Kriminologe über rechte Polizisten: „Kein kleines Häufchen, das da stinkt“
Um Rechtsextremismus in der Polizei zu bekämpfen, müsse man bei Einsatzleitern ansetzen, sagt Kriminologe Joachim Kersten. Auch Polizeibeauftragte seien nötig.
taz: Bei Beamten der Frankfurter Polizei wurden in einem gemeinsamen Chat Hakenkreuze, Hitlerbilder und andere NS-Symbolik gefunden. Geht das über Nationalistisches und Rassistisches hinaus, ist das im Bereich des Rechtsextremen?
Joachim Kersten: Das ist in den digitalen Medien. Das sind Kommunikationswege, die nicht den normalen Regeln des Austauschs gehorchen. Da haut man rein, was man in dem Moment fühlt. Mancher ist sich über die Konsequenzen dessen, was er da anrichtet, nicht im Klaren. In diesem Fall würde ich aber sagen, dass sich Polizisten darüber im Klaren sein müssen, wenn sie rechtsextremistische und nationalsozialistische Symbolik verwenden, dass sie sich da außerhalb des Normbereichs bewegen und dass das strafbar ist.
Solche Nachrichten häufen sich, in der taz gab es gerade eine große Recherche zu dem rechten Netzwerk in der Bundeswehr, es wurde am Mittwoch in der aktuellen Causa ein sechster Polizist in Hessen suspendiert. Was erleben wir da gerade?
So schlimm wie das mit dem Hass und der Gewalt in Sozialen Medien ist, von Linken wie von Rechten, so gut kann man das recherchieren. Wenn man die IT beherrscht, kann da auch die Polizei selbst so etwas nachgehen. Die Frage, ob das in Hessen so gut ermittelt wird, wie das notwendig wäre, ist noch offen. Durch die Bedrohung der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz ist ist das in Gang gekommen. Dann ist die Situation so: Wenn in einen Kanal so viele Abwässer fließen, stinkt es da natürlich. Dann schaut man, wo der Gestank herkommt. Und da zeigt sich, dass das kein kleines Häufchen, sondern etwas Größeres ist, das da stinkt.
Wie wurde und wird denn in der Polizeiausbildung mit der deutschen Geschichte und der speziellen Verantwortung umgegangen?
Ich bin schon sehr lange in der Polizeiausbildung tätig, im Ausland wie in Deutschland. Seit ich angefangen habe, hat sich die Bedeutung von politischer Bildung, von Soziologie, von der Geschichte der deutschen Polizei speziell im Nationalsozialismus gewandelt. Das hatte einen sehr hohen Stellenwert. Im Masterstudium für den höheren Dienst begann man, darüber zu informieren. Es gab Vorlesungen dazu und viele Seminare.
ist Professor und Fachgebietsleiter an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Er befasst sich mit Konflikten zwischen Minderheiten und Polizei im europäischen Vergleich und verwandten Themen der Polizeiwissenschaft.
Die Polizei in den 1960er Jahren war in den Führungspositionen von Nazis durchsetzt. Das war keine Nazipolizei, aber viele derer hatten Macht. Das waren die, die dann auch die Einsätze in Berlin befehligten, die zur Tötung von Studenten geführt haben. Was ganz Neues ist das also nicht. Ich habe das Gefühl, dass die Kräfte, die die Auseinandersetzung damit in der Ausbildung in den letzten Jahren vorangetrieben haben, jetzt nicht mehr so präsent sind. Da wird nicht mehr explizit gefragt, ob es notwendig ist, diese Themen in der Ausbildung zu abzubilden und zu besprechen.
Als Dozent habe ich in jedem Jahr meine etwa 400 Studenten gefragt, was sie im polizeilichen Kontext am wenigsten leiden können. Mit großem Abstand nannten sie den Vergleich von Polizisten mit Nazis. Deswegen fällt es mir zumindest schwer, mir vorzustellen, dass Polizisten dieser Generation sich mit dem Nationalsozialismus, diesem Idiotensystem, diesem Hass- und Mordsystem identifizieren. Da bekomme ich Bauchschmerzen. Man muss den Hebel bei den direkten Vorgesetzten, in dieser mittleren Ebene ansetzen, bei denen, die täglich Einsätze leiten und organisieren. Denn die reden mit den Leuten, die müssen eine klare Haltung vorleben und vertreten. Nicht in der Innenministerkonferenz, nicht in der Politik muss man anfangen.
Mir fällt die Vorstellung schwer, dass das eine Struktur ist, dass es einen rechtsextremistischen Krebs in der Polizei gibt. Dafür arbeiten dort auch zu viele gute Leute. Aber es scheint mir, dass in der Praxis, wo am ehesten die Erfahrungen gemacht werden, die eine fremdenfeindliche Haltung fördern können, nicht genug klare Kante von Vorgesetzten vorhanden ist. Und das müsste man über Fortbildungen, über größere Konferenzen anstoßen.
