Krieg in Nahost: Israel will Hilfslieferungen nach Gaza wieder einstellen
Die Netanjahu-Regierung behauptet, dass die Hamas die Lieferungen plündern würde. Im Westjordanland sterben drei Palästinenser durch einen Siedler-Übergriff.
Israel will offenbar die lebensnotwendigen Hilfslieferungen in den Norden des Gazastreifens erneut vollständig einstellen – mit dramatischen Konsequenzen für die palästinensische Bevölkerung. Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Israel Katz forderten die Armeeführung auf, innerhalb von 48 Stunden einen Plan vorzulegen, um die angebliche Entführung von Hilfslieferungen durch die Hamas zu unterbinden. Beweise für diese systematischen Diebstähle, die etablierte Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen seit Monaten bestreiten, legten sie nicht vor.
Stattdessen könnte der Druck von Netanjahus rechtsextremen Koalitionspartnern ausschlaggebend gewesen sein. Finanzminister Bezalel Smotrich drohte laut der Zeitung Ha’aretz, im Falle einer Fortsetzung der Hilfslieferungen die Regierungskoalition zu verlassen. Polizeiminister Itamar Ben Gvir forderte die vollständige Einstellung der Hilfstransporte auch in den Süden des Küstenstreifens. Zuvor hatte Ex-Regierungschef Naftali Bennett ein Video veröffentlicht, das Männer mit Stöcken und teils Maschinengewehren auf Lastwagen mit Hilfsgütern zeigt. Bennett bezeichnete sie als Hamas-Mitglieder, was die israelische Armee zunächst nicht bestätigte.
Tatsächlich ähneln die Aufnahmen Bildern anderer Hilfslieferungen, die die Nachrichtenagentur AFP zuletzt aus dem Norden von Gaza veröffentlicht hat. Laut AFP handelt es sich bei den Bewaffneten auf diesen Aufnahmen um palästinensische Freiwillige, die die Lieferungen vor Diebstahl schützen sollen. Laut Ha’aretz dankte Ahed Shuhaiber, der Leiter des Transportunternehmens, zu dem die Lastwagen gehören, bei Facebook „den jungen Menschen entlang der Route“. Die Zeitung zitiert einen Bericht, demzufolge die Lastwagen aus dem Video ein UN-Verteilzentrum erreicht haben sollen.
Für die auf engstem Raum zusammengedrängten mehr als zwei Millionen Menschen im Gazastreifen sind die Hilfslieferungen die einzige Versorgung. Laut dem UN-Nothilfebüro (OCHA) sind nur noch fünf Prozent der landwirtschaftlichen Fläche des Küstenstreifens nutzbar. Die gesamte Bevölkerung leidet laut dem jüngsten Bericht der IPC-Initiative für die Analyse von Nahrungskrisen unter Ernährungsunsicherheit. Mehr als 90 Prozent der Kleinkinder in Gaza bekommen wegen der einseitigen Ernährung nicht die Nährstoffe, die sie benötigen.
Pogromartige Zustände in Westjordanland
Im Norden von Gaza verteilen etablierte Hilfsorganisationen die wenigen Hilfstransporte, die Israel zulässt. Im Süden und im Zentrum übernimmt die von Israel unterstützte Gaza Humanitarian Foundation (GHF) die Ausgabe, nahe deren Verteilstationen es jedoch fast täglich zu tödlichen Schüssen kommt. Alleine am Mittwoch wurden laut dem von der Hamas geleiteten Gesundheitsministerium in Gaza 33 Menschen von der israelischen Armee getötet, während sie auf Hilfsgüter warteten. „Wir sehen ein beängstigendes Muster israelischer Truppen, die das Feuer auf die Menschenmengen eröffnen, die sich für die Nahrungsmittelausgabe versammeln“, teilte Jonathan Whittall, der Leiter des OCHA-Büros für die palästinensischen Gebiete, mit.
Der oberste Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, hat sein Land als Sieger des Krieges mit Israel dargestellt. Die USA hätten nur eingegriffen, damit Israel nicht komplett zerstört werde, sagte Chamenei am Donnerstag in einer Videobotschaft, die im iranischen Staatsfernsehen zu sehen war.
Während der israelischen Luftangriffe hatte sich Chamenei versteckt gehalten. (ap)
Im von Israel besetzten Westjordanland eskalieren indes die Übergriffe israelischer Siedler weiter. Im Dorf Kafr Malik nahe Ramallah wurden am Mittwoch drei Palästinenser durch Schüsse getötet. Abgegeben wurden sie laut Einwohnern von Siedlern wie auch dem israelischen Militär. Sieben weitere Menschen seien verletzt worden, einer davon lebensgefährlich. Der palästinensische Bürgermeister berichtete, mehr als 100 Siedler hätten das Dorf angegriffen und dabei Fahrzeuge und Häuser in Brand gesetzt.
Die Lage im besetzten Westjordanland hat sich seit dem 7. Oktober 2023 und dem folgenden Gaza-Krieg deutlich verschärft: Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums wurden seitdem bei israelischen Militäreinsätzen, und durch Angriffe extremistischer Siedler 940 Palästinenser getötet. (mit Agenturen)
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