Krieg in Gaza: „Der Tod ist die Regel, nicht die Ausnahme“
Israels Militär belagert den Nord-Gazastreifen, die humanitäre Situation ist fatal. Am Telefon berichten Menschen, die dort ausharren, von ihrem Alltag im Krieg.
Internationalen Journalisten verwehrt Israel den Zugang zum Gazastreifen. Die wohl beste Option, um sich selbst ein Bild zu machen, ist derzeit, mit Menschen vor Ort zu telefonieren.
Majda Al-Adham lebt mit ihren acht Kindern im Alter zwischen 5 und 17 Jahren in ihrer Wohnung im Jabaliya-Flüchtlingslager – trotz des israelischen Aufrufs, das Camp zu verlassen. Im Laufe des letzten Jahres hatte sie ihr Zuhause bereits viermal verlassen und sei am Ende immer wieder zurückgekehrt, erzählt sie. „Kein Ort war sicher.“
Warum flieht sie nun nicht erneut? „Es ist zu gefährlich. Wenn ich nur die Haustür öffne, fliegen draußen israelische Quadrocopter und schießen auf alles. In der Straße hinter uns sind die israelischen Panzer“, antwortet sie. Ihr Haus wackele jedes Mal, wenn die Panzer vorbeirollen. Doch auch im Haus herrscht die Angst. „Wenn ich von einem Zimmer zum nächsten gehe, kommen alle Kinder mit. Entweder überleben wir gemeinsam oder wir sterben alle zusammen.“
Teil des „Plans der Generäle“?
Jüngst schätzte das UN-Büro für Humanitäre Angelegenheiten (OCHA), dass nach etwa einem Monat Belagerung etwa 100.000 Menschen aus dem nördlichen Gazastreifen Richtung Süden vertrieben wurden. Bis zu 95.000 Palästinenser sollen sich aber weiterhin im nördlichen Teil aufhalten. Seit Beginn der Belagerung wurden dort nach palästinensischen Angaben mindestens 1.300 Menschen getötet.
Die israelische Regierung hält die Belagerung für notwendig, um zu verhindern, dass sich in Nordgaza erneut Hamas-Kämpfer gruppieren. Aber Menschenrechtsgruppen fürchten, dass die Belagerung Teil des sogenannten „Plans der Generäle“ ist – und zum Ziel hat, die Menschen aus dem Norden des Gazastreifens permanent zu vertreiben und das Gebiet im Anschluss zu einer geschlossenen Militärzone zu erklären.
Jedes Mal, wenn sie von Verhandlungen höre, steigt bei Al-Adham die Hoffnung, erzählt sie. „Wir brauchen einen Waffenstillstand, und wenn es nur für einen Tag wäre. Nur um wenigstens einmal kurz durchzuatmen“, betont sie. Doch ihre Hoffnung wird sich so schnell wohl nicht erfüllen. Am vergangenen Samstag verkündete das Golfemirat Katar, dass es sich aus allen Vermittlungsbemühungen zwischen der Hamas und Israel zurückgezogen habe, „bis die beiden Parteien ihren Willen und ihre Ernsthaftigkeit unter Beweis stellen, dass sie an einem Ende des Krieges interessiert sind“.
Majdal Al-Adham, Bewohnerin von Nordgaza
„Ihr könnt euch die Zerstörung, die wir von unserem Haus aus sehen, nicht vorstellen, das hat etwas Surreales“, sagt Al-Adham am Telefon. „Die getötet wurden, hatten Glück, für sie ist es vorbei“, erklärt sie.
Muhammads Haus in Jabaliya wurde gesprengt
Al-Adham ist mit ihren Gefühlen nicht alleine. Es klingelt eine Weile, bis Muhammad dann doch ans Telefon geht. Früher lehrte an einer der Universitäten in Gaza, seinen vollen Namen will er nicht veröffentlicht sehen. Er habe Angst. Sein Haus in Jabaliya sei, wie viele Häuser in seiner Nachbarschaft, von der israelischen Armee vermint und gesprengt worden, erzählt er. Er habe dann mit seiner Familie im Kamal-Adwan-Krankenhaus in der nördlichen Stadt Beit Lahiya einen vermeintlich sicheren Unterschlupf gefunden.
In der Nacht auf den 25. Oktober beginnt die Offensive des israelischen Militärs auf das Spital. Er sei mit Gruppen anderer Männer, darunter auch medizinisches Personal, nach draußen gebracht worden, erzählt er. Sie hätten sich in eine Sandkuhle setzen müssen. „Die war von israelischen Panzern umstellt. Sie haben einen nach dem anderen verhört“, berichtet er.
Am Ende wurden die Männer entweder mitgenommen oder freigelassen. Diejenigen, die wegen des Verdachts, mit der Hamas zu kooperieren, festgenommen wurden, hätten Soldaten hinter eine Häuserecke gebracht, erzählt er. Von dort hätten sie dann Schüsse gehört. Andere seien auf Lkws aufgeladen worden. Was genau mit denen passierte, die weggebracht wurden, lässt sich nicht überprüfen. Aber die Fotos von den Männern, die nur mit ihrer Unterhose bekleidet im Sand saßen, gingen um die Welt.
Zwölf Stunden, erzählt Muhammad, habe er dort verbracht. Am Ende durfte er gehen. „Wir sind sieben Kilometer zu Fuß gelaufen, immer wieder zwischen israelischen Panzern am Straßenrand. Die meisten von uns waren barfuß“, erinnert er sich. Mit dabei war auch Muhammads zehnjähriger Sohn. „Es ist seitdem schwer, ihn zu überzeugen, dass er in Sicherheit ist, selbst wenn ich ihn im Arm halte“, sagt er. Die Kinder hätten Albträume und Panikattacken, machten wieder ins Bett. Manche seien aggressiv, anderen dächten in ihrem jungen Alter schon an Rache.
„Wir überlassen den Israelis unser Land. Genug ist genug.“
Mit seiner Familie hat Muhammad Nordgaza schließlich verlassen, sie leben nun in Gaza-Stadt. In einem Gebäude mit 125 anderen Menschen – aber immerhin: Er und seine Familie haben überlebt. „Der Tod ist die Regel, nicht die Ausnahme. Wenn du lebend da rauskommst – das ist die Ausnahme“, fasst er die letzten Wochen zusammen.
Al-Adham hat in ihrer Wohnung im Camp Jabaliya jegliche Hoffnung verloren. „Was die Zukunft bringt? Wir warten hier auf den Tod. Falls sie irgendwann die Grenzen öffnen, gehen wir hier weg. Wir überlassen den Israelis einfach unser Land. Genug ist genug.“ Al-Adham hat kapituliert, will nur noch überleben. Sie habe drei ihrer Brüder verloren, deren fünf Kinder und ihre Schwester, sagt sie. Das sei mehr, als ein Mensch aushalten könne.
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