Biologe über Schadstoffe in der Ostsee: „Eine Entlastung für die Muschel“

Miesmuscheln in der Ostsee nehmen weniger Schwermetalle und Schadstoffe auf. Für generelle Entwarnung ist es laut Biologe Mario von Weber zu früh.

Schwarze, leicht geöffnete Muscheln in grünem Meerwasser auf sandigem Meeresgrund

Filtern, was ins Meer kommt: Miesmuscheln in der Ostsee Foto: GEOMAR Helmholtz-Zentrum/dpa

Hamburg taz |: Herr von Weber, wie geht es den Muscheln der Ostsee?

Mario von Weber: Die Muscheln in der Ostsee sind belastet. Wir untersuchen sie aber seit Mitte der 90er-Jahre und stellten fest, dass einige der von uns untersuchten Schadstoffe zurückgingen. Teils kontinuierlich, teils in den letzten Jahren.

Welche Schadstoffe denn?

Wir untersuchen eine ganze Reihe von Stoffen. Das sind zum Beispiel Schwermetalle wie Blei, Cadmium, Chrom, Nickel und Zink. Allen bekannt ja auch das hochgiftige Quecksilber. Am stärksten gingen Kupfer, Zink und Blei zurück, aber auch die anderen Metalle an fast allen unserer acht Probestellen an der Ostseeküste. Sehr erfreulich sind auch die Rückgänge beim Quecksilber, das weltweit verbreitet ist. Hier haben wir seit 2000 keine Überschreitung der Umweltqualitätsnorm bei Muscheln. Und wir haben Rückgänge bei organischen Schadstoffen, zum Beispiel dem Pflanzenschutzmittel Lindan oder DDT, aber auch bei PCB.

Mario von Weber

60, ist Meeresbiologe und Dezernent beim Landes-Umweltamt in Mecklenburg-Vorpommern, das seit 1994 regelmäßig die Schadstoffbelastung von Muscheln untersucht.

Wie kommt es dazu?

Das ist zum Teil die Folge von Anwendungsverboten. Blei im Kraftstoff zum Beispiel wurde um 2000 herum EU-weit verboten. Bei den anderen Metallen gibt es weniger Belastungen aus Industrie und Kläranlagen. Das sind auch kleine Dinge. Zahnärzte dürfen ihre Abwässer nicht mehr einleiten, ohne vorher das in Amalgam enthaltene Quecksilber abzuscheiden. Lindan, DDT und PCB sind seit Jahrzehnten verboten, das heißt, es kommen weniger von diesen Schadstoffen in die Umwelt.

Was bedeutet das für das Ökosystem Ostsee?

Es ist für die Muschel auf jeden Fall eine Entlastung. Und Muscheln werden von anderen Organismen gefressen, von Fischen oder tauchenden Enten. So lagern auch diese Tiere weniger Schadstoffe ein. Am Ende der Nahrungskette steht auch der Mensch, der die Fische oder die Muscheln isst. Es gibt für die menschliche Gesundheit eigene Grenzwerte, die wir nicht untersuchen. Aber für den Menschen ist der Rückgang auch positiv.

Kann man Muscheln essen?

Die Ostsee-Miesmuschel ist zu klein, die wird nicht vermarktet. Aber an der Nordsee gibt es große Kulturen, die vermarktet werden. Zur Nordsee kann ich nichts sagen, aber ich weiß, dass diese Muscheln vor dem Verkauf von den Lebensmittelbehörden genau untersucht werden.

Wo verbleiben die Schadstoffe, wenn sie zurückgehen?

Sie werden in der Nahrungskette akkumuliert, die Organismen lagern sie ein, im Fettgewebe, in der Leber, zum Teil in den Muskeln. Zum Teil werden Schadstoffe in den Fischen abgebaut, zum Beispiel die Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffe, abgekürzt PAKs. Aber in der Regel sind diese Schadstoffe schwer abbaubar.

Gelangen die Stoffe an den Meeresgrund, wenn die Tiere sterben?

Genau. Dann werden sie im Sediment eingelagert. Schwermetalle sind nicht abbaubar, das sind ja Elemente. Aber organische Schadstoffe wie Pflanzenschutzmittel werden teilweise von Bakterien abgebaut. Aber das hat seine Grenzen. Stoffe wie Lindan sind seit den 1970ern verboten und wir finden sie immer noch. Die sind an Schwebstoffe gebunden, die die Muscheln mit dem Wasser filtrieren.

Wie ist es mit den PAKs, die bei der Erdölverarbeitung entstehen?

„Beim Arsen haben wir sogar leichte Anstiege“

Die Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffe entstehen bei Verbrennungsprozessen von Holz und Kohle, aber auch bei natürlichen Prozessen wie Waldbränden. Dazu haben wir noch nicht genug Messreihen.

Aber die Grenzwerte werden nicht überschritten?

Ja. Es gibt bei den PAKs zwei Stoffe, für die Grenzwerte, die sogenannten Umweltqualitätsnormen, in der Oberflächengen-wässerverordnung der Bundesrepublik geregelt sind, als Umsetzung von EU-Richtlinien. Diese Werte werden eingehalten. Das sind festgelegte Grenzwerte, um das Ökosystem vor Schaden zu bewahren. Der Mensch verzehrt ja nicht solche Mengen von Muscheln. Aber es gibt Organismen, die sich hauptsächlich davon ernähren.

Gibt es Schadstoffe, die nicht zurückgehen?

Das Halbmetall Arsen. Das ist auch giftig. Da haben wir tendenziell sogar leichte Anstiege. Die können wir uns bisher noch nicht erklären, das ist ein Thema für die Forschung. Auch die seit 2008 verbotenen Organo-Zinn-Verbindungen, die früher für Schiffsanstrich verwendet wurden, nehmen in unseren Muschelproben noch nicht ab.

Wie kann man herausfinden, woher das Arsen stammt?

Es ist sehr schwierig, solche Ursachen festzustellen. Wenn es keine Einleitungen gibt, kann es sein, dass es über die Luft kommt. Eine mögliche Erklärung – mit ganz großem Fragezeichen – wären die Kampfmittel aus dem Zweiten Weltkrieg. Da gibt es eine Reihe von arsenhaltigen Verbindungen. Dadurch, dass die Behälter, in denen sie sind, jetzt durchrosten, kann es sein, das diese austreten. Aber das wäre nur eine These.

Gibt es andere Belastungen durch alte Munition?

Ja, die sogenannten „Sprengstofftypischen Verbindungen“, STV, die seit zwei Jahren in aller Munde sind. Nur haben wir die noch nicht in unserem Untersuchungsprogramm. Forscher vom Geomar in Kiel haben festgestellt, dass Fische und Muscheln damit belastet sind.

Also gibt es keine generelle Entwarnung für die Muschel?

Nein. Es gibt immer wieder neue Stoffe, die wir noch gar nicht eingeordnet haben. Das wird ein Problem bleiben, solange die Industrie neue Stoffe in die Umwelt bringt, die sie schädigen.

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