Kopftuch-Streit: Klare Kampfansage
Gutachter der Bildungsverwaltung: Das Neutralitätsgesetz ist rechtens, Lehrerinnen mit Kopftuch befeuern religiöse Konflikte.
Kern des Gutachtens ist die Feststellung, dass aus einer an Berliner Schulen „verbreiteten islamischen Religionskultur“ Konflikte entstünden, etwa um Bekleidungsgebote, die das ungehinderte Lernen bedrohten oder einschränkten, den Schulfrieden störten und die negative Religionsfreiheit anderer SchülerInnen verletzten.
Bock erklärte, er gehe für Berlin von einem Anteil von 25 bis 30 Prozent muslimischer SchülerInnen aus, von diesen sei „mindestens ein Drittel“ der islamischen Religionskultur „tief verhaftet“. Für diese sei zentral nicht nur die Vorstellung einer Unterordnung der Frau unter den Mann sowie die Beachtung von Bekleidungsvorschriften, sondern auch, dass man als Muslim verpflichtet sei, die Einhaltung dieser Vorschriften bei anderen Muslimen durchzusetzen. Letztere Vorschrift unterscheide den Islam von allen anderen Religionen, betonte der Wissenschaftler. Für seine Einschätzung, wie verbreitet diese Ansichten unter Muslimen sind, beruft er sich vor allem auf weltweite representative Befragungen von Muslimen durch das „Pew Research Center“ zwischen 2008 und 2012.
Aus dieser Einstellung, so Bock, ergeben sich zahlreiche Konflikte, vor allem unter Muslimen: „Das kann bis hin zu einem auf Gruppenkonformität bezogenen Mobbing reichen.“ Entsprechende Berichte von Schulleitungen habe ihm die Bildungsverwaltung zur Verfügung gestellt. Die LehrerInnen müssten derartigen Konflikten „auch mittels strikter Neutralität“ entgegen wirken, sagte Bock. „Das Tragen eines islamischen Kopftuchs ist aber ein vorhersebarer Faktor für die Entstehung und Beförderung solcher Konflikte“, so Bock.
Revision vor Bundesarbeitsgericht
Mit dieser Argumentation hat auch Scheeres immer das Neutralitätsgesetz von 2005 verteidigt. Das Gesetz verbietet BeamtInnen in Justizwesen und Polizei, sowie LehrerInnen an öffentlichen Schulen das Tragen von religiös konnotierten Symbolen und Kleidungsstücken.
Das Gesetz war in letzter Zeit unter großen Druck geraten, bei Linken und Grünen mehren sich Stimmen, die es zugunsten von „Kopftuch-Lehrerinnen“ ändern wollen. Die SPD will am Gesetz festhalten. Die Bildungsverwaltung war mehrfach von Lehrerinnen mit Kopftuch, die keine Anstellung bekommen hatten, verklagt worden und in zwei Prozessen vom Landesarbeitsgericht zu Entschädigungszahlungen wegen Verstoßes gegen das Gleichstellungsgesetz verurteilt worden.
In einem dieser Prozesse sei man in Revision gegangen, erklärte die Prozessbevollmächtige von Scheeres, Seyran Ates. Beim Bundesarbeitsgericht (BAG) habe man das Gutachten zur Stützung der eigenen Argumentation eingebracht; nun warte man auf den Termin. „Wir stehen hier vor absolutem Neuland.“
Ates spielte damit auf den Hintergrund der Rechtsstreitigkeiten an, auf den Bock in seinem Gutachten ausführlich eingeht. Dabei geht es um zwei divergierende Entscheidungen der beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). 2003 hatte der zweite Senat in einem „Kopftuch-Streit“ entschieden, die Bundesländer könnten Verbote von religiöser Kleidung erlassen, sofern sie in dieser eine „abstrakte“ Gefahr für den Schulfrieden erkannten. Daraufhin entstand das Berliner Neutralitätsgesetz. 2015 entschied jedoch der erste Senat desselben Gerichts, ein Verbot sei nur bei „konkreter“ Gefährdung des Schulfriedens statthaft, ansonsten wiege die Religionsfreiheit von Lehrerinnen höher.
In dieser „einmaligen Situation in der Rechtsprechung“, so Bock, seien Behörden weder an die eine, noch die andere Entscheidung gebunden. Ates betonte, man habe dem BAG vorgetragen, dass eine alleinige Berufung auf das Urteil von 2015 „für uns nicht akzeptabel“ sei. Aber falls man vor Gericht erneut unterliege, „wären wir juristisch am Ende“, die Verwaltung könne nicht vors BVerfG ziehen. Dies stehe im Fall einer Niederlage alleine der Gegenseite zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken