Kretschmanns Ideen zu Föderalismus: Hand aufhalten und pöbeln
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält das Bundesbildungsministerium für überflüssig. Geld vom Bund nimmt er aber gerne.
![Winfried Kretschmann gestikuliert während eines Interviews Winfried Kretschmann gestikuliert während eines Interviews](https://taz.de/picture/4946383/14/Winfried-Kretschmann-Bundesbildungsministerium-1.jpeg)
E s gibt gute Gründe, die Arbeit von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) zu kritisieren: die viel zu späten Coronahilfen für Studierende, ihre Gleichgültigkeit gegenüber den prekären Arbeitsbedingungen an Hochschulen, das Unvermögen, die Länder in Bildungsfragen stärker zu vereinheitlichen. Siehe Abiturnoten oder zuletzt Pandemiepolitik.
Was jedoch der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann soeben in einem Interview ins Spiel bringt, stellt nicht die Ministerin in Frage – sondern das ganze Ministerium. Kretschmann leuchtet nämlich nicht ein, „warum ein Ministerium auf einer Ebene eingeführt wird, für die man nicht zuständig ist. In Baden-Württemberg gibt es ja auch kein Außenministerium“.
Was Kretschmann damit sagen möchte: Das Bundesbildungsministerium ist überflüssig, Bildung ist schließlich Ländersache. Bitte, lieber Bund, begreif das nun endlich mal! Doch ganz so einfach, wie Kretschmann es sich macht, ist es nicht.
Denn erstens nimmt Kretschmann seit Jahren gerne die Gelder aus Berlin, um damit auch munter in Stuttgart oder Heidelberg in „seinen“ Hoheitsbereich zu investieren: beim Bafög, Kitaausbau, Ganztag, zuletzt beim Digitalpakt und Nachhilfeprogramm. Um mal nur einige Bundesprogramme zu nennen.
Erpressung im Bundesrat
Kretschmann greift also zu, verbittet sich gleichzeitig aber die Mitsprache bei den Zielvorgaben. Undankbar wäre noch ein nettes Adjektiv für dieses Verhalten. Doch es kommt noch dicker: Denn der undankbare Kretschmann torpediert wichtige Bildungsinvestitionen über den Bundesrat, wenn ihm der Bund zu wenig Kohle locker macht. Zuletzt geschehen am vergangenen Freitag.
Der Bundesrat sollte da einem Prestigeprojekt der Bundesregierung zustimmen: dem Gesetz, das den Eltern einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen garantiert. 3,5 Milliarden Euro würde der Bund zahlen, dazu langfristig eine Milliarde jährlich zur Deckung der Betriebskosten. Doch was vielen Ländern reicht, reicht Kretschmann nicht. Baden-Württemberg bliebe so auf dauerhaften Betriebskosten sitzen, schimpfte er. Der Bund müsse mehr Geld rausrücken.
Kretschmanns maue Bilanz
Das Gesetz wurde erst einmal nicht verabschiedet. Man muss an dieser Stelle betonen: Kretschmanns eigene (neue und ebenfalls grüne) Bildungsministerin, Theresa Schopper, befürwortet den Ganztagsausbau. Dass die Investitionen bildungspolitisch sinnvoll und notwendig sind, ist also auch in Stuttgart unbestritten. Nur: Bisher hat das Land selbst nicht allzu viel dafür getan. Im Ländervergleich liegt Baden-Württemberg bei der Ganztagsbetreuung an Grundschulen weit abgeschlagen an letzter Stelle.
Man kann es also auch so sehen: Wenn es einem der reichsten Bundesländer in der Vergangenheit nicht Wert war, in Chancengleichheit zu investieren, dann sind die Forderungen, der Bund soll jetzt gefälligst alles bezahlen, eine glatte Unverschämtheit. Das sollte auch Winfried Kretschmann endlich begreifen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
Tod von Gerhart Baum
Einsamer Rufer in der FDP-Wüste
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören