Krieg in Gaza - Ehud Baraks Comeback: Der Feldherr

Hat Israels Verteidigungsminister Ehud Barak mit seiner Militäroperation im Gazastreifen Erfolg, steigen die Chancen seiner Arbeitspartei bei den Wahlen im Februar 2009.

Seine politische Karriere verlief nicht so glücklich wie seine Militärlaufbahn: Ehud Barak vor den Überbleibseln von Raketen militanter Palästinenser. Bild: ap

Ehud Barak ist wieder in seinem Element. Und dieses Element ist er selbst. Wieder einmal will er einen Konflikt allein lösen, mit seinen Mitteln, nach seinem Gusto. Militärisch hat dies oft funktioniert, politisch nie, weder in seiner eigenen Partei noch im Friedensprozess mit den Palästinensern. Meist sieht er die Schuld hierfür bei anderen. So warf er seinem Gegenspieler Jassir Arafat nach den Verhandlungen von Camp David im Jahre 2000 vor, zu wirklichen Kompromissen nicht willens oder in der Lage gewesen zu sein. Gleichwohl räumte er in einer BBC-Dokumentation drei Jahre später ein, dass auch er den vorgelegten Vertragsentwurf nicht unterschrieben hätte. Und dass er dies dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton auch schon einen Tag vor Arafats Nein mitgeteilt habe.

Für Überraschungen war Ehud Barak immer zu haben. Für ein offenes Wort auch. Im März 1998 bekannte er gegenüber einem Reporter, der ihn fragte, was er denn tun würde, wenn er Palästinenser wäre, in einem Fernsehinterview freimütig und unumwunden, dass er sich wohl einer Organisation wie der Fatah oder Hamas angeschlossen hätte. Nach dem postwendenden Aufschrei in den israelischen Medien, die ihm die Legitimierung palästinensischen Terrors vorhielten, musste er freilich ein wenig zurückrudern.

Trotz dieses medialen Fauxpas bescheinigen ihm Freunde wie Feinde durchweg einen brillanten Verstand, klares analytisches Denken und große Entschlossenheit. Langatmige Konversation, Ausflüchte und unklare Antworten seien ihm ein Gräuel. Das hat ihm nicht selten den Vorwurf der Arroganz und der Unduldsamkeit eingebracht. Weniger gute Parteifreunde gaben ihm deswegen den Spitznamen "Klein-Napoleon". Tatsächlich sagen selbst seine Bewunderer, dass ihm niemand ganz nahe kommt. In seinem Auftreten wirkt er oft ein wenig linkisch oder geistesabwesend. Charisma gehört nicht zu seinen Talenten. Aber das Selbstbewusstsein, die politische Landkarte des Nahen Ostens mitzubestimmen, hat er mehr als einmal unter Beweis gestellt. Weder Moral noch menschliches Leid haben ihn dabei abschrecken können.

Dafür steht in diesen Tagen der gnadenlose Angriff auf den eingeschnürten Gazastreifen. Seit einem halben Jahr hat er als amtierender Verteidigungsminister nach eigener Aussage den Angriff auf Gaza geplant und vorbereitet, minutiös wie immer. Wenn er das Schlachtfeld als Sieger verlässt, könnte der Chef der Arbeitspartei im israelischen Wahlkampf zu seinen politischen Konkurrenten Benjamin Netanjahu von der Likud-Partei und Zipi Livni von der Kadima aufschließen und nach 1999 zum zweiten Mal das Amt des Regierungschefs anstreben. Nach jüngsten Umfragewerten kann die Arbeitspartei schon jetzt mit 16 Sitzen in der Knesset rechnen gegenüber 12 vor der Bombardierung von Gaza.

