Konsequenzen aus den Heim-Skandalen: Bremen entschuldigt sich

Rot-Grün-Rot will das Leid anerkennen, das Kinder in den Haasenburg-Heimen erlitten. Derweil wurde der Hilfe-Antrag eines Opfers zur Seite gelegt.

Ein Fenster mit aufgemalten Comic-Figuren

Ort leidvoller Erfahrungen: Fenster des ehemaligen „Haus Babenberg“ der Haasenburg GmbH Foto: Patrick Pleul/dpa

Hamburg taz | Als erstes Bundesland nach Brandenburg will sich Bremen bei den ehemaligen Bewohnern der Haasenburg-Heime entschuldigen und das dort erlittene Leid anerkennen. Gleiches gilt für die ehemaligen Insassinnen der Friesenhof-Mädchenheime in Dithmarschen. Es sei überfällig, den Betroffenen „aktive Unterstützung“ anzubieten, heißt es in einem Dringlichkeitsantrag, den die drei Fraktionen Die Linke, SPD und Grünen in dieser Woche in die Bürgerschaft eingebracht haben.

Die Haasenburg-Heime wurden 2013 geschlossen, nachdem Missstände bekannt geworden waren, der Friesenhof beendete 2015 den Betrieb. In die beiden Privatheime schickten Jugendämter aus ganz Deutschland Kinder. Aus Bremen waren in der Zeit von 2008 bis zur Schließung 16 Kinder betroffen. Eine von ihnen ist Christina Witt, die vor einem Jahr, erschüttert durch den Suizid des ehemaligen Mitinsassen Jonas L., in einer Petition Entschädigung forderte. Die Petition fand über 30.000 Unterstützer.

In dem Antrag, der Anfang November debattiert wird, findet Rot-Grün-Rot deutliche Worte. „In beiden Institutionen wurde auf bedingungslose Unterordnung gesetzt, die mit Zwang, Herabwürdigung, zum Teil körperlicher Gewalt, zum Teil mit wochenlangem Freiheitsentzug in 'Einzelhaft’ durchgesetzt wurde“, heißt es dort. Einige der Betroffenen gingen selbst mit leidvollen Erfahrungen an die Öffentlichkeit, Psychologen attestierten ihnen zum Teil „andauernde schwere traumatische Belastungen“.

Schutzlücke für die Jahre 1975 bis 2024

Die Fraktionen sehen aber eine zeitliche „Schutzlücke“, die es höchst unwahrscheinlich mache, dass die Opfer für zugefügte psychische Gewalt entschädigt werden. Zwar habe das Land Bremen sich aktiv an der Aufarbeitung der Nachkriegs-Heimerziehung bis 1970 beteiligt und die Einrichtung der Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ für deren Opfer unterstützt. Und ab dem Jahr 2024 werde das heutige Opferentschädigungsgesetz (OEG) in das neue Sozialgesetzbuch (SGB) XIV überführt, sodass ab diesem Zeitpunkt auch eine Entschädigung aufgrund psychischer Gewalt möglich sei. Doch für die Zeit von 1975 bis 2024 fehle so eine Grundlage.

Der Bremer Senat solle nun nicht nur eine externe Studie in Auftrag geben, um die konkreten Umstände und Folgen der Unterbringung in Haasenburg und Friesenhof weiter aufzuarbeiten. Im Gespräch dafür ist eine Kulturwissenschaftlerin, die bereits zur Heimerziehung in der NS-Zeit forschte. Der Senat soll sich auch auf der Jugendministerkonferenz dafür stark machen, besagte „Schutzlücke“ zu schließen, etwa durch einen Fond für die Betroffenen oder eben doch eine Berücksichtigung im neuen SGB XIV. Und zudem sollen den Betroffenen „Gesprächsangebote“ unterbreitet werden.

Damit hebt sich Bremen positiv von Hamburg ab, wo sich 2014 der Sozialsenator weigerte mit Müttern von Betroffenen zu sprechen und das Sozialressort diese Linie bis heute beibehält. „Hamburg oder auch Berlin sollten sich ein Beispiel an Bremen nehmen und auf die Betroffenen zugehen“, sagt Ronald Prieß vom „Aktionsbündnis gegen geschlossene Unterbringung“, der sich für ehemalige Haasenburg-Bewohner engagiert. Gefragt, was sie vom Bremer Antrag halten, sagt zumindest die Hamburger Grünen-Fraktion, es sei denkbar, dass sie sich einer solchen Initiative anschließen.

Der Bremer Antrag konterkariert die Äußerungen der Brandenburger Jugendministerin Britta Ernst (SPD), die als Reaktion auf Witts Petition erklärt hatte, für eine Entschädigung aufgrund schlechter Pädagogik gebe es „keine Rechtsgrundlage“, diese könne nur individuell nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) erfolgen. Die Betroffenen könnten sich dafür an die Versorgungsämter wenden. Dort wären auch „die Betroffenen der Haasenburg sehr gut aufgehoben“.

Prozeß um Schließung seit neun Jahren offen

Der ehemalige Insasse Renzo Martinez hat inzwischen in Bremen einen solchen Antrag gestellt. Er war mit 13 Jahren in die Haasenburg gekommen und über längere Zeiträume auf einer Liege fixiert worden. Ein Therapeut attestierte ihm eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung vom Schweregrad eines Kriegsgefangenen. Doch obwohl Martinez Atteste, Material und Zeugen benannte, teilte ihm nun das Versorgungsamt mit, dass man das laufende Gerichtsverfahren zur Schließung der Haasenburg abwarten werde, und Akteneinsicht nehmen werde, sobald dies möglich sei. Das Verfahren werde sich aber noch hinziehen.

Die Rede ist von einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Cottbus, bei dem die Heimfirma gegen die Schließung klagte. Nur lässt dieser Prozess schon neun Jahre auf sich warten und wird auch in diesem Jahr nicht mehr angesetzt. Im Eilverfahren hatte die GmbH ihre Klage verloren.

Martinez sagt, er verstehe nicht, warum sein individueller Antrag von jenem Verwaltungsprozess abhängen soll. Das Verfahren nach OEG sei ohnehin sehr belastend. „Es ist, als ob man als Opfer auf dem Prüfstand steht. Ich sehe die Gefahr, dass es uns Betroffene retraumatisiert und abschreckt“. Martinez sieht sich psychisch geschädigt durch nicht gerechtfertigte körperliche Zwangsmaßnahmen. Er geht davon aus, dass ihm auch nach jetziger Gesetzeslage OEG-Entschädigung zusteht.

Nach dem Fall gefragt, sagt Sozialbehördensprecher Bernd Schneider: „Zu Einzelfällen können wir uns nicht äußern.“ Generell sei es aber so, dass das Versorgungsamt bei Prüfung eines OEG-Antrags alle Unterlagen heranziehen müsse, die „Beweiserheblichkeit“ haben. Es gehe dabei nicht um den Ausgang eines Prozesses, sondern um die Unterlagen. „Das ist auch im Interesse der Betroffenen.“

Renzo Martinez sagt indes, er verstehe dennoch nicht, warum es in seinem Fall auf diese Unterlagen ankomme. „Zumindest mit den Zeugen, die ich benannt habe, könnte das Amt doch schon mal sprechen.“

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