piwik no script img

Kopftuch und Berliner NeutralitätsgesetzSymbol eines Kulturkampfes

Gastkommentar von Rainer Balcerowiak

Berlins Schulsenatorin Scheeres hört auf. Bis dahin nutzt sie ihre Zeit noch zum Kampf gegen das Kopftuch in den Klassen.

Instrumentalisiert von vielen: Muslimische Frauen im Verhandlungssaal des Berliner Arbeitsgerichts Foto: Jörg Carstensen/dpa

E s könnte das letzte Gefecht von Berlins glückloser Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) sein. Zahlreiche Versäumnisse, von der schleppenden Sanierung maroder Schulen über den erbärmlichen Stand der Digitalisierung bis zum planlosen Agieren in der Coronapandemie, werden ihr angelastet. Bereits im August 2020 hat sie angekündigt, dass sie sich nach den Wahlen im kommenden September aus der Landespolitik zurückziehen wird.

Doch jetzt will Scheeres noch eine grundsätzliche Klärung in einer Frage herbeiführen, die seit vielen Jahren für erbitterte Auseinandersetzungen quer durch die Republik sorgt. Scheeres hat das Bundesverfassungsgericht angerufen, um die Verfassungskonformität des Berliner Neutralitätsgesetzes prüfen zu lassen. Dieses sieht unter anderem vor, dass Lehrkräfte an öffentlichen Schulen während des Dienstes keine „auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen“ dürfen.

Seit Jahren beschäftigen dieses und andere Landesgesetze die Justiz, die anhand von Einzelfällen den schmalen Grat zwischen Religionsfreiheit, staatlichem Neutralitätsgebot und möglicher Diskriminierung ausloten muss. Zuletzt bekam eine muslimische Lehramtsbewerberin, der in Berlin die Einstellung verweigert wurde, da sie auf ihr Kopftuch im Unterricht bestand, vom Bundesarbeitsgericht eine Entschädigung wegen erlittener Diskriminierung zugesprochen.

Eine verfassungsrechtliche Klärung ist also unausweichlich, kann aber die breite gesellschaftliche Debatte nicht ersetzen. Und die ist in vollem Gange, wobei sich sehr skurrile Allianzen gebildet haben. Im Lager der Befürworter einer strikten weltanschaulichen Neutralität bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten finden sich neben humanistischen Organisationen, Frauengruppen, säkularen Muslimen und einigen Lehrer- und Juristenverbänden auch große Teile der SPD und der CDU.

Skurille Allianzen

Aber auch Rassisten und Islamhasser, die das Ganze gerne auf ein „Kopftuchverbot“ fokussieren würden. Auf der anderen Seite stehen neben muslimischen Verbänden bis hin zu militanten Islamisten auch große Teile der Grünen und der Linken, die das Ideal einer toleranten, weltoffenen Gesellschaft hochhalten, in der es keinerlei Einschränkungen der Glaubensfreiheit geben dürfe und jeder Anschein vermieden werden müsse, dass etwa Muslime diskriminiert werden.

Bis hin zu sich als links verstehenden Ultralibertären, die dem Staat jegliche Legitimation absprechen, verbindliche Regeln in solchen Bereichen zu erlassen. In der rot-rot-grünen Koalition in Berlin hat dies bereits mehrmals zu heftigem Krach geführt, da Grüne und Linke das Gesetz am liebsten abschaffen würden, die SPD aber dagegen hält – und dabei auch von in Arbeitsgemeinschaften organisierten säkularen Linken und Grünen unterstützt wird.

Man kann davon ausgehen, dass das Thema im kommenden Berliner Wahlkampf zwar keine entscheidende, aber doch eine wichtige Rolle spielen wird. In den wortmächtigen medialen Auseinandersetzungen über dieses Thema kommt eine Gruppe allerdings kaum zu Wort – die Betroffenen.

Es sind längst keine Einzelfälle mehr, dass gerade muslimische Mädchen von Mitschülern und/oder Eltern massiv dazu gedrängt werden, ein Kopftuch zu tragen, als Symbol der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Weltanschauung und in Abgrenzung zu den „Ungläubigen“. Lehrerinnen mit Kopftuch würden diesen Druck natürlich weiter befeuern.

Das Argument der Religionsfreiheit zieht nicht, denn viele Islamwissenschaftler und mit ihnen auch säkulare Muslime verweisen mit Nachdruck darauf, dass es sich bei den Bekleidungsvorschriften keinesfalls um religiöse Gebote handelt. Das Kopftuch ist für beide Seiten zum Symbol eines Kulturkampfes geworden. Den darf man auch ausfechten, aber doch nicht in Schulen und anderen hoheitlichen Bereichen, wie etwas der Polizei oder Justiz.

