Konzert von Arrested Development: Eskapismus im besten Sinne

Vor über 30 Jahren veröffentlichten Arrested Development einen HipHop-Klassiker. Ihr Konzert in Berlin war ein Event, das es so nicht mehr gibt.

Musiker und Musikerinnen der Band Arrested Development performen auf einer Bühne, die in blaues Licht getaucht ist

Arrested Development in Berlin, vorne Fareedah Aleem, Bandmitglied seit 2004 Foto: David Baltzer/Zenit

Justin Timberlake, zehnfacher Grammy-Gewinner, steht bei einem seiner zwei Berlin-Konzerte in der Uber-Eats-Arena, hält kurz inne und sagt ernst: „Einige meiner Idole sind heute hier. Danke an Arrested Development.“ Ein bemerkenswerter Moment, den die Rapgruppe, immerhin zweimal mit einem Grammy ausgezeichnet, aber das ist lange her, direkt in zwei Instagram-Posts verbreitet.

Sie freuen sich sichtlich darüber, dass sie VIPs beim Pop-Barden sein durften. Als sie 1992 ihren großen Hit „Tennessee“ veröffentlichten, war Timberlake ein Teenager. Denn mit Arrested Development um Rapper Speech, gegründet in Atlanta Ende der 80er, zusammengewachsen auf einer hippiesken Farm inklusive spirituellem Guru, ist das so eine Sache. Eigentlich hat die Band, die einst ein Gegengewicht zum harten Gangsterrap der East- und West-Coast bildete, ihren Zenit vor über 30 Jahren überschritten.

Das Musik-Auskennerportal Pitchfork zählte die Gruppe samt ihrem „Tennessee“-Song einst zu den besten One-Hit-Wondern der 90er. Und in gewisser Weise stimmt das. Andererseits schwitzen einen Tag nach dem Timberlake-Moment knapp 500 Menschen im völlig überhitzten Berliner Lido, singen mit, tanzen, lachen erstaunlich viel für ein HipHop-Konzert. Wie kommt’s?

Um zu verstehen, warum die Gruppe noch heute relevant ist, obwohl ihre neuen Alben wie das in diesem Jahr erschienene „Bullets in the Chamber“ kaum jemand hört, muss man sich die Entwicklung von Rapkonzerten im allgemeinen ansehen. Gerade in Atlanta, der Heimatstadt von Arrested Development, entwickelte sich in den letzten 15 Jahren die tonangebende Rapströmung Trap mit all ihren Ableitungen.

Nächstes Konzert: 20. August, Club Bahnhof Ehrenfeld, Köln

Bei Konzerten von modernen Atlanta-Künstlern wie Playboi Carti geht es vor allem um riesige Moshpits, die vom Rock zum Rap übergesiedelt sind. Die Künstler schreien dabei irre Lyrics über Sportwagen zu Vollplayback in ihre Mikrofone und junge Menschen, die das körperlich abkönnen, haben einen riesigen Spaß. Rapkonzerte sind heutzutage in vielen Fällen zu sehr kurzen und wilden Exzessen geworden, die nicht zum Denken anregen, sondern auspowern. Das Rapkonzert als Workout.

Anachronismus zum modernen Rapkonzert

Wo wir wieder bei Arrested Development sind. Auch im Lido verausgaben sich alle. Aber ihr Gig funktioniert als Anachronismus zum modernen Rapkonzert. Statt Playback gibt es eine Band mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, Synthesizer. Dazu stehen zwei rappende Sängerinnen auf der Bühne, die den souligeren Stücken mehr Leben einhauchen.

Rapper Speech ist ein Live­monster und ackert sich ohne Pause durch die wenigen bekannten und vielen unbekannten Stücke. Einmal fordert er die Masse auf „I love HipHop“ zu schreien und fast alle machen mit. Hier wird nicht gemosht, hier werden die Arme noch im Rhythmus hoch und runter bewegt, wie es früher üblich war.

„Geil, Alter“, sagt einer aus dem Publikum glücklich zu einem Freund. „Das ist richtig geiler Rap“, sagt ein anderer. Viele hier sind mindestens 40, haben die alten Caps oder Hüte aus dem Schrank gekramt. Einige tragen sie eine Spur zu schief. Ein paar Männer liegen sich in den Armen, eine Frau tanzt mit geschlossenen Augen. Emotionen liegen in der stickigen Luft, kleine Freudentränen kullern über verschwitzte Wangen.

Arrested Development leben von Nostalgie. Ihre Tour heißt nicht umsonst „50 years of HipHop celebration Tour“ und der HipHop-Begriff, der hier zelebriert wird, basiert auf einem Unity-Gedanken, der in der Szene schon seit Jahren nicht mehr existiert.

HipHop-Zeitkapsel

Der Deal zwischen Arrested Development und dem Publikum besteht darin, dass sie von Anfang bis Ende das Unity-Gefühl leben, auch bei den neuen Tracks, und dafür häppchenweise die Hits ihrer Jugend serviert bekommen. Ein Konzert als HipHop-Zeitkapsel, das schweißt zusammen.

Bei „Revolution“, einem Song, den Arrested Development 1992 für den Soundtrack von Spike Lees Malcom-X-Biopic aufgenommen hatten, heben dann wirklich viele im Raum ihre Fäuste in die Luft und schreien voller Inbrunst mit. Und das ist ein niedlicher Moment. Denn eine Revolution will im Lido natürlich so gut wie niemand.

Die immer ein bisschen kitschigen und ziemlich braven politischen Texte von Arrested Development haben längst nicht die Schlagkraft von denen eines Kendrick Lamar oder Childish Gambino. Und das müssen sie auch gar nicht. Die große Stärke von Arrested Development ist es, einen Abend lang ein Einheitsgefühl zwischen Rapfans zu schaffen, die der Musik eigentlich längst entwachsen sind. Das ist Eskapismus im besten Sinne.

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