Korruption im Gesundheitswesen: Endlich durchleuchtbar
Jahrzehntelang kamen bestechliche Ärzte straffrei davon – wenn sie eine eigene Praxis hatten. Ein neues Gesetz soll das nun ändern.
Jahrzehntelang hatte die Justiz stillschweigend akzeptiert, dass im Gesundheitswesen viel geschmiert wird, um die eigenen Geschäfte zu befördern. Erst nach der Jahrtausendwende begannen Staatsanwälte mit Ermittlungen. Im Mittelpunkt des Interesses standen dabei die Ärzte, da sie Medikamente verschreiben, Geräte bestellen oder Patienten weiterverweisen.
Große Enttäuschung herrschte daher, als der Bundesgerichtshof 2012 feststellte, dass die Bestechung von frei praktizierenden Medizinern derzeit gar nicht strafbar ist. Es liege keine Bestechung von Amtsträgern (§ 334 Strafgesetzbuch) und auch keine Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299) vor. Die niedergelassenen Ärzte seien weder Funktionäre noch Beauftragte der Krankenkassen. Sie würden vielmehr von den Patienten ausgewählt und in deren Interesse tätig.
Schnell war klar, dass diese Lücke geschlossen werden soll. Schon im Juni 2013 beschloss der Bundestag auf Vorschlag des damaligen Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) ein entsprechendes Gesetz, das der rot-grün dominierte Bundesrat jedoch kurz vor der Bundestagswahl im Herbst 2013 blockierte. Damals wurde kritisiert, dass die Strafvorschrift im Sozialgesetzbuch angesiedelt sein sollte, wo sie nur Kassenärzte betroffen hätte. Privatpatienten blieben dagegen „Freiwild“, bemängelte die SPD.
Auch immaterielle Vorteile betroffen
Zwei Jahre später ist die große Koalition nun konsequenter. Die neue Vorschrift soll im Strafgesetzbuch (§ 299a) verankert werden und damit sowohl die Behandlung von Kassen- als auch von Privatpatienten betreffen. Künftig wird es strafbar sein, einem Arzt Vorteile dafür zu gewähren, dass er bestimmte Medikamente verschreibt, bestimmte medizinische Apparate verordnet oder einer bestimmten Klinik Patienten übermittelt.
Der verbotene Vorteil muss nicht in Geldzahlungen bestehen, auch Reisen oder Rabatte bei der Anschaffung von Praxisgeräten kommen in Betracht, ebenso die kostenlose Einladung zu teuren Fachkongressen oder Fortbildungsveranstaltungen. Ein unerlaubter Vorteil kann alles sein, worauf der Arzt keinen Anspruch hat und was ihn besserstellt.
Selbst immaterielle Vorteile wie Ehrungen und Ehrenämter kommen laut Gesetzentwurf in Frage. Bei Geschenken gibt es auch keinen ausdrücklichen Mindestwert. Allerdings sollen bloße Werbegeschenke wie Kugelschreiber noch „sozialadäquat“, also straflos sein, da sie nicht geeignet seien, das Handeln von Ärzten ernstlich zu beeinflussen.
Entscheidend ist aber jeweils, dass zwischen Geber und Nehmer eine sogenannte Unrechtsvereinbarung besteht. Das heißt: Der Vorteil ist nur strafbar, wenn er gewährt wird, damit der Arzt ein bestimmtes Produkt gegenüber anderen Produkten bevorzugt. Diese Vereinbarung muss nicht schriftlich geschlossen werden, für die Strafbarkeit genügt es, dass Geber und Nehmer sich über den unlauteren Deal einig sind. Ob die Unrechtsvereinbarung dann im Einzelfall zu beweisen ist, steht auf einem anderen Blatt.
Beide Seiten machen sich strafbar
Ein Beispiel: Auch künftig kann ein Arzt im Auftrag einer Pharma-Firma bei der „Anwendungsbeobachtung“ für ein neues Medikament mitwirken, indem er systematisch auf Wirkungen und Nebenwirkungen achtet. Diesen Mehraufwand darf er sich auch vergüten lassen. Solche Verträge dürfen aber kein versteckter Anreiz zur Verschreibung des Präparats sein, denn das wäre eine Unrechtsvereinbarung. In der Praxis wird es darauf ankommen, dass Vergütung und Aufwand in einem angemessenen Verhältnis stehen.
Strafbar machen sich dann jeweils beide Seiten: der Arzt, der den unlauteren Vorteil empfängt, und die Mitarbeiter des Unternehmens, die ihn bestechen. Verfolgt wird die Tat in der Regel aber nur auf Antrag. Dabei können jedoch viele Betroffene einen Antrag stellen: konkurrierende Unternehmen, Krankenkassen, die Ärztekammer und die Patienten des bestochenen Arztes. Zuständig für ein Urteil sollen die Wirtschafts-Strafkammern des örtlichen Landgerichts sein.
Patienten, die ihrem Arzt nach gelungener Operation eine Kiste Wein schenken, machen sich auch künftig nicht strafbar. Schon bisher war es für Ärzte berufsrechtlich verboten, sich bestechen zu lassen. Weil aber die Ärztekammer kaum Ermittlungsbefugnisse hat – sie kann zum Beispiel keine Praxis durchsuchen –, lief das Verbot praktisch leer.
Betroffen von der neuen Strafvorschrift sind neben Ärzten und Zahnärzten auch Apotheker, Psycho- und Physiotherapeuten sowie Logopäden und Krankenpfleger. Justizminister Maas geht davon aus, dass das neue Strafgesetz nicht nur das Vertrauen der Patienten in ihre Ärzte stärkt, sondern auch den redlichen Ärzten und Pharma-Unternehmen nutzt.
Falls der Bundestag zustimmt, womit zu rechnen ist, kann das Gesetz Anfang 2016 in Kraft treten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Krieg in Gaza
Kein einziger Tropfen sauberes Wasser
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus