Kriminalisierung von Seenotrettung: Zweifel sind nicht angebracht
Das Innenministerium bestreitet, dass es Seenotretter:innen kriminalisiere. In anderen Ländern Europas ist das längst Alltag.
D as Innenministerium hat Berichte zurückgewiesen, nach denen es eine Strafverfolgung für Seenotretter:innen ermöglichen will. Zuvor hatte die Süddeutsche Zeitung eine geplante Änderung des Aufenthaltsgesetzes so ausgelegt. Ein Sprecher von Faeser versicherte nun, die Reform ziele nicht darauf, humanitäre Helfer:innen künftig wie erwerbsmäßige Schlepper:innen verurteilen zu können.
Dass die Seenotrettungsorganisationen sofort alarmiert waren, verwundert kaum. Denn genau das, was die SZ aus dem Gesetzentwurf liest, ist in immer mehr Ländern Europas längst Justizpraxis: Solidarische Hilfe mit gewerblicher Beihilfe zur illegalen Einreise gleichzusetzen – und entsprechend zu ahnden.
In Polen droht Menschen entsprechende Verfolgung, die Flüchtlingen im Wald Essen oder Wasser bringen, wenn diese sich fortbewegen und nicht an einem Ort sitzen bleiben. In Griechenland und Italien stehen immer wieder Menschen vor Gericht, weil sie Hilfe für Menschen in Seenot geleistet haben.
Was früher entscheidend war – die Gewinnerzielungsabsicht –, spielt in diesen Ländern heute keine Rolle mehr. Die Folge liegt auf der Hand: Wer einen jahrelangen, enorm teuren Gerichtsprozess riskiert, überlegt sich zweimal, ob er auf einem Rettungsschiff als Freiwilliger mitfährt. Die Verfahren verursachen enorme Kosten, binden Ressourcen, sind für die Beschuldigten äußerst belastend – selbst wenn am Ende ein Freispruch steht. Das ist ein mittlerweile alltäglicher Skandal, vor allem angesichts des Umstandes, dass die Todeszahlen im Meer so hoch sind wie lange nicht.
Die Ampel hat es eine „zivilisatorische und rechtliche Verpflichtung“ genannt, Menschen nicht ertrinken zu lassen. „Die zivile Seenotrettung darf nicht behindert werden“, steht in ihrem Koalitionsvertrag.
Es wäre ein Desaster, wenn Faesers Ministerium nun ein Gesetz vorlegen würde, auf dessen Grundlage die Justiz nach dem Vorbild Griechenlands oder Italiens gegen humanitäre Helfer:innen vorgehen kann. Wenn die Bundesinnenministerin das nicht will, darf sie auch keinen Gesetzestext zulassen, der diese Möglichkeit offenlässt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken