persönliche Meinungsäußerungen sollte der KHD selbst eine eigene Zeitung starten. Mal sehen, wie groß die Interesse der Leserschaft wäre (mit hoher Wahrscheinlichkeit ca. Null Komma Nix).

  • V
    vantast

    Putin hinkt? Das hat man auch Mephistofeles nachgesagt. Ich denke, nach den PussyRiots fehlen ihm nun die Eier, ich hatte ihn noch nie für einen Mann gehalten. Männer kämpfen wie Männer und nicht wie Juristen oder Spione.

  • B
    BerndJoel

    Laut manager-magazin lagern im Ausland 480 Milliarden deutsches Schwarzgeld, 100 Milliarden werden jährlich laut OECD an Steuern in Deutschland hinterzogen. Allerdings eins haben wir nicht: Eine Natalja aus Bitterfeld, die über die Heimat mal Klartext redet.

  • ES
    Erich Schlapphut

    Da sich die Geschichte ja immer wieder wiederholt hat, werden wir wohl in der nächsten Zeit einen Zerfall der bisher gekannten Strukturen auf der Welt erleben, denn die Demokratie kann die momentanen Probleme nicht lösen, dazu wurden innerhalb und zwischen den Völkern, nach dem kalten Krieg, neue Feindbilder geschaffen. Wo welche Eroberungskriege oder Bürgerkriege stattfinden werden ist heute noch nicht abzusehen. Da jetzt durch die moderne Technik alles global vernetzt ist und wir total davon abhängig sind, wird auch der kleinste Winkel in Europa durch die Auseinadersetzungen in Form einer Krise davon betroffen sein. Früher haben die Partisanen ihre Mittel eingesetzt, heute werden es Cyberkrieger sein die die Infrastruktur zerstören. Geheimdienste werden nicht ruhen um andere Regierungen und Völker zu destabilisieren. Mal sehen wann der nächste Fenstersturz stattfindet und wo?

  • HL
    Henning Lilge

    Liebe Taz,

     

    fällt Ihnen auf dem Weg zu demokratischeren Strukturen wirklich nichts Besseres ein:

     

    Untergehen wird das archaische System des autoritären Zentralismus ohnehin. Die offene Frage ist: durch Revolution, inneren Zerfall und Verwesung oder über den Umweg einer Diktatur? Qualvoll wird es so oder so.

     

    Empfehlen Sie das auch für Westeuropa? Baader- Meinhof, Stalin und Lenin würden Ihnen Beifall klatschen - ich nicht.

     

    Mit freundlichen Grüssen

    Henning Lilge

  • BG
    Bernd Goldammer

    Darf ich daran erinnern, dass wir in Deutschland einen Finanzminister haben, der im Rollstuhl sitzt und sein riesiges Aufgabenpensum trotzdem erfüllt. Der Artikel strotzt wieder einmal vor Putin Mobbing bei gleichzeitiger Erhöhung der russischen Opposition. Aber wenigstens macht er neugierig auf die vielfältige russische Wirklichkeit. Doch die wird in der TAZ leider sehr manipulativ abgebildet. Könnte die TAZ nicht einfach mal recherchieren, wie viele deutsche Parteistiftungen die russische Opposition auf Kosten der deutschen Steuerzahler ernähren? Dann wären wir schon einen großen Schritt weiter.