Wie sehr gerade junge Musliminnen in diesem Kulturkampf instrumentalisiert werden, zeigt eine Erklärung der bildungspolitischen Sprecherin der Linken in der Hamburger Bürgerschaft. Sabine Boeddinghaus verteidigte das Recht auf Vollverschleierung von Schülerinnen „selbst bei Zweifeln an der Freiwilligkeit des Tragens“. Ausschlaggebend müsse sein, „dass ein Verbot absolut kontraproduktiv ist, da man jeglichen Gesprächsfaden abreißen lässt“.

Musliminnen werden instrumentalisiert

Man fragt sich, wo denn die Grenzen wären. Müssten bei dieser Argumentation nicht auch Zwangsehen als Teil der religiösen Vielfalt akzeptiert werden? Andere Vertreterinnen dieser Partei bezeichnen Neutralitätsgesetze als „antimuslimischen Rassismus“ und beklagen „Berufsverbote für Musliminnen“ in Teilen des öffentlichen Dienstes. Auf gesetzlichem Weg ist dieser Konflikt nicht mehr zu lösen.

In mehreren Bundesländern wurden entsprechende Verordnungen bereits ganz oder teilweise gekippt, in Einzelfällen jedoch auch bestätigt. Das Bundesverfassungsgericht muss Politik und Justiz jetzt Leitplanken vorgeben. Das Spannungsverhältnis zwischen Religionsfreiheit und dem Neutralitätsgebot des Staates – beides im Grundgesetz geschützte Güter – wird sich damit nicht auflösen lassen.

Aber in Karlsruhe kann geklärt werden, inwieweit der Staat das Recht hat oder gar dazu verpflichtet ist, sowohl Kinder als auch Erwachsene vor mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Personen zu schützen, die auch bei der Dienstausübung nicht auf ein aggressives Symbol einer Frauen verachtenden und in großen Teilen totalitären Weltanschauung verzichten wollen.

Schulsenatorin Scheeres hat kurz vor dem Ende ihrer landespolitischen Karriere nichts mehr zu verlieren. Ihr beharrliches Festhalten am Neutralitätsgesetz und der Gang nach Karlsruhe verdienen dennoch Anerkennung und Respekt. Säkulare Grundprinzipien müssen entschieden verteidigt werden, bevor es dafür zu spät ist. Hoffentlich sieht man das auch in Karlsruhe so.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Eine Vollverschleierung (nicht bloss ein Kopftuch) ist der Ausdruck einer stockkonservativen, patriarchalischen Haltung, die wir in der Gesellschaft nicht dadurch fördern sollten, dass wir ihr nichts entgegensetzen. Ich verstehe auch nicht warum eine angeblich religiöse Haltung einen höheren Stellenwert erhalten soll, als grundgesetzlich garantierte Werte, wie z.B. die Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Ich denke es ist unwürdig jemanden zu zwingen einen Sack zu tragen und auch noch das Gesicht darunter verbergen zu müssen, mal abgesehen davon, dass es ungesund ist (keine Bewegungsfreiheit, eingeschränkte Atmung). Diejenigen die ihren minderjährigen Töchtern so etwas aufzwingen sollte man nicht auch noch unterstützen in ihrer Haltung. Unter soviel Faden ist nicht mehr viel los mit der Erhaltung des Gesprächsfadens wie Fr. Boeddinghaus fälschlicherweise hofft. Wie sie als Mitglied der Linken eine solche Meinung vertreten kann ist mir schleierhaft! Clara Zetkin würde sich im Grab umdrehen Fr. Boeddinghaus!

  • Anstatt das Kopftuch zu verbieten, sollte man sich eher darum bemühen, die Kinder so zu erziehen, dass sie jeden Menschen so respektieren, wie sie sind. Auf dieser Welt leben sieben Milliarden Menschen und es ist den Meisten bewusst, dass jeder eine andere Vorstellung von Freiheit hat. Für die einen ist das Tragen eines Kopftuch Freiheit und für die anderen ein voll tätowierter Körper. Verstehen und Akzeptieren muss man gar nichts, aber zumindest den Menschen das Gefühl von Respekt zu vermitteln, spielt hierbei eine wichtige Rolle. (3/3)

  • Das Kopftuch ist für die meisten Musliminnen ein Symbol von Freiheit, Sicherheit und Stolz. Deshalb bin ich der Ansicht, dass das Kopftuch die Schüler/-innen sogar dazu ermutigen könnte, das zu tun, was sich für sie gut anfühlt. Auf der einen Seite heißt es, dass Frauen sich mehr für ihre Rechte und Freiheiten einsetzen und sich nicht einschüchtern lassen sollten. Auf der anderen Seite wird der Frau dann aber plötzlich aufgrund eines Stück Tuches ein großer Teil ihrer Freiheit genommen. (2/3)

  • Ein sehr interessanter Artikel über ein kontroverseres Thema, welches mich zum Kommentieren angeregt hat.

