Krieg in Nahost: „Wir werden alle gefangen gehalten“
Israelische Regierungsgegner*innen werfen Netanjahu vor, einen möglichen Geiseldeal zu sabotieren. Die Hamas hat zuvor Zugeständnisse gemacht.
Tausende sind am Sonntagabend vor dem Hauptquartier des israelischen Militärs in Tel Aviv zusammengekommen, um gegen die Regierung und für einen Geiseldeal zu demonstrieren. Der Menge sagt Zangauker: „Wir alle werden gefangen gehalten von Netanjahu und Sinwar.“ Und gibt damit sowohl dem Premier Israels als auch dem Hamas-Führer in Gaza, Jahia Sinwar, die Schuld daran, dass nach monatelangem Verhandeln immer noch kein Deal auf dem Tisch liegt, der die 116 verbliebenen Geiseln befreien und den Krieg in Gaza schließlich beenden würde.
Am 7. Juli ist die Entführung der Geiseln nach Gaza genau neun Monate her – und in Israel beginnt eine „Woche der Unterbrechung“. Zehntausende wollen im ganzen Land auf die Straße gehen und auch mit zivilem Ungehorsam weiter Druck auf Netanjahu und seine Regierung aufbauen. So haben etwa verschiedene High-Tech-Firmen angekündigt, ihren Angestellten freizugeben, damit diese tagsüber Proteste besuchen können.
Die Sicherheitskräfte gehen derweil teils heftig gegen die Demonstrierenden vor: Auch am Wochenende setzten sie beinahe schon routinemäßig Wasserwerfer ein, mehrere Menschen wurden festgenommen. Auch in Jerusalem kam es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und den Protestierenden, dabei wurde am Sonntag ein Demonstrant verletzt.
Der Ball liegt in Israels Feld
Dabei schien jüngst ein Durchbruch in den Verhandlungen um den Geiseldeal zu gelingen: Laut Medienberichten ist die Hamas bereit, zunächst einer nur temporären Feuerpause zuzustimmen, wenn sie Sicherheitsgarantien der Vermittelnden für eine anschließende dauerhafte Waffenruhe erhält. Zuvor bestand sie auf einer sofortigen, dauerhaften Waffenruhe. Ein Deal scheint näher zu rücken – und der Ball liegt nun wohl in Israels Feld.
Am Sonntagabend gab Netanjahu dann eine Liste mit vier Punkten bekannt, die „nicht verhandelbar“ seien: Israel müsse weiterhin das Recht haben, nach Gaza zurückzukehren und zu kämpfen, „bis alle Ziele des Krieges erfüllt sind“.
Vor allem das von Netanjahu geforderte Rückkehrrecht nach Gaza für das israelische Militär dürfte für die Hamas kaum akzeptabel sein. Außerdem müssten so viele lebende Geiseln wie möglich freigelassen werden und der Schmuggel von Waffen aus Ägypten nach Gaza unterbleiben.
Israel kontrolliert mittlerweile den sogenannten Philadelphi-Korridor, der ganz im Süden Gazas an der Grenze zu Ägypten verläuft. Mit der Eroberung der südlichen Stadt Rafah und des Korridors schnitt Israel Gaza von Ägypten ab.
High-Tech-Barriere an der Grenze
Nach israelischen Angaben wurden dabei dutzende Tunnel gefunden, die in das südliche Nachbarland führen, und Schmuggelrouten unterbrochen. Ägypten hat sich derweil nach Angaben des israelischen Armeeradios offen gezeigt, gemeinsam mit den USA eine High-Tech-Barriere an der Grenze zu bauen, um den Schmuggel von Waffen künftig zu verhindern.
Netanjahu betonte außerdem, Israel könne die Rückkehr „Tausender bewaffneter Terroristen nach Nordgaza“ nicht zulassen. Der Küstenstreifen ist derzeit durch den Netzarim-Korridor geteilt, der südlich von Gaza-Stadt verläuft. Das Militär patrouilliert den Korridor, nach Angaben von Zivilisten aus Gaza ist ihnen die Passage des Küstenstreifens nicht möglich.
Israelische Staatsangestellte zeigen sich derweil „schockiert“ über die von Netanjahu veröffentliche Liste, berichtet der öffentliche Rundfunksender Kan. Die öffentlich gemachten Punkte könnten, so eine Quelle von Kan, „die Chance, die Geiseln nach Hause zu bringen, negativ beeinträchtigen“. Verhandlungen sollten nicht in den Medien ausgetragen werden und nicht genau vor Beginn erneuter Verhandlungen. Unter anderem wird pünktlich zu den neuen Verhandlungsrunden in der katarischen Hauptstadt Doha und dem ägyptischen Kairo der CIA-Direktor Bill Burns in der Region erwartet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag