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Konflikte zwischen Syriens DrusenZwei tote Scheichs und eine unklare Zukunft

Im syrischen Suweida nehmen die inner-drusischen Konflikte zu. Nun wurden wohl religiöse Gelehrte, die sich dem Anti-Regierungs-Lager entgegenstellten, hingerichtet.

Syrische Regierungstruppen sammeln sich in einem Dorf am Rande der Stadt Suwaida, am 15. 7. 2025 Foto: Ghaith Alsayed/AP/dpa
Julia Neumann

Aus Beirut

Julia Neumann

In Suwaida in Süd-Syrien bekämpfen nicht nur drusische Gruppen die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung – sondern auch sich untereinander. Es soll in den vergangenen Tagen eine echte Verhaftungswelle gegeben haben, berichtet das lokale Netzwerk Suwayda 24. Der drusische Gelehrte Scheich Hikmat al-Hijri und dessen Kämpfer, die sich „Nationalgarde“ nennen, sollen einige ihrer drusischen politischen Gegner entführt, gefoltert und sogar hingerichtet haben.

Einer von ihnen, Scheich Maher Falhout, soll von der bewaffneten Gruppe aus seinem Haus entführt worden seien. Wie er aus seinem Haus gebracht wird, zeigt ein Video in den sozialen Medien. Am Dienstag meldeten lokale Quellen, dass Falhout unter Folter gestorben sei. Quellen aus der Gemeinde bestätigten gegenüber dem Medium Enab Baladi, dass er an den Folgen schwerer Folter in den Haftanstalten der Gruppe gestorben sei.

Ein zweiter Mann, Scheich Raed al-Matni, soll laut lokalen Berichten ebenfalls von Hijris „Nationalgarde“ zu Tode gefoltert worden sein. Videos in den sozialen Medien, die von Ak­ti­vis­t*in­nen geteilt wurden, zeigen Szenen der Folter und Demütigung von al-Matni. Er wird verbal misshandelt, ihm der Bart abgeschnitten.

Die „Nationalgarde“ behauptete in einer Erklärung, die zwei Scheichs seien an einer Medikamentenüberdosis und einem Herzinfarkt gestorben. Angeblich sollen die Männer „von der Regierung rekrutiert“ worden seien, „um Attentate auf religiöse Persönlichkeiten in Suwaida zu verüben“. Beweise für die Anschuldigungen legte die Gruppe nicht vor.

Heftige Gefechte in Südsyrien

In der Nacht auf Donnerstag kämpfte Hijris Nationalgarde zudem mit Truppen der syrischen Übergangsregierung. Es habe heftige Gefechte mit schweren Waffen gegeben, meldet die Syrische Beobachtungststelle für Menschenrechte. Todesopfer wurden bislang allerdings nicht gemeldet.

Im Gouvernement Suwaida leben mehrheitlich Drusen, dazu ein paar wenige Christen und einige sunnitische Beduinen. Es gibt verschiedene bewaffnete Gruppierungen mit unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Zielen – darunter viele kleinere, familienbasierte Gruppen mit Kämpfern. Drei hohe religiöse Gelehrte haben die Rolle der spirituellen sowie politischen Führung der Drusen in der Region inne und ihre eigenen Unterstützer*innen: die Scheichs Yousef al-Jarbu, Hammoud al-Hannawi und Hikmat al-Hijri.

Jarbu hatte mit dem Regime von Baschar al-Assad kollaboriert, al-Hannawi sich zumindest nicht sonderlich aufgelehnt. Nach dem Sturz des Diktators waren beide der neuen Regierung gegenüber skeptisch, aber gewogen. Al-Jarbu vermittelte sogar aktiv zwischen dem neu gegründeten syrischen Staat, sprach mit militärischen und politischen Vertretern, plädierte für zivilen Frieden statt konfessioneller Gewalt. Scheich al-Hijri hingegen lehnte jegliche Kooperation kategorisch ab. Er wendet sich stattdessen Israel zu.

