Krebsrisiko steigt mit Verzehrmenge: Hüte Dich vor verarbeitetem Fleisch
Die WHO geht davon aus, dass weltweit jedes Jahr 34.000 Menschen sterben, weil sie zu viel verarbeitetes Fleisch gegessen haben.
Unverarbeitetes rotes Fleisch – etwa vom Rind, Schwein oder Schaf – beurteilt die Agentur lediglich als „wahrscheinlich krebserregend“, weil die Datenlage nicht ganz so deutlich ist wie für Fleischerzeugnisse. Doch auch das ist noch die zweithöchste der fünf WHO-Kategorien für Krebsgefahren.
Die IARC ist eine der ersten Adressen weltweit, wenn es darum geht, Substanzen auf ihr Krebspotenzial zu untersuchen. Sie wertet alle öffentlich zugänglichen relevanten Studien aus, ihre Fachleute gelten als besonders unabhängig von Branchen, die von den IARC-Einstufungen betroffen sind. Daher haben die aktuellen Ergebnisse mehr Gewicht als frühere Einzelstudien, die ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und Krebs festgestellt hatten.
Für die Einstufung haben die 22 WHO-Experten mehr als 800 Untersuchungen aus mehreren Ländern und Kontinenten analysiert, vor allem epidemiologische Studien, bei denen der Gesundheitszustand und die Ernährung großer Gruppen verglichen wurden. Ergebnis: Wer mehr verarbeitetes Fleisch aß, entwickelte häufiger Tumoren.
Diesen Zusammenhang fanden die Forscher in verschiedenen Untersuchungen, Bevölkerungsgruppen und Staaten mit unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten. Es sei unwahrscheinlich, dass die Resultate durch Zufall, mangelnde Neutralität der Wissenschaftler oder andere Störfaktoren zustande gekommen seien.
Bei unverarbeitetem roten Fleisch dagegen konnten die Wissenschaftler diese möglichen Verzerrungen nicht mit derselben Gewissheit ausschließen. Allerdings fanden sie „starke“ Hinweise dafür, dass rotes Fleisch Mechanismen im Körper auslöst, die Krebs entstehen lassen können.
Warum genau Fleisch Tumoren verursacht, ist laut IARC noch nicht völlig geklärt. Bekannt ist aber, dass beim Haltbarmachen durch Pökeln oder Räuchern krebserregende Substanzen entstehen.
Fleisch hat auch Vorteile
Die Tragweite der Einschätzung ist groß: Weltweit sterben laut WHO 34.000 Menschen jedes Jahr, weil sie zu viel verarbeitetes Fleisch gegessen haben. Je nach Land essen zwei bis 65 Prozent der Bevölkerung verarbeitetes Fleisch und fünf bis 100 Prozent unverarbeites rotes Fleisch. Die Fleischindustrie und ihr Zulieferer, die Landwirtschaft, machen Milliardenumsätze.
Doch was bedeutet die Warnung für die Verbraucher? „Für die einzelne Person bleibt das Risiko gering, wegen des Konsums von verarbeitetem Fleisch Darmkrebs zu entwickeln“, sagt Kurt Straif, der die für die Krebseinstufungen zuständige „Monografien“-Abteilung der Agentur leitet. Zigarettenrauchen erhöhe das Risiko für Lungenkrebs um mehr als 1.000 Prozent. Die vorliegenden Daten erlaubten es aber nicht, eine Fleischdosis zu definieren, die sicher ist. Fest stehe nur: „Das Risiko steigt mit der Menge.“
Also gar kein verarbeitetes oder rotes Fleisch mehr konsumieren? „Fleisch essen hat Vorteile für die Gesundheit“, so die IARC. Es liefert das lebenswichtige Eisen und Vitamin B12, das für Hirnentwicklung und -funktion unabdingbar ist. Derartige Nährstoffe enthalten aber auch pflanzliche Lebensmittel und Milchprodukte.
Wer dagegen vegan lebt, also auch auf Milch und alle anderen tierischen Nahrungsmittel verzichtet, muss Vitamin B12 künstlich zuführen, etwa durch Tabletten oder angereicherte Lebensmittel. „Man muss sehr gut Bescheid wissen, um Mangelerscheinungen zu vermeiden“, so Professor Bernhard Watzl vom bundeseigenen Max-Rubner-Institut für Ernährung und Lebensmittel.
Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf
Watzl hält bis zu 500 Gramm Fleisch pro Woche für ungefährlich „wenn man viel Obst, Gemüse, Salate isst“ – denn die enthielten Stoffe, die das Krebsrisiko mindern. Die renommierte Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt seit Jahren, „nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche“ zu essen.
Derzeit verschlingen die Deutschen aber sehr viel mehr: Männer kommen laut DGE auf 1.092 Gramm pro Woche. „Die Leute müssen weniger Fleisch essen“, fordert Watzl – nicht nur wegen Krebs, sondern weil zu viel Fleisch ebenso Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen könne.
Kritik an der IARC-Einstufung kommt vom Krebsforscher und Medizinnobelpreisträger Harald zur Hausen. Ihm ist das Urteil zu pauschal. „Die Evidenz spricht sehr dafür, dass das Rindfleisch eine spezifische Rolle spielt“, so von Hausen. Schweine, Lämmer oder Ziegen könnten unschuldig am Krebs sein. „Man sollte gezielt Untersuchungen über die Fleischarten starten.“
Das North American Meat Institute, eine Lobbyorganisation der US-Fleischindustrie, wirft der IARC vor, mit alten, aussageschwachen und unzuverlässigen Daten gearbeitet zu haben. „Sie haben die Daten gefoltert, um ein bestimmtes Ergebnis sicherzustellen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“