    Es wird argumentiert, dass eine Mehrheit der muslimischen Mädchen von den Eltern dazu gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen, um ein Symbol der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Weltanschauung und in Abgrenzung zu den „Ungläubigen“ darzustellen. Und genau hier liegt das Problem. Man kann nicht leugnen, dass es auch leider viele junge Mädchen gibt, die kein Mitspracherecht haben und genau das verfolgen müssen, was die Eltern von ihnen verlangen. Jedoch handelt es sich hier um eine Minderheit, da die meisten Musliminnen das Kopftuch aus eigener und selbständiger Entscheidung tragen und nicht, weil sie das müssen und sie sich damit von den Ungläubigen abgrenzen wollen. Empirische Daten belegen, dass über 90% der Trägerinnen in Deutschland das Kopftuch aus religiösen Gründen anlegen. Würde dies die Intention einer Frau sein, so würde sie auch gar nicht auf die Idee kommen mit einer Schulklasse, wo die Mehrheit der Schüler/-innen eine andere Religion verfolgen zusammen fünfmal in der Woche intensiv zu arbeiten. Das Kopftuch als ein Symbol eines Kulturkampfes zu betiteln ist somit für die Mehrheit absurd.



    (1/3)

  • Sach mal so: Als Pauker an meiner Penne mit so Radaddelchen auftauchten



    Gingen u.a. ich - zum Direx & die Teile verschwanden •

    unterm——- nochens —



    Als ein sehr beliebter Englischlehrer sich nicht entblödete - am Revers eine Stecknadel 📍 mit rotem Kopf zu tragen.



    Genügte ein lautstark geführtes Gespräch in Hörweite - über die Nützlichkeit von Stecknadeln in besonders pikanten Situationen - 😂 -



    Kreuze & ähnliche Insignien waren in dem von ollen Bugenhagen reformierten Franziskaner Kloster ebenfalls nicht vorhanden.



    Wie auch - an einer öffentlichen Schule •



    Genannt das - Katzenmuseum - 🤫 -

    kurz - So - wie meine Kinder in Westfälisch Sibirien nicht zu de Nönnekes gegangen sind. Möchte ich - wie ich meine zu recht - diese nicht mit einer Lehrkraft mit religiösen Radaddelchen - egal welcher Provenienz konfrontiert sehen.

    So geht das

    • @Lowandorder:

      Falls Ihre Aussage ist, dass Sie auch gegen Kopftücher an Schulen sind, habe ich das 1. Mal einen Ihrer Beiträge verstanden. Glückwunsch. Aber was bedeutet eine rote Nadel am Revers?

      • @Gnagflow55:

        SPD - Es war Willy Brandt - 3x!! Kanzlerkandidat!! von der Nachbarpenne Johanneum - dem ich beim Start seiner Wahlkampftournee - immer in Lübeck - Marktplatz -* lauschte. Der - zu recht - mal sagte:



        “Wir lassen uns unsere rote Farbe nicht kaputtmachen!“ Wohl wahr. Die Enkel - ach du heiliger Strohsack.

        unterm———*



        Marktplatz - Wo eine Reichsschnotterbremse nicht reden durfte - sondern nach Marmeladentown Bad Schwartau ausweichen mußte.



        Eine seiner ersten Amtshandlungen als Reichskanzler => Lübeck den Status Freie Reichsstadt nehmen.



        (Was uns später einen weiteren Stadtstaat ersparte!;)(



        Dafür nahm ich von Willy - “Wer war Herbert Frahm?“Broschüre & “Alle Wege führen nach Moskau!“ mit.

  • Ist es nicht Spiegelfechterei? Zu den Veränderungen im Sinne einer bunten Gesellschaft mit vielen Kulturen gehören auch die Kopfbedeckungen, die ja nicht nur schmücken sondern auch praktische Zwecke erfüllen. Warum kämpft man mit Verboten gegen die Verbreitung der Kultur, wenn man die Mitglieder dieser Kultur als Teil unserer Gesellschaft haben möchte? Mit der Verhüllung entziehen sich Frauen auch der auf Äußerlichkeit ausgerichteten westlichen Mode.