Krise beim FC Hansa Rostock: Kogge im Sturm
Beim Drittligisten Hansa Rostock geht’s drunter und drüber: Ein Ultra übernimmt die Führung des Aufsichtsrates, und einen neuen Trainer gibt's auch.
Rostock hat am Samstag einen wichtigen Sieg eingefahren. Der Fußball-Drittligist besiegte den VfL Osnabrück mit 2:0. Damit entfernten sich die Mecklenburger von den Abstiegsrängen. Eine Woche zuvor hatten sie Rot-Weiss Essen mit 4:0 bezwungen, doch für Schlagzeilen sorgte der Angriff vermummter Täter, die der Rostocker Fanszene zugeordnet werden, auf einen Sonderzug mit Anhängern von Essen. Es soll eine Verabredung zur Prügelei gewesen sein, der sich die RWE-Ultras nicht stellten.
Kurz darauf erklärten fünf Hansa-Aufsichtsräte ihren Rücktritt. „Seit einiger Zeit beobachten wir eine Entwicklung, die uns mit Sorge erfüllt“, stand in einer Erklärung von Rainer Lemmer, Christian Stapel, Henryk Bogdanow, Frank Schollenberger und Immanuel Fuhrmann. Für sie sei eine rote Linie überschritten worden.
Es war ein beispielloser Vorgang in der an Skandalen reichen Hansa-Geschichte. Und er kam überraschend, denn dass den Räten die angeführten Werte wie „Fairness, Weltoffenheit und Respekt“ besonders wichtig gewesen wären, hatten Lemmer und seine Mitstreiter während ihrer Amtsführung selten erkennen lassen.
Hansa ist ein emotionaler Verein – und mit rund 28.000 Mitgliedern einer der größten in Deutschland. Dennoch hat der Ruf stark gelitten. Aus verschiedenen Gründen: sportlicher Niedergang, ständiges Heuern und Feuern von Spielern, Trainern und Verantwortlichen sowie häufige Krawallen in der Fanszene.
Im Zuge der Turbulenzen rückt nun ein Ultra an die Spitze des Aufsichtsrates: Fan-Vertreter Sebastian Eggert, ehemaliger „Vorsänger“ des harten Kerns und Mitbegründer der „Suptras“, Hansas größter Ultragruppe, ist der neue Vorsitzende. Der 43-Jährige ist eines der beiden verbliebenen Mitglieder des zuvor siebenköpfigen Kontrollgremiums.
Seine Personalie polarisiert. Im Umfeld der Klubs gibt es einerseits die Sorge, dass der Einfluss der Ultras größer und unkontrollierter wird. Sie haben bereits viel zu sagen im Verein. Andere dagegen hoffen, dass es weniger Krawalle und mehr Ruhe geben wird. Wer, wenn nicht Eggert, könne dafür sorgen, heißt es. „Eggi“ habe Hansa im Blut und trage den Verein im Herzen. Doch bislang hat er sich von Gewaltexzessen der FCH-Anhänger nicht öffentlich distanziert.
Seit 2003 ist Eggert Klubmitglied und seit 2016 im Aufsichtsrat. Nach eigener Aussage besucht er seit Anfang der neunziger Jahre Hansa-Spiele – und hat in dieser Zeit viele Höhen und Tiefen erlebt. Seine Motivation? „Tatsächlich ist es die Liebe zu diesem einzigartigen Verein, der für viele Menschen in Mecklenburg-Vorpommern und darüber hinaus im Privatleben den Lebensmittelpunkt darstellt“, lässt sich Eggert auf der Internetseite seines Arbeitgebers DNV zitieren.
DNV ist ein weltweit führender Anbieter digitaler Lösungen für das Risikomanagement und die Verbesserung der Sicherheit und Anlagenleistung für Schiffe oder Stromnetze. Der Hauptsitz des Unternehmens ist im norwegischen Oslo. Eggert ist offensichtlich ein intelligenter Mann, der sehr erfolgreich von Dubai aus arbeitet, wo er als Global Head of Sales, Service und Head of Consulting für die Schiffsproduktlinie verantwortlich ist.
Nicht nur beruflich reist er unzählige Kilometer durch die Welt, sondern auch für die Hansa-Kogge. Für ein Interview mit Hansa-TV kam Eggert vergangene Woche extra nach Rostock. Wie es heißt, auf eigene Kosten. Lässig in blauer Jeans und mit einem dunklen Hansa-T-Shirt bekleidet, ordnete er im Interview mit FCH-Mediateam-Mitarbeiter Oliver Schubert sachlich die Situation nach dem Aufsichtsratsbeben ein. Der Verein sei trotz der Rücktritte handlungs- und beschlussfähig.
Zwei Ersatzmitglieder rücken demnächst ins Kontrollgremium nach. Am 24. November erfolgt auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung eine Nachwahl. Am selben Tag findet auch die ordentliche Jahresversammlung des höchsten Vereinsgremiums statt. Dort dürfte auch das Aus des langjährigen Vereinschefs Robert Marien diskutiert werden, der vom alten Aufsichtsrat entmachtet wurde.
Sein Nachfolger Jürgen Wehlend, der Marien ursprünglich nur während einer krankheitsbedingten Auszeit vertreten sollte, ist nicht unumstritten. Der 59-Jährige hatte im Sommer einen Neuanfang auf allen Ebenen ausgerufen. Trainer, Spieler und Manager wurden ausgetauscht, neue Strukturen geschaffen. Doch der Erfolg blieb zunächst aus.
Vergangene Woche wurde HSV-Legende Bernd Hollerbach nach nur vier Monaten als Trainer wieder beurlaubt. Simon Pesch und Marcus Rabenhorst übernahmen als Interimstrainer. Nun rücken sie wieder zurück ins zweite Glied. Gut eine Stunde nach dem Spiel gegen Osnabrück gab Hansa bekannt, dass Ex-Profi Daniel Brinkmann als neuer Chefcoach übernimmt – mit Zustimmung des Aufsichtsrats, der die Entscheidung absegnen musste.
Nun soll endlich wieder Ruhe einkehren bei Hansa. Dafür könnte wohl auch „Eggi“ sorgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW