Korruption in Spaniens Regierungspartei: Einer nach dem anderen singt
In den Korruptionsfällen der Konservativen packen immer mehr Angeklagte aus. Ministerpräsident Rajoy gerät zunehmend unter Druck.
Zu denen, die ihr Schweigen gebrochen haben, zählt der ehemalige Generalsekretär der PP in der Mittelmeerregion Valencia, Ricardo Costa. Er hat dargelegt, wie die Partei die Wahlkämpfe 2007 bis 2011 mit Schwarzgeld finanziert hat. In Madrid hat der frühere Kabinettschef der Landesregierung, Francisco Granados, vor Gericht gesagt, in seiner Region habe es nicht anders ausgesehen.
Die Gelder stammten hauptsächlich vom Netzwerk „Gürtel“ – so der Codename der Ermittler für das größte Korruptionsgeflecht rund um die PP. „Gürtel“ ist die Übersetzung des Nachnamen jenes Unternehmers, der die schmutzigen Geschäfte abwickelte, Francisco Correa. Egal, ob es sich um Großaufträge der Landesregierungen handelte, um die Organisation und TV-Übertragung des Besuchs von Papst Benedikt XVI. im Juli 2006 in Valencia, das Rennen der Formel 1 in der Stadt oder den Ausbau des U-Bahn-Systems in Madrid: Immer kassierte die Partei ab. Das Netzwerk fädelte Geschäfte ein, stellte falsche Rechnungen aus oder arbeitete gegen Schwarzgeld – neben Schmiergeldern auch illegale Parteispenden von Großunternehmern – im Wahlkampf für die PP.
Insgesamt werden derzeit 65 Korruptionsfälle der PP verhandelt; Hunderte Beschuldigte stehen vor Gericht; es geht um Milliarden von Euro. Allein das Netzwerk Gürtel soll nach Berechnungen von Journalisten knapp eine Milliarde Euro beiseite geschafft haben. Correa bereicherte sich mit mindestens 119 Millionen Euro. Seine Nummer zwei, Pablo Crespo, verdiente etwa halb so viel. Der ehemalige PP-Buchhalter Luis Bárcenas verbarg rund 90 Millionen Euro auf ausländischen Konten.
Im Kassenbuch steht alles
Schon bald könnten – dank der Aussagen von Granados – in der Hauptstadtregion Madrid weitere hohe PP-Politiker vorgeladen werden. Der Politiker Ignacio González zum Beispiel soll unter anderem mittels Geschäften der Wasserwerke Millionen in die eigenen Tasche gewirtschaftet haben.
Gürtel-Chef Correa selbst sprach Anfang des Monats per Video aus der Untersuchungshaft vor einem Ermittlungsausschuss im spanischen Parlament. Regierungschef Rajoy sei über alles im Bilde gewesen und habe „sein Okay gegeben“. Es ist nicht das erste Mal, dass Rajoys Name im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen fällt. Exschatzmeister Bárcenas führte ein handschriftliches Kassenbuch mit Einnahmen und Ausgaben aus dunklen Quellen. Das Buch ist einer der Hauptbeweise, nachdem die Festplatten aus Bárcenas Rechnern in der Parteizentrale mutwillig zerstört wurden.
Aus der Schwarzgeldkasse zahlte er unter anderem Zusatzgehälter für hohe Parteifunktionäre. Im Kassenbuch sind auch insgesamt 350.000 Euro für einen „M. Rajoy“ vermerkt. Der Chefinspektor der Antikorruptionsabteilung der spanischen Polizei, Manuel Marrocho, bestätigte vor dem Ausschuss, alle Indizien deuteten darauf hin, dass Rajoy tatsächlich größere Summen in die eigenen Tasche steckte. Dennoch wurde der Regierungschef bisher nur als Zeuge vor Gericht geladen.
Die Parteispitze versucht die Vorwürfe auszusitzen. Gefragt, ob er belegen könne, dass die PP sich weder in Valencia noch in Madrid illegal finanziert habe, antwortete PP-Fraktionssprecher Rafael Hernando: „Ich bin Parteimitglied in Almeria“, und beendete die Pressekonferenz. Tags darauf konnte er in einigen Medien die Korruptionsfälle aus seiner Heimatprovinz nachlesen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung