Kriegswerbung in russischen Städten: Soldaten, die von Plakaten starren
St. Petersburg soll mehr Kämpfer für den Krieg mobilisieren. Überall hängen Werbeplakate. Doof nur, wenn sie amerikanische Hubschrauber abbilden.
E s ist unmöglich, sie nicht zu bemerken. Junge Soldaten in Uniform, mit oder ohne Waffe, mit stolz erhobenem Kopf und Gesichtern, die halb von Sturmhauben verdeckt sind. Sie sind praktisch überall. Sie schauen dich von Plakatwänden in der Metro an, auf dem Weg zum Einkaufen und an der Bushaltestelle. Meistens rufen diese großen Poster dazu auf, Vertragssoldat zu werden. Sie versuchen dich zu überzeugen, dass dies die natürlichste Arbeit eines Mannes sei. St. Petersburg soll anderthalbmal so viele Menschen an die Front schicken wie bisher, heißt es offiziell. Die Stadtverwaltung bemüht sich nach Kräften, dieses Ziel zu erreichen.
Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.
Egal also, wohin jetzt der Blick fällt – auf Hausfassaden, Plakatwände oder Sticker –, überall sieht man Soldaten vor dem Hintergrund einer russischen Flagge. Und eine Zahl ist mit großer Schrift hervorgehoben: 695.000. Das ist die Summe in Rubeln, die diejenigen einmalig bekommen, die sich vertraglich zum Dienst an der Waffe verpflichten. Für dieses Geld kann man in Russland einen ausländischen Gebrauchtwagen kaufen.
Neben den direkten Aufrufen, sich bei der Armee zu verpflichten, gibt es auch Plakate, die versuchen, den patriotischen Geist der Bürger aufrechtzuerhalten: mit schlechten Gedichten, religiösen Argumenten (Gott ist selbstverständlich mit uns) und ungewöhnlichen Kombinationen von Ikonen und Militärtechnik.
ist Journalistin und Videoproduzentin. Sie lebt und arbeitet in St. Petersburg.
Unlängst erst wurde mal wieder eine Gruppe von Soldaten vom Bahnsteig eines der alten St. Petersburger Bahnhöfe in den Krieg verabschiedet. Alles war sehr feierlich. Der Gouverneur war gekommen, und das Bahnhofsgebäude war mit einem riesigen Banner, darauf eine Silhouette von Militärfahrzeugen und der Aufschrift „Im Namen des Weltfriedens“, geschmückt. Der Gouverneur hielt eine Rede und ermahnte die jungen Männer: „Die viel gepriesenen Nato-Waffen sind machtlos gegen den Mut und die Tapferkeit des russischen Soldaten.“
Hubschrauber vom Feind
Im Nachgang kam es zum Skandal: Die Menschen, die Fotos von diesem Event in den Medien gesehen hatten, bemerkten, dass auf dem Banner statt russischer Hubschrauber amerikanische vom Typ AH-64-Apachen abgebildet waren. Das Plakat wurde dann sehr schnell abgenommen.
Immer wieder lässt man sich Werbeveranstaltungen einfallen: Einige heiße Augusttage lang lag ein Landungsboot an einem der Kais von St. Petersburg vor Anker. An Bord gab es eine Wanderausstellung von Kriegstrophäen, die russische Soldaten erbeutet hatten. Als Titel wählten sie ein berühmtes Filmzitat aus den 90er Jahren. Die Hauptfigur war aus dem Krieg in Tschetschenien zurückgekommen: „Die Stärke liegt in der Wahrheit“. Mit ernstem Blick lasen die Besucher die Infotafeln, Kinder kletterten auf Militärfahrzeugen herum. Nach einigen Tagen fuhr das Schiff mit der Ausstellung in die nächste Stadt weiter.
Aus dem Russischen von Gaby Coldewey
Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.
Ein Sammelband mit den Tagebüchern ist im Verlag edition.fotoTAPETA erschienen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg