Meinungs- und Kunstfreiheit in Spanien: Justiz disst Rapper
Ein Musiker wurde zu dreieinhalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Einem anderen drohen bis zu vier Jahren und neun Monaten Haft.
Madrid taz | Wer sich in Spanien seinen Frust von der Seele rappt, lebt gefährlich. Davon kann Valtonyc ein Lied singen. Der Rapper wurde am Montag vom obersten Gerichtshof in Madrid zu dreieinhalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Sein Vergehen: Er hatte gegen die Polizei, die Monarchie und korrupte Politiker gerappt. Mit Gewaltfantasien soll er überdies, so das Urteil, „die Terrororganisationen ETA und Grapo verherrlicht“ haben. Die Berufung auf Meinungs- und Kunstfreiheit half Valtonyc nichts.
„Wenn ich ETA hochleben lasse, sperren sie mich ein, wenn du ein Hurensohn wie Urdangarin bist, nicht“, hatte Valtonyc in einem Song vorweggenommen. Iñaki Urdangarin ist der Schwager des spanischen Königs. Er wurde vor einem Jahr wegen Korruption und Unterschlagung öffentlicher Gelder zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, ist aber immer noch auf freiem Fuß.
Valtonyc ist kein Einzelfall. Mit Pablo Hasél steht ein weiterer bekannter Rapper vor Gericht. Auch ihm wird Verherrlichung des Terrorismus sowie „Verunglimpfung der Autoritäten“ vorgeworfen. Er bezeichnet auf Twitter die Polizei als „Mörder“ und „Söldner“, beschuldigt die paramilitärische Guardia Civil der Folter – wie das auch Menschenrechtsorganisationen und europäische Richter getan haben.
Er wirft ihnen auch vor, auf Immigranten zu schießen – was vor vier Jahren an der Grenze zu Marokko tatsächlich geschah. Außerdem bezeichnet Hasél die Monarchie als „eine mafiöse, mittelalterliche Institution“. Dem Rapper drohen bis zu vier Jahren und neun Monaten Haft.
Das Rap-Trio La Insurgencia wurde kürzlich zu zwei Jahren und einem Tag Haft verurteilt, als sie die längst aufgelöste bewaffnete marxistische Grapo als Antifaschisten bezeichneten. Das Berufungsverfahren steht noch aus.
„Dabei geht es um die Verherrlichung eines Terrorismus, den es nicht mehr gibt“
Grundlage für all diese Verfahren sind das Antiterrorgesetz sowie das Gesetz zur Sicherheit der Bürger, das in Spanien „Knebelgesetz“ genannt wird. Beides sind Werk der konservativen Regierung unter Mariano Rajoy. In den letzten vier Jahren wurden damit auch 76 Menschen wegen ihrer Aktivitäten auf Twitter festgenommen, unter ihnen Musiker, Künstler, Journalisten und selbst Anwälte.
Allen wird „Verherrlichung des Terrorismus“ und „Demütigung der Opfer“ vorgeworfen. „Dabei geht es um die Verherrlichung eines Terrorismus, den es nicht mehr gibt“, beschwert sich auch der spanische Amnesty-International-Sprecher Estebán Beltrán. Als ETA 2011 die Waffen niederlegte, wurden fünf Beschuldigte wegen „Verherrlichung des Terrorismus“ verurteilt. 2017 waren es 23 und 2016 gar 38.
Leser*innenkommentare
Diego
Wie viele Eimer Sangria muss man eigentlich saufen um solch hohle Textzeilen wie Valtönyc zu schreiben? Ganz große Kunst!
johali
@Diego Aus dem Kontext gerissen und mittelmäßig übersetzt...
Andi S
Die gennante Textzeile empfinde ich nur als Provokant. Die restlichen Texte die zu den Verurteilungen führte, kenne ich nicht. Hoffentlich bleibt die taz hier dran und gibt mehr Hintergründe. Gerade die Kunstfreiheit sichert aber eine deutliche Absetzung von der Alltagsmeinungsäusserung zu und solange nicht zu konkreten schweren Straftaten aufgerufen wird, muss das eine Gesellschaft aushalten. Hoffentlich interveniert der EUGh hier.
kditd
Umm, wow. Ich wußte nicht, daß es da so schlimm um die Meinungsfreiheit steht. Können Betroffene nicht vorm EU-Gerichtshof Berufung einlegen?
Etwas ist faul im Staate EU...
nischu
Mich hat das Urteil schockier! Gleichzeitig muss man "berücksichtigen" dass Spanien schon lange kein Rechtsstaat mehr ist. Die Mafia des PP erfindet Anklagen und lässt sie von den überwiegend PP- freundlichen Richtern im Hau- Ruck- Verfahren bestätigen. Es ist noch nicht lange her, dass man Leserbriefe an angesehene Zeitungen senden konnte, ohne eine Repression zu befürchten, wie ich das selber erlebt habe. Das ist vorbei, seitdem die ganze Bande unter Schock steht, weil jetzt gegen den PP ermittelt wird. Rapper und Komiker haben in jedem demokratischen Land Narrenfreiheit. Man kann über die Ausdrucksweise diskutieren. Aber in Spanien gibt es normalerweise eine grosse Toleranz bei Beleidigungen, die in Deutschland geahndet würden. Kein Autofahrer zeigt einen hier an, wenn man ihm ein "hijo de puta" "puta" oder cabrón" zuruft, wenn er einem etwa die Vorfahrt genommen hat.
