Kontroverse um Autorin Adania Shibli: Lob des Universalismus
Die Aufregung über einen Buchpreis für Adania Shibli zeigt, wie konjunkturabhängig hierzulande die Verteidigung des freien Wortes ist.
G erade öffnet wieder die Frankfurter Buchmesse ihre Türen – zu einem Ort, der eine utopische Qualität besitzt, weil sich in seinen nüchternen Hallen die intellektuelle Welt versammelt. Einmal im Jahr verdichtet sich in Frankfurt am Main kosmopolitische Vielfalt zu universalistischer Realität. Zwar beherrscht auch hier eine Hierarchie globaler Marktmacht das Bild – die riesigen Stände der Konzernverlage, die Akkordarbeit im Literarischen Agentenzentrum, die kalte staatliche Repräsentanz (die Melange am österreichischen Stand ausdrücklich ausgenommen) –, aber zugleich erlauben auch viele Nischen, Unbekanntes zu entdecken. In Frankfurt kann man, Neugierde und guten Willen vorausgesetzt, die kaum Sichtbaren sehen und jene ohne laute Stimme vernehmen.
Dazu gehören vor allem Stimmen aus dem Globalen Süden, die hierzulande meist nur dann rezipiert werden, wenn es einen aktuellen politischen Anlass gibt. Doch dieser Tage beweist ein Skandal im provinziellen Wasserglas, wie brüchig diese Universalität ist, wie konjunkturabhängig die Verteidigung des freien Wortes. Solch engstirnige Aufregung sollte mit Missachtung gestraft werden, würde sie nicht exemplarisch aufzeigen, wie sehr der Diskurs in diesen Breiten um eigene Befindlichkeiten, um eitle Positionierung und tribale Selbstgerechtigkeit kreist.
Was ist passiert? Eine hervorragende israelisch-palästinensische Autorin hat einen Roman geschrieben, der Gewalt gegen Frauen thematisiert, als Leerstelle der Wahrnehmung, als nachwirkendes Trauma. Sie hat mit literarischen Mitteln aufgearbeitet, wie sehr eine grausige Tat, eine menschenverachtende Grenzüberschreitung (israelische Soldaten vergewaltigen und ermorden ein Beduinenmädchen) die Erinnerung kontaminiert. Ein immens wichtiges Thema in einem Jahr, in dem uns erneut bestialische Taten (seitens russischer Soldaten und Söldner, seitens der Hamas) nicht nur unmittelbar schockieren, sondern auf Jahrzehnte hinaus wirken werden, als Gift in den Blutbahnen der Betroffenen, als Tumor in der universellen Empathie.
„Seine rechte Hand lag auf ihrem Mund, seine linke hielt sich an ihrer rechten Brust fest, und das Quietschen des Bettes hallte durch die Stille des anbrechenden Morgens, wurde lauter und kräftiger, wieder begleitet vom Geheul des Hundes. Als das Quietschen schließlich verstummte, ging das laute Jaulen vor der Tür noch lange Zeit weiter.“
Ilija Trojanow ist Schriftsteller und Autor mehrerer Bücher. Gerade ist sein neuer Roman, „Tausend und ein Morgen“, bei S. Fischer erschienen.
Die beschriebene Vergewaltigung, am 13. August 1949 in Israel tatsächlich geschehen, wiederholt sich seither weltweit in wesentlichen Aspekten an vielen anderen Tagen. „Eine Nebensache“ ist eine Nahaufnahme jener Erniedrigung und Vernichtung von Frauen, die mit Kriegen einhergeht. Und es zeigt zudem das zerrüttete Verhältnis verrohter Menschen zum Kreatürlichen auf.
Tiere spielen eine zentrale Rolle: heulende Hunde, aufgeschreckte Kamele, Vögel im einsamen Flug und ein Skorpion, der die Hauptfigur beißt, mit schmerzhaften Folgen. Worauf dieser in einer unvergesslichen Szene alles zertritt, was in seiner Hütte fleucht und kreucht. Selten habe ich einen Text gelesen, bei dem Nationalität und Religion der Figuren eine so geringe Rolle spielen. Der Roman ist in einem existentialistischen Duktus geschrieben, viel näher an Albert Camus als an autofiktionaler Zeugnisliteratur.
„Zu hören waren nur noch das unterdrückte Schluchzen eines Mädchens, das, eingerollt in seine schwarzen Kleider, wie ein Käfer am Boden kauerte, sowie das Rascheln der Akazienblätter und des Schilfs, während die Soldaten diesen grünen Flecken inmitten endloser kahler Sanddünen nach Waffen absuchten und er etwas Dung begutachtete.“
Verständlich, dass Adania Shiblis Roman „Eine Nebensache“ mit dem diesjährigen LiBeratur-Preis ausgezeichnet worden ist, einem Preis für Literatur von Autorinnen aus dem Globalen Süden. Die Verleihung sollte auf der Buchmesse stattfinden, doch sie wurde kurzfristig abgesagt, ein Bärendienst an der viel beschworenen Freiheit des Wortes (die als Konzept nur zum Tragen kommt, wenn uns etwas zugemutet wird – für Sonntagsreden brauchen wir sie nicht).
An dieser Stelle muss ich klarstellen, dass ich voreingenommen bin, weil der verantwortliche Verein Litprom inhaltlich mit der Bestenliste „Weltempfänger“ verknüpft ist, die ich vor Jahren ins Leben gerufen habe, um vierteljährlich herausragende Werke aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu empfehlen.
Anstatt nun zu diskutieren, wie wir die Gewaltspirale im Nahen Osten mithilfe literarischer Werke profunder verstehen können, hat dieser Preis eine Rhetorik der Hysterie provoziert (leider auch in der taz). Lauter Diffamierungen, die mit dem Roman kaum etwas zu tun haben und der Autorin absichtlich Unrecht tun, denn wie der Berenberg Verlag klarstellt, verteidigt sie entschieden die Autonomie ihrer Literatur, indem sie Einladungen von aktivistischen Gruppen grundsätzlich ablehnt. Wer diesem Roman Antisemitismus oder gar Menschenverachtung vorwirft, der projiziert seine eigenen Vorurteile auf das Werk.
Das wäre eine traurige Nebensache, wenn es nicht Ausdruck einer grundsätzlichen Malaise wäre. Wir betrachten die Welt – nicht nur bei Kriegen, auch bei Migration oder Energieversorgung – durch die Brille kleingeistigen Selbstinteresses und entfernen uns zunehmend von den Idealen, die allein eine Lösung der globalen Verteilungskämpfe und Zerstörungsmechanismen anbieten: universell geltende Rechte und kosmopolitische Empathie.
Gleichzeitig wurde in Berlin der Emir von Katar empfangen. Während die Dichterin ihren Preis nicht entgegennehmen darf, verkündet die Staatsräson: „Es wäre unverantwortlich, in dieser dramatischen Lage nicht alle Kontakte zu nutzen, die helfen können.“ Kurzum: Kontakt mit Unterstützern von Terror: gut; Auszeichnung von Menschen, die Terror sensibel beschreiben: schlecht.
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