36 Jahre lang diente Barak seinem Land als Soldat. Er ist der höchstdekorierte Offizier der israelischen Armee. Wenn Barak nicht Generalstabschef wird, ist etwas faul in unserem System, soll der im November 1995 ermordete israelische Ministerpräsident Jitzhak Rabin viele Jahre zuvor einmal von seinem Schützling gesagt haben. Von 1991 bis 1995 hat Barak dieses Amt dann inne. Seine größten Erfolge und sein früher militärischer Ruhm gründen auf dem bedingungslosen Vorgehen gegen palästinensische Guerillas. Als Kommandeur der Antiterroreinheit Sayeret Matkal, die dem militärischen Geheimdienst untersteht, befreit er 1972 alle 97 Geiseln einer Sabena-Maschine, die auf dem Flugplatz von Tel Aviv von Palästinensern entführt worden ist. Mitglied dieser Einheit ist auch Benjamin Netanjahu, der später sein ärgster politischer Rivale werden wird. Die genaue Planung dieses Einsatzes und seine präzise Umsetzung sind seither als klassische "Barak-Operation" in die israelische Militärgeschichte eingegangen. Beauftragt mit der Tötung der mutmaßlichen Hintermänner des Attentats auf die israelische Olympiamannschaft in München 1972, erschießt eine Kommandoeinheit unter seiner Führung im Jahre 1973 drei ranghohe PLO-Funktionäre, von denen aber zwei nach palästinensischen Angaben nichts mit dem Überfall von München zu tun hatten. Barak selbst hat sich bei dieser Operation, die mitten im Zentrum Beiruts stattfindet, als arabische Frau verkleidet. Öffentlich gerühmt wird er auch als Planer der Operation Entebbe. Im Jahre 1976 leitet er von Nairobi aus die Befreiung der Geiseln einer von der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) entführten Air-France-Maschine auf dem ugandischen Flughafen von Entebbe. Bei diesem Kommando werden jedoch mehrere Geiseln und der Bruder von Benjamin Netanjahu getötet.

Als Ehud Brog kommt er am 12. Februar 1942 im Kibbutz Mischmar-Hascharon, rund 30 Kilometer nördlich von Tel Aviv, im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina auf die Welt. Seine Eltern, die vor den Judenverfolgungen in Polen geflohen sind, gehören zu den Gründern des Kibbuz und gelten als überzeugte Zionisten. Im Alter von 17 Jahren tritt Ehud Brog der israelischen Armee bei. Er legt seinen polnischen Namen ab und nennt sich Barak, was im Hebräischen Blitz bedeutet. Neben seiner Militärlaufbahn studiert Barak Physik und Mathematik an der Hebräischen Universität in Jerusalem und erwirbt 1968 einen Bachelor of Science. Dem folgt später ein Studium an der US-amerikanischen Stanford University, das er mit einem Master of Science in Systemmanagement beendet. Im Militär legt Barak eine "blitzsaubere Karriere" hin, die ihn schließlich ganz an die Spitze führt. Im Sechstagekrieg vom Jahre 1967 kommandiert Barak eine Infanterieeinheit, im Jom-Kippur-Krieg 1973 ist er Kommandeur einer Panzereinheit, und bei der israelischen Libanoninvasion im Jahre 1982 agiert er als stellvertretender Truppenkommandeur. 1983 wird er Chef des militärischen Nachrichtendienstes, 1986 Operationschef im Generalstab, 1987 stellvertretender Generalstabschef. Im April 1991 tritt Barak den Job des Generalstabschefs an.

Der israelische Publizist und Friedenskämpfer Uri Avnery sagt von Barak, an seinen Händen klebe mehr palästinensisches Blut als bei jedem anderen amtierenden israelischen Politiker oder Militär. Der Leiter des Alternativen Informationszentrum in Jerusalem (AIJ) Michel Warschawski ist der Meinung, dass Ehud Barak wegen der Abriegelung des Gazastreifens und Kollektivbestrafung der dortigen Bevölkerung vor dem Internationalen Kriegsgerichtshof in Den Haag angeklagt werden sollte.

