Konservative in Großbritannien: Zerreißprobe wegen Corona
In Großbritannien sind die Konservativen uneins über die Coronastrategie. Premier Johnson stellt sich gegen den lockdownskeptischen rechten Flügel.
Bereits am 21. September hatte der wissenschaftliche Krisenstab SAGE der Regierung einen kurzen Lockdown empfohlen. Die Regierung versuchte zunächst, dies durch eine Beschränkung von Treffen aller Art auf maximal sechs Personen zu vermeiden. Einige Wochen später folgte ein Drei-Stufen-System mit verschieden schweren Auflagen je nach Infektionslage.
Dennoch wird die Infektionsrate in wenigen Wochen laut SAGE höher sein als in den pessimistischsten Prognosen geschätzt.
Am stärksten getroffen sind demnach der Nordwesten und Nordosten Englands – genau die verarmten und ausgelaugten ehemaligen Industrieregionen, die Johnsons Konservative bei den Wahlen 2019 Labour abgenommen hatten mit dem Versprechen, sie wiederaufzubauen. Doch dass dort zuletzt die schärfsten -LCorona-Einschränkungen galten, während es im reichen Süden lockerer zuging, stieß auf Unverständnis sogar innerhalb der Tory-Fraktion im Parlament.
Der neugebildete fraktionsinterne Arbeitskreis „Northern Research Group“, dem an die 50 Abgeordnete aus dem Norden angehören, stellte sich an die Spitze dieser Kritik. Der landesweite Lockdown nimmt ihnen nun das Argument, die Londoner Regierung würde den Norden härter rannehmen.
Im Frühjahr wurde die besonders heftige Ausbreitung des Coronavirus in Großbritannien mit dem Zögern Johnsons, einen Lockdown einzuführen, in Verbindung gebracht. Noch einmal will der Premierminister diesen Fehler nicht machen. Auch jetzt habe der Premier viel zu lange gezögert, behauptet zwar Labour-Oppositionsführer Keir Starmer. Doch innerhalb der Konservativen ist die Kritik an harten Maßnahmen, die die Wirtschaft abschnüren, heute viel lauter als im Frühjahr.
Rishi Sunak und Nigel Farage sind dagegen
„Teuflisch“ nennt die neuen Maßnahmen Graham Brady, Chef der Hinterbänkler in der konservativen Fraktion. Und selbst Johnsons Kabinett scheint gespalten. Indiz ist, dass die neuen Maßnahmen bereits am Samstag verkündet wurden statt am Montag, wie vorgesehen: Ein Leak gelangte am Freitagabend an die Times, und daraufhin konnte die Regierung nicht mehr warten. Verdächtigt wird Gesundheitsminister Matt Hancock, der damit sicherstellen wolle, dass Johnson keinen Rückzieher mache.
Prominentester Gegener von Lockdowns ist Finanzminister Rishi Sunak, beliebtester Politiker der britischen Regierung. Obendrein trompetet seit neuestem Brexit-Wortführer Nigel Farage gegen den Coronalockdown. Die Krankheit sei „nur für eine winzige Minderheit sehr gefährlich“, während die Maßnahmen schweren Schaden anrichteten, schrieb Farage am Montag im Daily Telegraph.
Auch in der Geschäftswelt gibt es Kritik. Carolyn Fairbairn, Vorsitzende des Unternehmerverbandes CBI, forderte am Montag, die Regierung müsse die Wirtschaft so offen halten wie möglich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn