Gewalt gegen Kinder in Haasenburg: Ex-Heimkinder fordern Entschädigung

Frühere Haasenburg-Bewohnerinnen fordern Wiedergutmachung vom Land Brandenburg. Die zuständige Ministerin setzt nur auf Einzellösungen.

Ein mit Kiefern gesäumter Weg führt zu Häsuern - am Eingang steht gelbes Schild: Haus Babenberg

Auffahrt zum Kinder- und Jugendzentrum Haus Babenberg Foto: Wolfgang Borrs

HAMBURG taz | Die 2013 geschlossenen Haasenburg-Heime kamen jüngst durch ein trauriges Ereignis wieder ins Bewusstsein. Der 24-Jährige Jonas L. nahm sich im Februar das Leben. Er war mit 12 für ein Jahr in das Heim gekommen, seine Mutter sagt, es machte ihn „psychisch kaputt“. Für die Ex-Bewohnerinnen Christina Witt und Daniela S. war dies Anstoß, mit einer Onlinepetition „Entschädigung für die ehemaligen Kinder der Haasenburg Heime“ zu fordern – sowohl materiell als auch durch Therapien. Bis Mittwoch fanden sie über 33.000 Unterstützer.

Politisch gefordert ist damit Brandenburgs Jugendministerin Britta Ernst (SPD). Ihre Vorgängerin Martina Münch (SPD) hatte im Herbst 2013 nach Vorlage eines Untersuchungsberichts den privaten Betreibern die Erlaubnis entzogen und deren drei Heime in Jessern, Neuendorf und Müncheberg schließen lassen, in denen bis dahin Jugendämter aus ganz Deutschland Kinder untergebracht hatten.

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseelsorge.de besuchen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, mit Seel­sor­ge­r*in­nen zu chatten.

Münch entschuldigte sich öffentlich bei den ehemaligen Bewohnern – dafür, dass sie jederzeit Opfer von Übergriffen und überzogenen Maßnahmen werden konnten und man ihnen hinterher nicht glaubte. Und sie versprach ihnen Unterstützung.

„Aber passiert ist seither nichts“, sagt Christina Witt der taz. „Wir Kinder wurden dort sehr schlecht behandelt. 2005 und 2008 starben zwei Mädchen in den Heimen“, schreiben die jungen Frauen in ihrer Petition und schildern einen drastischen Heimalltag, in dem sie körperlich begrenzt, von Erziehern bloßgestellt und vor allem psychisch verletzt worden seien.

Angeblich „keine Rechtsgrundlage“ für Entschädigungen

Sie wandten sich auch persönlich mit einer Mail an Ministerin Ernst. Geantwortet habe die bislang nicht. Doch auf eine Anfrage der Linksfraktion in Brandenburg hin erklärte die Landesregierung, für Entschädigungen wegen schlechter Pädagogik gebe es „keine Rechtsgrundlage“. Die Prüfung von Entschädigungsansprüchen könne „nur im Einzelfall“ nach dem „Opferentschädigungsgesetz“ erfolgen.

Die Erfolgsaussichten sind damit aber vage. Christina Witt, Daniela S. und auch Jonas L. gehören zu den rund 50 Betroffenen, die 2013 Strafanzeigen stellten, die fast alle eingestellt wurden – häufig wegen Verjährung oder Mangel an Beweisen, die für isoliert in Einzelzimmern untergebrachte Kinder schwer zu erbringen waren.

Eine weitere Begründung für die Einstellungen lautete: Die Erzieher handelten nach den Regeln und somit nicht vorsätzlich rechtswidrig. Auch das Opferentschädingungsgesetz (OEG) verlangt „vorsätzlich“ rechtswidriges Handeln. Die Betroffenen könnten wieder enttäuscht werden.

Die taz fragte Ministerin Ernst, ob sie ein Fallbeispiel für ein Heimkind nennen könne, das als Opfer von Zwangsmaßnahmen erfolgreich Anspruch auf OEG-Entschädigung erstritten habe. In der Antwort, die ihr das Ministerium zusammen mit dem Sozialministerium gab, räumt sie ein, dass ihr dazu aus neuerer Zeit „keine Informationen vorliegen“. Bekannt seien die beiden Fonds, aus dem ehemalige Heimkinder, die von 1949 bis 1975 in der Bundesrepublik und von 1949 bis 1990 in der DDR „schweres Leid und Unrecht“ erfuhren, Hilfe erhielten.

Traumata und Suizidgefahr

Christina Witt startete 2014 schon einmal eine Petition. Damals unterschrieben über 42.000 Menschen gegen die drohende Wiedereröffnung der Heime im Rahmen eines juristischen Vergleichsverfahrens. Ministerin Münch traf sich mit Witt. Das Land lehnte den Vergleich ab, die Heime blieben zu.

Die taz fragte Ministerin Ernst, ob auch sie die beiden jungen Frauen zu einem Gespräch treffen wird. Darauf antwortete sie vage: „Eine Antwort an die beiden Petentinnen wird derzeit vorbereitet.“ Immerhin ermuntert sie Betroffene, sich wegen individueller OEG-Anträge ans Versorgungsamt zu wenden. Dort seien „auch die Betroffenen der Haasenburg sehr gut aufgehoben“.

Christina Witt fordert indes eine Lösung für alle Betroffenen. Darin unterstützt sie die Linke. Die Antwort auf ihre Anfrage sei „in keiner Weise genügend“, sagt die Landtagsabgeordnete Isabelle Vandre. „Brandenburg hatte die Aufsicht über die Haasenburg-Heime und trägt damit die Verantwortung“. Sie erwarte, dass das Land einen Fonds auflege, der die jungen Menschen materiell entschädige und eine psychosoziale Betreuung „über die Zeit der Haasenburg hinaus“ finanziere.

„Es muss gehandelt werden“, sagt auch Ronald Prieß, ehemaliger Jugendreferent der Linken und „Botschafter der Straßenkinder“, der Jonas kannte. Prieß warnt: „Es sind viele traumatisiert. Der Suizid von Jonas wird vielleicht nicht der letzte sein.“ Es gehe hier nicht um Einzelfälle, „das Konzept der Haasenburg war falsch“. Es sei positiv, dass sich Brandenburg, anders als Hamburg, bei den Betroffenen entschuldigte und auf Bundesebene für eine schärfere Heimaufsicht sorgte. „Eben daraus erwächst aber auch die Verantwortung, einen Entschädigungsfonds zu schaffen.“

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