■ Kopftuchdebatte: Die Muslimin Fereshta Ludin darf keine Lehrerin werden. Für die Migranten in Deutschland ist dies ein fatales Signal: Der universalistische Schwindel
Die Diskussion um das Kopftuch ist nicht neu. Vor neun Jahren diskutierte bereits Frankreich über das Kopftuch der Schülerinnen in Creil. Die Stellungnahme zugunsten der Mädchen spaltete damals die SOS-Rassismus-Bewegung und kostete sie die Unterstützung der Sozialisten, die traditionell an dem rigiden Laizismus festhalten.
Damals schien Deutschland ein kleines Paradies für Gläubige jeder Ausrichtung zu sein: Hier sagte niemand etwas dagegen, wenn Mädchen mit Kopftüchern zum Unterricht erschienen, auf Antrag wurden sie vom Sport- oder Schwimmunterricht befreit – Zustände, über die ein Franzose nur den Kopf schütteln konnte. Aber Franzosen verstanden ja auch nicht, daß in Deutschland von jedem Gehalt die Kirchensteuer automatisch abgezogen wird und sich eine der größten Parteien christlich-demokratisch nennt.
Dabei trog der Schein in Deutschland schon immer: Die Mädchen, die mit Kopftüchern ihre toleranten Schulen und die Lehre beendeten, wurden spätestens bei der Stellensuche mit der bitteren Wahrheit konfrontiert. Als Verkäuferin oder Sekretärin hatten sie kaum Chancen. Irgendeinen Grund, Mädchen mit Kopftuch nicht zu nehmen, fanden die Perosnalchefs immer – manche sagten auch klipp und klar, daß sie mit dieser Aufmachung nicht arbeiten konnten.
Anders ging es in der Produktion zu: Dort tragen fast alle Arbeiterinnen muslimischen Glaubens ein Kopftuch, auch die Frauen der Putzkolonnen sind gewöhnlich kopfbedeckt. Das wird von Arbeitgebern nicht nur hingenommen, sondern vielfach ausdrücklich aus hygienischen Gründen begrüßt.
Nun gibt es einen Unterschied zwischen der Muslimin, die die Klassenräume blank scheuert, und derjenigen, die an der Tafel steht und über Goethe und Schiller erzählt. Was bei der einen hygienisch und religionsfreiheitlich unbedenklich ist, ist bei der zweiten möglicherweise ein Zeichen für religiösen Fanatismus und dafür, daß sie für diesen Job ungeeignet ist, auch wenn sie vielleicht gar keine religiöse Fanatikerin ist. Das klingt alles etwas kompliziert. Vielleicht versuchen wir einfach, über Dinge zu sprechen, über die in diesem Zusammenhang weniger gerne gesprochen wird.
Die Schule ist nirgendwo, auch in Deutschland nicht, hinsichtlich der Werte, Normen und der Weltanschauung, die dort vermittelt wird, neutral. Das gilt vom Kindergarten bis zum Abitur. Sogar in relativ toleranten Großstädten wie in Berlin gibt es auch in der alternativsten Kita alljährlich Weihnachtsfeiern. Die Kinder – egal, ob sie christlich erzogen werden oder nicht – singen dort Jesuslieder, und niemandem fällt es ein, daß dies vielleicht von manchen Eltern nicht erwünscht ist. Feiertage anderer Religionen werden meistens vergessen – und wenn sie doch stattfinden, wirkt das oft aufgesetzt. Religion ist niemals nur Glaube, sondern stets auch Kultur und Zivilisation.
In der deutschen Schule wird die westliche, historisch auch auf dem Christentum beruhende Kultur und Zivilisation vermittelt – und diese weicht vom Islam per definitionem ab. Kein Unterricht ist von den Werten und Normen befreit, die dieser Teil der Welt für sich geschaffen und als universell gültig erklärt hat und gegen die es in der übrigen Welt in unserer Zeit so große Widerstände gibt. So ist eine Lehrerin mit dem Kreuz um den Hals in deutschen Schulen eine alltägliche Erscheinung, die ins Bild paßt, während eine Lehrerin mit Kopftuch eben fehl am Platz ist. Weil sie islamisch ist.
Die Schule ist also nicht weltanschauungsneutral, und die Werte und Normen, die sie vermittelt, haben zwar universellen Anspruch, jedoch nicht diesen Charakter. Wenn Fereshta Ludin, die in Baden-Württemberg nicht Lehrerin werden darf, also eine Muslimin wäre, die ihre Kultur und Zivilisation als einzig gültige und richtige empfindet, würde sie wohl als erstes ablehnen müssen, mit diesen Lehrplänen zu arbeiten. Sie würde versuchen, den Kinder eher ihre eigene Weltsicht beizubringen. Da sie dies an der öffentlichen deutschen Schule nicht kann, würde sie in eine Privatschule gehen oder vielleicht versuchen, eine private islamische Schule zu gründen, deren Klassenräume zu füllen kein Problem sein würde.
Aber das alles ist gar nicht ihre Absicht. Fereshta Ludin besteht lediglich darauf, das Kopftuch im Unterricht zu tragen. Eigentlich ist das falsch ausgedrückt, denn es gibt in der Öffentlichkeit für eine gläubige Muslimin überhaupt keinen Platz, an dem sie das Tuch „ablegen“ darf. Ob das Tuch nun islamische Vorschrift ist oder nicht, ist dabei weniger interessant. Wenn sie selbst dies als religiöse Vorschrift empfindet, dann ist es eine. Sie will das Kopftuch tragen und den Kindern dasselbe beibringen wie ihre nichtmuslimischen KollegInnen. Daß sie dies nicht als Widerspruch zu ihrem islamischen Glauben empfindet, müßte jeden Laizisten eigentlich hoch erfreuen. Denn es zeigt, daß Fereshta Ludin ihren Glauben auf den privaten Bereich ihres Gewissens beschränkt und nicht als Politik verstanden wissen will.
In der französischen Kopftuchdebatte ging es eindeutig um die traditionell rigide Auffassung vom Laizismus und um die Frage, ob diese Auffassung nun abgemildert und der Zeit angepaßt werden sollte. Es ging darum, daß in französischen Schulen jede Art von religiösen oder weltanschaulichen Zeichen verboten sind – sowohl für Schüler als auch für Lehrer. In Deutschland geht man ja bekanntlich mit solchen Symbolen laxer um, und es gibt Schulen, Lehrer, ja sogar Ministerpräsidenten, die sich weigern, Verfassungsgerichtsurteile über Kreuze in Klassenzimmern anzuwenden.
Kurzum: Es geht um das tief in der Seele der Nation verwurzelte Mißtrauen gegen das andere. Es geht um das Mißtrauen jedem „Fremden“ gegenüber, vor allem dann, wenn er „uns“ am ähnlichsten geworden ist, wenn er sich assimiliert und angepaßt hat – er könnte ja um so gefährlicher sein und uns von innen her schwächen und verraten. So hat das Kopftuch jenseits von scheinbar wertneutralen Diskussionen um Symbole in der Schule einen wichtigen, vielleicht einzigen diskussionswürdigen Aspekt: Wie stellen sich die Deutschen die Zukunft mit den (muslimischen) Migranten vor, wenn sie ihnen ein Assimilationsangebot machen, das sie aber nicht einlösen können oder wollen? Schließt dieses Angebot auch einen Religionswechsel ein, wird es dann wenigstens eingehalten, und spricht das für oder gegen die Lehren, die wir aus der jüngsten Geschichte ziehen dürfen? Dilek Zaptçioglu
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