Von Polizeiforscher Rafael Behr wurden gerade Zahlen gefordert, wie viele Beamte es mich solchem rechten Gedankengut gibt. Wie ist das in der Forschung, kann man da belastbare Zahlen erheben oder stößt man schnell an Grenzen?
Die Forschung, die damals zum Beispiel Hans-Gerd Jaschke betrieb, hat gezeigt: Es gibt vermehrt konservative Haltungen in der Polizei. Rafael Behr sagt, dass Polizist ein Beruf ist, der Menschen mit einem nicht besonders fortschrittlichen, linken oder radikalen Weltbild anzieht. Obwohl es auch solche Studenten gibt. In der Forschung ist ja die Frage: Was findet man heraus, wenn man im Hörsaal Fragebögen verteilt und die Leute machen irgendwo ihre Kreuzchen. Ich weiß nicht, ob das brauchbare Ergebnisse erzielen würde. Es schadet bestimmt nicht, so etwas mal zu machen. Das ändert aber erst einmal nichts daran, dass wir im Moment dieses Problem haben. Und das müssen wir anders angehen als mit der 35. Broschüre darüber, dass Rechtsextremismus schlecht ist.
Als Staatsdiener müssten die Beamten qua Ausbildung ja eigentlich immunisiert sein gegen Extremismus jeder Art. Wie Bundespräsident Steinmeier gerade gesagt hat stattdessen einstehen für Demokratie. Wie lässt sich das realisieren? Wie lässt sich die Ausbildung so strukturieren, dass man so etwas zumindest weitestgehend ausschließen kann?
Die Frage ist, wie man gewährleisten kann, dass das Gelernte umgesetzt wird. Ranghohe Polizisten und Polizistinnen haben teilweise eine siebenjährige tertiäre Ausbildung absolviert, sind Akademiker. Wo sind da die kausalen Zusammenhänge mit den Vorfällen in Frankfurt? Man muss herausfinden, wie es zu rechtsextremistischen Haltungen in der Polizei kommt und wie es sein kann, dass es diese höhere Ebene gibt, die es besser wissen muss, so etwas zulassen kann. Jede einzelne dieser Personen muss man sich ganz genau anschauen.
Das erzeugt ja ein Glaubwürdigkeitsproblem. Wenn das Einzelfälle sind…
…also das mit den schwarzen Schafen halte ich für Unfug. Das stimmt auch nicht. Schwarze Schafe tun erstmal nichts, die sind einfach nur schwarz. Das ist eine eingespielte Entschuldigungsnummer, die befriedigt mich nicht. Was jetzt zur Diskussion steht, viel stärker noch als vorher und so selten gesagt wird: Wir brauchen Polizeibeauftragte…
…wie gerade von der Opposition im Bundestag gefordert…
…Menschen, die Ansprechpartner für Bürger und für Polizisten sind. Das dürfen nicht irgendwelche Leute sein, solche Beauftragte müssten mindestens zum Richteramt befähigt sein. Etwas, das woanders Ombudsmann heißt. Das brauchen wir unbedingt. Und jedes Mal wenn so etwas passiert, wenn die Polizei in einer Krise steckt und gefragt wird, was das denn für eine Polizei sei, ob das noch eine demokratische Polizei sei, wird eine Diskussion ausgelöst.
Aber sobald jemand von Polizeibeauftragten spricht, schreien die Gewerkschaften, die konservativen Politiker und die Sicherheitspolitiker: „Nein, wir haben die Staatsanwaltschaft, man kann ja vor das Verwaltungsgericht gehen“, und so weiter. Statt das einfach mal auszuprobieren. Nach 25 Jahren in dieser Beschäftigung ermüdet mich das langsam. Die immer gleichen dämlichen Argumente, warum wir so etwas in Deutschland nicht haben sollten.
Der Weg vor ein Gericht wäre dann ja ein stiller, während ein Beauftragter auch mit einer anderen Aufmerksamkeit vonseiten der Presse Dinge einordnen könnte.
Das ist das eine. Das andere ist, dass man dann eine Instanz hätte, bei der auch Polizisten, die nicht damit einverstanden sind was in ihrer Dienstgruppe passiert, jemanden hätten, der ihnen zuhört. Sie müssten nicht gleich den unangenehmen Weg zum Vorgesetzten gehen oder eine Strafanzeige stellen. Es muss jetzt politische Anstrengungen dahin gehend geben. Wir haben dieses föderale System und das ist nicht schlecht für die Polizei, aber die Polizei in den Ländern und die des Bundes brauchen jetzt Beauftragte. Und zwar unbedingt und schnell.
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