Krieg in Syrien: „Das Gesundheitssystem kollabiert“

„Ärzte ohne Grenzen“ berichtet von der katastrophalen Lage rund um Aleppo. Medizinische Einrichtungen würden gezielt angegriffen.

Flüchtlinge an der syrisch-türkischen Grenze

Flüchtlinge aus Aleppo erreichen die syrisch-türkische Grenze. Foto: ap

KAIRO taz | Während in München über Syrien verhandelt wird und das Assad-Regime mit russischer Luftunterstützung versucht, die Nachschubwege der Rebellen nach Aleppo zu unterbrechen, wird dort die humanitäre Lage immer katastrophaler. „Wir unterstützten medizinische Einrichtungen in Aleppo und es ist schwieriger geworden, für Nachschub zu sorgen, weil wichtige Straßen unterbrochen sind. Aber wir haben bereits vorab viel Material dorthin geschafft“, sagt Sam Taylor, ein Sprecher der Organisation Ärzte ohne Grenzen zur Lage in Aleppo. „Wir hören Horrorberichte aus der Stadt mit fortschreitenden Bombardements, einem Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser und Treibstoff.“

Besonders schwierig sei die Lage der Menschen, die in den letzten Tage vor der neuesten Offensive geflüchtet und an der türkischen Grenze noch innerhalb Syriens gestrandet sind. „Die letzte neue Fluchtwelle betrifft 30.000 Menschen. Viele haben keine Bleibe. Wir haben Zelte für 800 Familien gestellt, aber das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“, so Taylor.

Jeder versuche irgendwo unterzukommen. „Vor der letzten Offensive gab es bereits vier bis fünf Lager innerhalb Syriens nahe der türkischen Grenze. Viele weitere Menschen sind jetzt dorthin geflüchtet, aber die Lager sind schon voll. Einige haben sich vor den Lagern eingerichtet. Andere sind in Dörfern in der Umgebung untergekommen. Aber es gibt auch schon Menschen, die draußen im Freien übernachten.“

Ein Problem sei die Gesundheitsversorgung. „Es gibt genug Nahrungsmittel, die noch von Hilfsorganisationen in die Region Asas geliefert werden. Aber das dortige Gesundheitssystem bricht gerade komplett zusammen. Gehen die Kämpfe weiter, wird die Lage furchtbar werden“, warnt der Sprecher von Ärzte ohne Grenzen. Er hilft auf der türkischen Seite, die noch von der Organisation unterstützten medizinischen Projekte zu koordinieren. Nicht nur rund um Aleppo seien mindestens 40 verschiedene medizinische Einrichtungen zerstört worden. Im ganzen Land würden sie immer wieder zur Zielscheibe.

Medizinisches Personal zur Flucht gezwungen

„Es gab verschieden Angriffe auf von uns unterstützte Einrichtungen mit unterschiedlichem Schaden. Bei einem der letzten Angriffe auf eine der Einrichtungen im Süden Syriens kamen drei Menschen ums Leben, Krankenwagen wurden zerstört. Wir haben den Eindruck, dass konsequent immer wieder medizinische Einrichtungen angegriffen werden“, glaubt Taylor. Das habe zur Folge, dass auch medizinisches Personal zur Flucht gezwungen werde und damit medizinische Einrichtungen geschlossen werden müssten.

Ärzte ohne Grenzen fordert daher „von allen Kriegsparteien, dafür zu sorgen, dass es nicht zu neuen massiven Vertreibungen und einer weiteren Verschlimmerung der humanitären Lage kommt. Angriffe auf medizinische Einrichtungen müssen gestoppt werden. Kämpfe und Luftangriffe in dicht bewohnten Gebieten müssen aufhören“. Doch findet dieser Appell wenig Gehör.

„Es gibt bereits Menschen, die draußen im Freien übernachten müssen“

Unterdessen hat das Syrian Centre for Policy Research (SCPR) jetzt in einem Bericht weit höhere Schätzungen von Opfern des syrischen Krieges veröffentlicht, als die bisher von der UNO zitierten Zahlen. Dabei sollen bisher durch direkte und indirekte Kriegsfolgen 470.000 Menschen gestorben sein. Die UNO operiert immer noch mit der Zahl von 250.000 Todesopfern, gibt aber zu, seit 18 Monaten keine Statistik mehr darüber zu führen.

Laut SCPR sollen 400.000 Syrer durch direkte Kriegsfolgen umgekommen sein. Weitere 70.000 seien Opfer eines zusammengebrochenen Gesundheitssystems, eines Mangels an Medikamenten (vor allem für chronische Krankheiten), an Nahrungsmitteln, an sauberem Wasser wie einer unangemessenen Wohnsituation. Das gelte vor allem für die intern im Land Vertriebenen, die laut dem Bericht inzwischen 45 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Laut SCPR wurden bisher 11,5 Prozent der syrischen Bevölkerung in diesem Konflikt getötet oder verletzt. Der Bericht zählt 1,9 Millionen Verletzte.

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