Die Massaker an Drusen im Sommer sorgen für Angst

Hijris Idee der lokalen Selbstverwaltung und Schutz durch Israel wird von einer der mächtigsten bewaffneten Fraktionen unterstützt: Dem sogenannten Militärrat, gegründet im Februar 2025. In dessen Reihen sind viele ehemalige Hilfstruppen des Assad-Regimes. Der Militärrat umfasst auch jüngere Rekruten, die sich insbesondere vor den Beduinen verteidigen wollen. Laut Medienberichten sollen Kämpfer, die mit al-Hijri verbündet sind, im Juli Massenmorde an Beduinen, internen Sicherheitskräften und syrischen Armeeangehörigen verübt und Häuser niedergebrannt haben.

Die Massaker an Drusinnen und Drusen im Juli durch die Truppen der syrischen Übergangsregierung haben auch die anderen zwei großen Scheichs umgestimmt. Yousef al-Jarbu und Hammoud al-Hannawi sind nun an der Seite Hijris für die Dezentralisierung.

Im August gründete Hijri dann die „Nationalgarde“: 30 Fraktionen schlossen sich Hijri an, der die Kontrolle über die militärischen Gruppen in Suwaida übernehmen möchte. Ziel der Gruppe sei es, die Region gegen Angriffe zu verteidigen. Doch die Truppe stellt sich mit Gewalt gegen diejenigen Drusen, die sich ihnen nicht anschließen.

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5 Kommentare

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  • Eine gewisse Loyalität kann vielleicht selbst eine solche Regierung frei nach dem Paulusbrief verlangen, solange sie halbwegs gerecht bleibt, zumal Netanyahu-Israel dort noch ärger Landraub betreibt als ohnehin schon und destabilisiert nach Strich und Faden.



    Wie würde eine bundesdeutsche Regierung reagieren, wenn der Erzbischof von Trier auf einmal den faktischen Anschluss an ein aggressives Luxemburg propagierte, das täglich mit Superjhemps die Mosel angriffe?



    Und wenn der, wie so häufig in Grüppchen, erst mal die internen Gegner auf den Scheiterhaufen senden und ermorden würde?

  • "Der drusische Gelehrte Scheich Hikmat al-Hijri und dessen Kämpfer, die sich „Nationalgarde“ nennen, sollen einige ihrer drusischen politischen Gegner entführt, gefoltert und sogar hingerichtet haben."



    Hier trifft wohl eher "ermordet" zu, mit dem Zusatz "bestialisch" statt "brutal" vielleicht sogar.



    "Hinrichtung" setzt die Tat und die Motive in das durch Nebelbildung verschleierte Licht der vermeintlichen (Pseudo)legalität.



    "Der Begriff ›Hinrichtung‹ bezeichnet im strengen Sinne die Tötung eines Menschen als Vollzug einer meist von der Justiz eines Landes ausgesprochenen Verurteilung zur Todesstrafe (s. Kap. 64: »Todesstrafe − historisch«). Allerdings gab es vom Spätmittelalter bis ins 19. Jh. auch Hinrichtungen von Tieren, die sich im Sinne der weltlichen Gerichtsbarkeit schuldig gemacht hatten (vgl. Dinzelbacher 2006, 26 und 124). Der Begriff wird daneben fälschlicherweise auch für die Tötung von Menschen gebraucht, die sich in der Gewalt nicht-hoheitlich befugter Personen, Gruppen oder Organisationen befinden – insbesondere in kriminellen bzw. terroristischen Kontexten."



    link.springer.com/...8-3-476-05762-4_66



    Kleine Nuancen ändern die Bewertungs-Kontexte.

  • Vor allem in deutschen Rojava-Solikreisen und unter kurdischen Nationalisten wird gern ausschliesslich die Zentralregierung für die Spannungen und Morde in Suweida verantwortlich gemacht. Erwähnt werden dagegen die o. g. innerderusischen Kämpfe



    und die destabilisierende Rolle Israels nicht. Diese Strategie ist allzu durchschaubar: die Zentralregierung soll geschwächt werden, um so Rojavas Autonomie oder sogar die Unabhängihgkeit zu erhalten. Indem gegen



    "die islamistische Zentralregierung" polemisiert und gehetzt wird, werden Versöhnung und Wideraufbau eines demokratischen Syrien sabotiert.

    • @Rinaldo:

      Was hat Rojava mit Suweida oder Israel zu tun?

  • Nur gut für die CDU, dass solche Meldungen im Mainstream nicht ankommen.



    Letztens sollte ja sogar der Außenminister zurücktreten, weil er angezweifelt hat, dass in naher Zukunft eine Rückkehr der Syrer möglich wäre.