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Konflikt zwischen Russland und der NatoErdoğan will vermitteln

Die Türkei hat gute Beziehungen zu Kiew, aber auch zu Moskau. Nun ist Erdogan in die Ukraine gereist, um zu vermitteln.

Wolodymyr Selenski und Recep Tayyip Erdoğan während einer Pressekonferenz im Februar 2020 Foto: Gleb Garanich/reuters

Berlin taz | „Wir wollen Frieden in der Region. Ein Krieg wäre schlecht für die gesamte Region“. Recep Tayyip Erdoğan, in etlichen Konflikten nicht als Pazifist bekannt, machte sein empathisches Friedensbekenntnis schon zwei Tage bevor er am Donnerstag in die ukrainische Hauptstadt Kiew reiste an einer Universität in Istanbul.

Offiziell geht es bei dem Besuch in der Ukraine um ein neues Freihandelsabkommen zwischen Ankara und Kiew; tatsächlich sieht sich Erdoğan aber auf einer Mission als möglicher Friedensstifter zwischen Russland und der Ukraine. Schon mehrfach in den letzten Wochen hatte er sich als Vermittler im Ukrainekonflikt angeboten.

Die Türkei sei bereit, jede „erdenkliche Rolle“ zu übernehmen, hieß es in Ankara, doch bislang schien niemand Interesse an einer türkischen Vermittlung zu haben. Mit seinem Besuch am Donnerstag kann Erdoğan zumindest ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski für sich verbuchen und sich so in den diplomatischen Reigen um die Ukraine mit einreihen.

Eigentlich hatte Erdoğan gehofft, Selenski und den russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Türkei zu einem gemeinsamen Treffen zusammenführen zu können, bei dem unter seiner Mithilfe dann ein Kompromiss in der Ukrainekrise ausgehandelt wird. Doch diese Idee hatte ein Kreml-Sprecher schon vor einer guten Woche als sinnlos abgelehnt.

Erdoğan ließ dennoch nicht locker. Und so hat Putin jetzt zumindest einen Besuch in Ankara für die Zeit nach den Olympischen Winterspielen in Peking in Aussicht gestellt. Zwar kann Erdoğan die Zusicherungen, die Putin von der NATO fordert, nicht geben, aber er hofft wohl, mögliche Kompromissformeln austesten zu können, bevor eine der beiden Seiten sie öffentlich zur Sprache bringt.

Türkische Kampfdrohnen für die Ukraine

Erdoğans Vorteil ist, dass er als einer der wenigen Präsidenten eines Nato-Staats belastbare Beziehungen sowohl zu Selenski als auch zu Putin hat. Trotz der engen Beziehungen zu Russland hat Erdoğan die russische Annexion der Krim von Anfang an verurteilt. Noch viel wichtiger ist im Moment, dass die Türkei der Ukraine zudem türkische Kampfdrohnen verkauft hat, die diese gegen die Separatisten im Donbass bereits erfolgreich eingesetzt hat. Weitere Waffenlieferungen sollen folgen.

Andererseits hat Erdoğan einen noch intensiveren Kontakt zu Putin als selbst der ungarische Regierungschef Viktor Orbán. Gemeinsam mit dem Iran haben Putin und Erdoğan einen Waffenstillstand in Syrien durchgesetzt, der das Land seitdem in verschiedene Einflusszonen aufteilt und dabei die USA und Europa ausmanövriert. Obwohl Putin und Erdoğan in Syrien auf entgegengesetzten Seiten stehen, hält diese Vereinbarung im Prinzip jetzt schon seit mehreren Jahren.

Dasselbe Spiel fand in Libyen und im Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien um Bergkarabach statt. In beiden Konflikten standen Erdoğan und Putin auf der jeweils anderen Seite und dennoch gelang es ihnen, ihre jeweiligen Einflusszonen abzustecken.

Auch wirtschaftlich sind die Türkei und Russland eng verbandelt: Mehr als 50 Prozent des für die Türkei lebenswichtigen Erdgases bezieht das Land über zwei Piplines, die aus Russland kommend durch das Schwarze Meer führen. Darüber hinaus baut Russland ein Atomkraftwerk an der türkischen Mittelmeerküste.

Erdoğan hat sich gegenüber Putin erkenntlich gezeigt und in Russland das Raketenabwehrsystem S-400 gekauft und damit einen Spaltpilz innerhalb der Nato gepflanzt, die die russischen Systeme nicht in ihren Reihen dulden will. Erdoğan ist damit in einer heiklen Situation, wie unter anderem die Analystin für Türkeistudien der Carleton Universität, Jewgenia Gaber, beschreibt.

Im Kriegsfall müsste Erdoğan sich entscheiden

Kommt es zu einem russischen Einmarsch in der Ukraine, wird sich Erdoğan für die eine oder andere Seite entscheiden müssen. Entweder schließt er sich den EU-Sanktionen gegen Russland an und öffnet auch die Meerengen für die ungehinderte Durchfahrt von US-Kriegsschiffen ins Schwarze Meer, oder er wird in der Nato und in der EU endgültig zum schwarzen Schaf, mit dem niemand mehr etwas zu tun haben will.

Schon um des wirtschaftlichen Überlebens der Türkei willen muss Erdoğan aufseiten des Westens bleiben, doch würde dann Putin wohl alle Vereinbarungen in Syrien platzen lassen, was letztlich zu einer Wiederaufnahme der Kampfhandlungen dort führen würde und einen neuen großen Flüchtlingsstrom aus Nordsyrien in die Türkei zur Folge hätte. Dreht Putin dann noch den Gashahn für die Türkei ab, würde der innenpolitisch angeschlagene Erdoğan das politisch wohl nicht überleben.

So ist der türkische Präsident tatsächlich einer der eifrigsten Kämpfer für eine diplomatische Lösung der Ukrainekrise, die Putin zumindest vorläufig von einem Einmarsch ins Nachbarland abhält. Zwei Tage vor seinem Treffen mit Selenski hatte Erdoğans Sicherheitsberater Ibrahim Kalin mit dem US-Sicherheitsberater von Joe Biden, Jack Sullivan, telefoniert, um mögliche Kompromissformeln, die die USA mittragen können, auszutesten. Vielleicht schafft Erdoğan es ja tatsächlich, eine Brücke zu bauen, auf der sich Putin und die Nato treffen können.

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1 Kommentar

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  • Selenski sollte aufpassen, dass ihm seine Verhandlungen mit dem Sultan nach dessen baldigem Ende nicht auf die Füße fallen.