Konsequenzen aus den Schulschließungen: Verriegeln reicht nicht
Auch die Schulen brauchen ein milliardenschweres Hilfsprogramm. Sonst werden zu viele Kinder abgehängt.
E cht fies. Wenige Minuten bevor Baden-Württemberg verkünden wollte, dass Schulen und Kitas wieder öffnen, durchkreuzte die Virusmutante den Plan. Nun verzichten auch andere Länder auf geplante Öffnungen oder verschärfen den Zugang zur Notbetreuung. Doch Häme oder Erleichterung sind nicht angesagt. Vielmehr müssen alle Alarmglocken schrillen.
Es rächt sich, dass das Virus die Bildungspolitiker:innen vor sich her treiben konnte, statt dass diese früh einen Plan B angingen: Wie kann ein Schuljahr ohne Präsenzunterricht funktionieren? Dazu gehören verbindliche und bundesweit geltende Kriterien, ab wann Schulen geschlossen werden. Das heißt auch, Lernstoff zu priorisieren und Druck rauszunehmen, indem eine Benotung ausgesetzt wird.
Aber vor allen muss man verhindern, dass eine ganze Generation von Kindern und Jugendlichen abgehängt wird. In Gefahr sind vor allem jene, denen nicht alles zufällt oder deren Eltern keine teuren Nachhilfestunden buchen können. Im Jahr vor Corona legte die Pisa-Studie offen, dass jede fünfte 15-Jährige nur rudimentär lesen kann. Der Anteil dieser funktionalen Analphabeten dürfte in Zeiten geschlossener Schulen wachsen.
Um gegenzusteuern, reicht es nicht, dass viele Länder die Abschlussprüfungen verschieben oder den Schüler:innen anbieten, das Schuljahr freiwillig zu wiederholen. Das schiebt die Verantwortung dem Einzelnen zu.
Auch die Schulen brauchen – wie die Wirtschaft – ein milliardenschweres Hilfsprogramm. 500 Millionen für Laptops sind ein guter Anfang. Aber weder hat nun jede:r Schüler:in ein Gerät, noch klappt das Lernen zu Hause reibungslos. Wie Kliniken und Gesundheitsämter brauchen die Schulen, vor allem die in sozialen Brennpunkten, personelle Verstärkung – um Kinder online beim Lernen zu unterstützen und Lehrer:innen und Erzieher:innen zu entlasten. Das kann die Studierende sein, die Nachhilfe anbietet, die Schauspieler:in, die mit Schüler:innen Stücke schreibt, oder jemand, der die Videokonferenz zum Laufen bringt. Und schnell muss es gehen. Es brennt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Hamburg und die Kühne-Oper
Als das Wünschen noch geholfen hat