Kriegsmunition in Nord- und Ostsee: „Verheerende Auswirkungen“
In der Nord- und Ostsee liegen hunderttausende Tonnen Weltkriegsmunition. Die Bundesregierung müsse sich endlich darum kümmern, fordern Grüne und FDP.
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In einem interfraktionellen Antrag fordern sie die Bundesregierung dazu auf, gemeinsam mit den Küstenländern, der Wissenschaft, Wirtschaft und den Umweltverbänden „eine Strategie für die Bergung und umweltverträgliche Vernichtung von Munitionsaltlasten in der deutschen Nord- und Ostsee zu entwickeln“. Ende Februar/Anfang März soll der Antrag im Bundestag debattiert werden.
„Munition im Meer ist ein seit Jahrzehnten von der Bundesregierung ignoriertes Umwelt- und Sicherheitsproblem“, sagt die Bundestagsabgeordnete Steffi Lemke (Die Grünen). Und ihr FDP-Kollege Olaf von der Beek ergänzt: „Wenn wir nicht zügig die Forschung und anschließende Bergung vorantreiben, drohen uns verheerende Auswirkungen für Mensch und Umwelt.“
Mit alter Munition muss überall in deutschen Gewässern gerechnet werden – sei es mit Blindgängern von Bomben und Granaten, seien es versackte Torpedos oder Seeminen. 90 Prozent der Munition wurde jedoch nach dem Krieg in bestimmten Versenkungsgebieten ins Meer geschüttet. Die Alliierten wollten die Wehrmachtsmunition schnell und günstig loswerden. Sich über die langfristigen Folgen Gedanken zu machen, wäre im zerstörten und hungernden Europa wohl ein Luxus gewesen.
Erhöhte Krebsraten bei Fischen
Die alte Munition berge nicht nur eine direkte Gefahr für die Schifffahrt, Fischerei und für Bauarbeiten am Meeresgrund, sie droht auch die Meeresumwelt zu vergiften, warnen die Antragsteller. Nicht nur chemische Kampfstoffe, sondern auch der standardmäßig und in riesigen Mengen verwendete Sprengstoff TNT drohen Organismen zu schaden.
Die Forschung dazu läuft und deutet darauf hin, dass TNT und dessen Abbauprodukte krebserregend sind. So fanden Forscher des Thünen-Instituts für Fischereiökologie in dem Munitionsversenkungsgebiet Kolberger Heide an der Kieler Förde erhöhte Krebsraten bei Klieschen, einem zu den Schollen zählenden Plattfisch. Bei einem Viertel der Tiere wurden Lebertumore gefunden, in unbelasteten Gebieten lag die Rate bei knapp fünf Prozent.
Nicht nur in den Versenkungsgebieten lassen sich schon heute sprengstofftypische Gifte in Organismen nachweisen, sondern in der ganzen Ostsee. Korrodiert die Munition, werden zunehmend Sprengstoffreste freigesetzt und die Bergung wird schwieriger, „sensitiver“, wie Jens Greinert vom Kieler Helmholtz-Institut für Ozeanforschung Geomar bei einer Informationsveranstaltung vergangenen Sommer in Kiel sagte. „Wenn wir länger warten, wird es immer gefährlicher, diese Sachen zu bergen“, warnte Greinert.
15 dieser Versenkungsgebiete seien bekannt, heißt es in dem Antrag der Grünen und der FDP. Darüber hinaus gebe es 21 Verdachtsfälle und 71 stark belastete Gebiete. Beim Versuch herauszufinden, wo weitere Gebiete liegen, kann Archivarbeit helfen, allerdings fanden die Forscher des Geomar „insbesondere in der Lübecker Bucht erhebliche Mengen an Munition, die außerhalb bekannter Belastungsflächen liegt“.
Viel zu tun
Aus Sicht der Grünen und der FDP im Bundestag gibt es deshalb viel zu tun. Sie fordern „eine großflächige Räumung und umweltverträgliche Vernichtung der Munitionsaltlasten, die auf Unterwassersprengungen verzichtet“. Das müsse Priorität haben und als eine gemeinsame Aufgabe des Bundes und der Länder begriffen werden. „Der Bund darf die Länder nicht im Stich lassen und muss endlich auch finanzielle Verantwortung für die vollständige Bergung der Munitionsaltlasten übernehmen“, findet Lemke.
Dass das teuer werden kann, ist auch den Antragstellern im Bundestag klar. Sie weisen darauf hin, dass die Bergungskosten mit zunehmender Korrosion und Schlagempfindlichkeit steigen und die Bergung eventuell sogar unmöglich machen würden. Allerdings böte eine großflächige Bergung die Chance, „in Deutschland ein Kompetenzzentrum aufzubauen, welches den Wissensstand bündelt und bestmöglich weiterentwickelt“. Die dabei gefundenen Lösungen könnten auch in andere Länder exportiert werden.
An solchen Lösungen wird längst getüftelt. Bei seiner jüngsten Forschungsfahrt im Oktober erprobte das Geomar einen Tauchroboter zur Untersuchung von Munition, ein Echtzeitanalysesystem für Schadstoffe und Magnetsensoren zum Aufspüren von Munition. Weitere Projektanträge seien in Vorbereitung.
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