Als erster israelischer Offizier dient Barak zu Beginn der 90er-Jahre Regierungschef Yitzhak Rabin auch als politischer Berater. Bei der militärischen Umsetzung des Oslo-Abkommens von 1993 rühmt er sich, so manche "Schwäche" in der Planung des israelischen Teilrückzugs aus Jericho und dem Gazastreifen wettgemacht zu haben. Wieder hat seine Beratertätigkeit aber auch weniger rühmliche Seiten. So soll er 1992 die Regierung Rabin gedrängt haben, 400 Islamisten aus den besetzten palästinensischen Gebieten einfach im Libanon auszusetzen. Verantwortlich gemacht wird Barak auch für die Operation "Abrechnung", einen israelischen Vorstoß gegen die mit Katjuschas feuernde Hisbollah im Jahre 1993 im Südlibanon mit 120 Toten und tausenden Flüchtlingen. Im Frühjahr 2000 wird Barak dennoch ein Wahlversprechen einlösen und seine Truppen sang- und klanglos aus der Pufferzone im Südlibanon abziehen.

Seine politische Karriere verläuft ähnlich atemlos wie seine militärische, allerdings mit einem - vorläufig - eher bitteren Ende. Nur ein halbes Jahr nachdem er aus der Armee ausgeschieden ist, holt Rabin den Karrieremilitär im Sommer 1995 in sein Kabinett und macht ihn zum Innenminister. Nach der Ermordung Rabins wird er Außenminister im Kabinett von Schimon Peres. Im Jahre 1996, nach der Wahlniederlage von Peres gegen den Hardliner Netanjahu, bewirbt Barak sich um die Führung der Arbeitspartei und wird im Sommer 1997 mit 51 Prozent der Stimmen gegen vier andere Kandidaten gewählt. Im Wahlkampf 1999 präsentiert er sich als legitimer Erbe von Jitzhak Rabin, der den Friedensprozess mit den Palästinensern wieder aufzunehmen verspricht. Dafür erhält er sogar die offiziellen Weihen von Leah Rabin, der Witwe des ermordeten Ministerpräsidenten. International wird er als Hoffnungsträger für einen Frieden im Nahen Osten gefeiert.

Barak ist überzeugt, dass er diesen Frieden auch erreichen kann - aber zu seinen Bedingungen. Nach seinem überwältigenden Wahlsieg zeigt er Palästinenserpräsident Jassir Arafat erst einmal die kalte Schulter und führt stattdessen Verhandlungen mit Syrien über einen Friedensschluss auf den Golanhöhen. Wochenlang weigert er sich, den PLO-Chef zu treffen. Weitere Rückzüge aus den palästinensischen Gebieten, für die Barak einst seinen Vorgänger Netanjahu sogar gelobt hat, lehnt er ab. Den Ausbau der israelischen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet treibt er voran. Er misstraut Jassir Arafat zutiefst. Über den Showdown im amerikanischen Camp David im Juli 2000 wird Barak später sagen, dass er damit das Ende der Legitimität Arafats eingeleitet habe. Nach dem martialischen Auftritt von Ariel Scharon auf dem Tempelberg im September 2000 bricht die Al-Aksa-Intifada aus. Noch einmal reagiert Barak mit Gewalt. In den ersten Tagen zählen die Palästinenser mehr als 50 Tote. Selbst in Nazareth lässt Barak die Polizei auf seine arabischen Mitbürger schießen. Sieben finden den Tod. Im Dezember 2000, fünfeinhalb Jahre nach seinem furiosen Eintritt in die israelische Politik, wirft er entnervt das Handtuch. Von seiner einstigen Regierungskoalition steht nur noch die Hälfte hinter ihm.

Selbst wenn Israels Militäroperation im Gazastreifen "nur" zu einer neuen dauerhafteren Waffenruhe für die Bürger im Süden des Landes führt, wird Barak dies als Erfolg seiner Militärpolitik reklamieren. Damit hält er die Chance für eine Regierungsbeteiligung der Arbeitspartei bis hin zum Likud offen. Weniger als das Amt des Verteidigungsministers dürfte man ihm dann nicht anbieten können.

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