Der Fall von Undigarain und seiner Frau Cristina, der Tochter von Juan.Carlos I, ist besonders brisant. und lässt Rückschlüsse auf die "Unparteilichkeit" der spanischen Justiz ziehen. Zusammen mit einem Komplizen hatten sie viele Millonen einer Stiftung auf Mallorca veruntreut, an der Steuer vorbei, versteht sich. Es gibt Zeugenaussagen, dass Cristina, wie bei einem Paar logisch, bis hinter die Ohren darin verstrickt war. Sie kam durch den Einfluss ihres Vaters mit einer geringen Geldstrafe davon.
Bei politisch motivierten "Verbrechen" reagiert die Justiz in Spanien postwendend. Nicht so bei Betrug. Es ist geradezu idiotisch, die Lieder eines Rappers zu zensieren, auch wenn man sie für geschmacklos halten kann. Sie sind für ein intelligentes Publikum gedacht, nicht für Spiesser oder Rechtsradikale. Letztere dürfen jederzeit demostrieren und Hassparolen brüllen. Die Polizei schützt sie vor aufgebrachten Bürgern.
Zusammenfassend: Das "Rechtsystem" im "demokratischen Spanien, ähnelt zunehmend den Staaten wo Erdogan und Putin das Sagen haben!
97796 (Profil gelöscht)
Gast
@kditd Das hochlebenlassen von Mörderbanden ist hier zurecht bestraft worden. Über das Strafmaß lässt sich streiten. Gleiches würde ich mir wünschen bei Judenhass oder Frauenerniedrigung. 4 Jahre Knast für Bushido? Das würde mein Herz erwärmen.
97796 (Profil gelöscht)
Gast
@kditd Sie verwechseln Meinungsfreiheit mit Narrenfreiheit.
Sven Günther
@97796 (Profil gelöscht) Richtig, nur faschistische Mörderbanden dürfen in Spanien verherrlicht werden und der Staat kommt für die Kosten auf, Valle de los Caídos...
teh
»Wenn ich ETA hochleben lasse, sperren sie mich ein, wenn du ein Hurensohn wie Urdangarin bist, nicht« ist kein »Hochlebenlassen von Mörderbanden«, sondern eine Meinungsäußerung, welche nachträglich zur wahren Tatsachenbehauptung geadelt wäre, wenn der Verurteilte denn die ETA tatsächlich verherrlicht hätte. Dass er das tatsächlich getan hat, ist nicht erwiesen.
Der »Hurensohn« hätte das Zeug zur Beleidigung, aber in einem Nicht-Schurkenstaat wäre ohnehin alles von der Kunstfreiheit gedeckt. Es handelt sich um Rap!
Hallo Auswärtiges Amt, bitte Reisewarnung für Spanien aktualisieren!
nischu
@teh In Sachen Katalonien denken sich der PP und seine Freunde in der Audiencia Nacional, die unglaublichsten Anschuldigungen aus. Die A. N. ist ein Schnellgericht, wo die "Sünder" sofort eingesperrt oder mit/ohne Kaution bis zum Gerichtstermin auf freien Fuss kommen. verantwortlich ein einziger Richter/in. Dieses Gericht hiess zu Francos Zeiten TOP - Tribunal de Orden Púplico. Wegen angeblicher Ungehorsamkeit, Sedition und Rebellion und Vergeudung von Saatsgeldern sitzen seit vier, bzw. "nur" drei Monaten katalanische Politiker in Untersuchungshaft, die sich freiwillig in Madrid gemeldet hatten. Alle Anträge wurden mit den fadenscheinigsten "Argumenten" abgelehnt. Selbst die Bitte um verlegung in ein Gefängnis bei Barcelona, wo sie regelmässisg den Besuch von Frau und Kindern bekommen könnten. Das ist reine S C H I K A N E!!! Mit Ausnahme der Vergeudung von Staatsgeldern zur Finanzierung der Voksbefragung, sind die anderen Anklagepunkte, auf die etwa bei Rebellion 30 Jahre Hafr stehen falsch und lächerlich Das Geld wurde von privaten Mäzenen gestellt: 1,5 MillonenEeuro. (Deer Staat hat daraus vier Millonen gemacht. Der kriminelle Einsatz der spanischen Polizei,Über 1000 Verletzte, ein durch den Einsatz von Gummischutz verlorenes Auge und Millonen Euro Sachschaden in den Wahllokalen hat der Innenminister mit 78 Millonen angegeben. Rebellion gab es nicht einmal im Ansatz: Eine Volksbefragung ohne den Einsatz von Waffen ist keine Rebellion. Eine parlamentare Abstimmmung über die Gründung einer Katalanischen Republik ist keine Sedition. Pasiver Wiederstand gegen Rajoys Verbot , die Befragung und Abstimmung durchzuführen, könnte man als Ungehorsam eines autonomen Landes gegenüber einer Zentralregierung werten. Nun wurde auch der emtmachtete ex-Chef der katalanischen Polzei, Trapero, angeklagt, die spanische Polizei bei der Ausübung ihrer Pflicht behindert zu haben: ohne gegenteilige Order befahl er seinen Polizisten für Ordnung zu sorgen!