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Krieg in SudanZehntausende fliehen aus Sudan

In Sudan spitzt sich die humanitäre Lage zu. UN und Hilfsorganisationen fordern die Kriegsparteien auf, Rücksicht auf Zi­vi­lis­t*in­nen zu nehmen.

Khartum am 25. April: Ein Mensch steht vor den Ruinen eines Hauses, das durch Kämpfe zerstört wurde Foto: reuters

Berlin taz | Es ist nur ein Beispiel dafür, wie katastrophal die Lage von Zi­vi­lis­t*in­nen aktuell in Sudan ist: In der seit Mitte April umkämpften Hauptstadt Khartum ist ein SOS-Kinderdorf von Bewaffneten eingenommen worden. Wie die Hilfsorganisation am Mittwoch mitteilte, mussten 68 Kinder und 19 Mitarbeitende evakuiert werden. „Wir fordern beide Seiten auf, sich bedingungslos an die internationalen humanitären Gesetze und Prinzipien zu halten“, sagte Senait Gebregziabher, Leiterin der SOS-Kinderdörfer im östlichen und südlichen Afrika.

Dass sich die Streitkräfte der regulären Armee sowie der paramilitärischen RSF-Miliz nicht an das humanitäre Völkerrecht halten, war auch einer der Kritikpunkte des UN-Sudan-Beauftragen Volker Perthes, als er am Dienstagabend per Videoschalte vor dem UN-Sicherheitsrat aus Sudan berichtete. Beide Seiten würden Angriffe in dicht besiedelten Wohngegenden ausführen. Perthes betonte, dass lokale Waffenruhen teilweise zwar eingehalten würden, forderte die Armee und die RSF-Miliz aber auf, sich auf eine dauerhafte landesweite Waffenruhe einzulassen und diese auch einzuhalten.

Optimistisch zeigte er sich nicht: Er sehe keine Anzeichen für eine baldige friedliche Lösung des Konflikts. Die Anführer der Konfliktparteien setzten beide auf einen militärischen Sieg und seien folglich nicht zu ernsthaften Verhandlungen bereit. Perthes warnte vor einer Internationalisierung des Krieges und forderte die Nachbarstaaten auf, nicht Partei zu ergreifen.

Am Mittwoch, dem zweiten Tag einer dreitägigen Waffenruhe, gab es erneut Berichte über vereinzelte Kriegshandlungen. Die Intensität der Kämpfe hat offenbar jedoch abgenommen. Dennoch halten die Fluchtbewegungen an. Mehr als 10.000 Menschen hätten die Grenze zu Ägypten überquert, erklärte das Verkehrsministerium in Kairo am Mittwoch. Auch über den Rotmeer-Hafen der Stadt Port Sudan versuchen Tausende Menschen zu entkommen.

Rettungsmission eingestellt

Unterdessen hat die Bundeswehr ihre Rettungsmission für ausländische Staats­bür­ge­r:in­nen vorerst eingestellt, wie das Verteidigungsministerium in Berlin am Mittwoch via Twitter mitteilte. Mehr als 700 Menschen seien seit Samstag ausgeflogen worden. Am späten Nachmittag beschloss der Bundestag mit großer Mehrheit nachträglich ein entsprechendes Mandat für den Bundeswehreinsatz.

Das Mandat soll bis zum 31. Mai laufen. Bis zu 1.600 Sol­da­t:in­nen sollen zum Einsatz kommen dürfen. Der Einsatz begann zunächst ohne Mandat, da „Gefahr im Verzug“ war und jegliche Verzögerung Menschenleben gefährdet hätte. Verteidigungs- und Außenministerium behalten sich einen „robusten Einsatz“ vor, bei dem militärische Mittel angewendet werden können – wenn dies erforderlich wird. Die Regierung begründet dies mit der schlechten Sicherheitslage in Sudan.

„Das war ein gefährlicher Einsatz und es war ein Kraftakt ihn schnell auf die Beine zu stellen“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Bundestag. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) lobte den Einsatz. „Die Bundeswehr hat bewiesen, dass sie da ist, wenn sie gebraucht wird.“

Angesichts der Rettungsaktion flammt die Debatte über die Evakuierung von einheimischen Ortskräften erneut auf. Laut Bundesentwicklungsministerium sind rund 100 Menschen über die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Sudan angestellt. „Natürlich ist uns das Schicksal aller Menschen, insbesondere von Angehörigen der besonders vulnerablen Gruppen und gerade der Ortskräfte im Sudan, alles andere als gleichgültig“, sagte die Bundestagsabgeordnete Agniezska Brugger (Grüne) der taz. Die Situation sei eine „Verpflichtung zum Handeln“, sie sei jedoch „in keiner Weise mit der in Afghanistan im Herbst 2021 vergleichbar.“

Linke stimmt Mandat für Auslandseinsatz der Bundeswehr zu

Der Linken-Politiker Gregor Gysi mahnte in seiner Rede im Parlament an, die Ortskräfte nicht zu vergessen. Aber auch die Linke stimmte mehrheitlich der Evakuierungsmission zu – und damit erstmals einem Mandat für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr. Bei einem Rettungseinsatz aus Afghanistan 2021 hatten sich die meisten Abgeordneten der Linken nicht zur Unterstützung durchringen können. Insgesamt stimmten im Bundestag 663 Abgeordnete für das Mandat, sieben Abgeordnete enthielten sich, es gab keine Nein-Stimmen.

Laut Bundesregierung liegen derzeit keine Anfragen zur Ausreise von Ortskräften aus Sudan vor. Zudem hofft man, sobald es die Sicherheitslage erlaubt, dass das Personal der Botschaft wieder zurückkehren und seine Arbeit aufnehmen kann. Auch die Gehälter der Ortskräfte werden weiter ausgezahlt. Außenministerin Baerbock wiederholte ihren Appell an die beiden kämpfenden Gruppen: “Wenn Ihnen die Menschen in Ihrem Land am Herzen liegen, dann beenden Sie das Sterben.“

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