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Konflikt in der OstukraineVirtuell hat der Krieg begonnen

Russland und die Ukraine liefern sich medial einen Schlagabtausch. In Moskau denken einige schon über den Einsatz von Atomwaffen nach.

Ein ukrainischen Soldat Anfang April während eines Einsatzes an der Demarkationslinie bei Donezk Foto: Serhiy Takhmazov/reuters

Berlin taz | Russland verstärkt seine Truppen an der Grenze zur Ukraine, bei Gefechten im Donbass kommen immer wieder Menschen ums Leben. Doch formal ist der Waffenstillstand vom Juli 2020 immer noch in Kraft. Im virtuellen Raum herrscht jedoch mittlerweile ein Ton zwischen Russland und der Ukraine, der mehr einem Krieg gleicht.

Ein erneuter Ausbruch von Kampfhandlungen im Donbass könnte das Ende der Ukraine als Staat bedeuten, hatte der stellvertretende Leiter der Administration des Russischen Präsidenten, Dmitrij Kosak kürzlich geäußert. Die Mannschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodimir „hat sich entschlossen, ein Drama mit dem Namen ‚die militärische Bedrohung‘ aufzuführen. Da die Kollegen keine große politische Erfahrung haben, könnte es sein, dass sie sich verspielen“, zitiert die Plattform medusa Kosak.

„Das sind Kinder mit Zündhölzern in der Hand“, so Kosak weiter, der auch ein militärisches Eingreifen Russlands im Donbass nicht ausschloss. „Heute hängt alles davon ab, was für ein Ausmaß dieses Feuer haben wird. Wenn wir dort Srebrenica haben, werden wir gezwungen sein zu handeln.“

Der Chef der Liberaldemokratischen Partei Russlands, Wladimir Schirinowski, beschuldigt die ukrainische Führung, ukrainische Städte wie Charkiw oder Kiew bombardieren zu wollen, um dann Russland Vorwürfe zu machen.

Eine mögliche Lösung

Und in einer Talkshow im russischen Fernsehen denkt der Militärexperte Michail Chodarenok über Voraussetzungen nach, unter denen Russland taktische Atomwaffen einsetzen könnte. „Jeder Konflikt kann mit der Drohung eines Einsatzes oder der Anwendung von taktischen Atomwaffen durch unsere Seite beendet werden“, meint der Experte.

Noch offensiver für einen Einsatz von Atomwaffen gegen die Ukraine tritt das „Koordinierungszentrum der Hilfe für Noworossia“ ein. Auf dem Portal der Organisation, die die ost­ukrainischen „Volksrepubliken“ materiell unterstützt, erklärt ihr Chef, Alexander Ljubimow: „Ein moderner atomarer Krieg 2021 gegen die Ukraine mit Hilfe taktischer Geschosse ist akzeptabel und wäre eine mögliche Lösung der ukrainischen Frage. […] In dem zu erwartenden Krieg Russlands und der Ukraine ist die Anwendung von taktischen Atomwaffen durch Russland zulässig, ja sogar wünschenswert.“

In der Ukraine mehreren sich unterdessen die Stimmen derer, die einen Journalismus fordern, der sich in Zeiten des Medienkrieges von staatlichen Interessen leiten lasse. „In einem Krieg muss, auch unter Berücksichtigung der Standards eines demokratischen Journalismus, die Bekämpfung des Einflusses des Aggressors an erster Stelle stehen. Und deshalb muss man seine Einstellung zum Begriff ‚Propaganda‘ ändern“, verlangt Miros­law Liskovich, Korrespondent der Nachrichtenagentur Ukrinform.

Und Dmitro Solotuchin, Ex-Vize-Informationsminister, beklagt sich darüber, dass viele Bürger noch gar nicht begriffen hätten, in was für einer angespannten Situation das Land aktuell sei. Schuld daran sei das Fernsehen. Man müsse dafür Sorge tragen, dass das Verteidigungsministerium, der Präsident und der Premier in den Medien mehr Sendezeit erhielten.

Visite in Ankara

Unterdessen ist der ukrainische Präsident Selenski am Wochenende in Istanbul mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zusammengetroffen. Die Türkei und die Ukraine unterhalten gute Beziehungen. Mehrfach hat die Ukraine auf Wunsch von Ankara in der Ukraine lebende türkische Dissidenten ausgeliefert. 2018 kaufte die Ukraine sechs Bayraktar TB2-Drohnen und 200 Raketen. Auch die aserbaidschanische Diaspora in der Ukraine unterstützt die ukrainisch-türkischen Beziehungen.

Dass Aserbaidschan im jüngsten Karabach-Krieg gewonnen habe, sei auch den guten Beziehungen zwischen Baku und Ankara zu verdanken, schreibt Hikmet Dschavadow, Sprecher der aserbaidschanischen Diaspora in der Ukraine, auf gordonua.com. „Ich bin davon überzeugt, dass auch der Ukraine ein derart glänzender Sieg und die Befreiung aller seiner Territorien bevorsteht“, so Dschawadow.

Der Sieg der aserbaidschanischen Armee sei auch durch das hohe Niveau der politischen und militärischen Zusammenarbeit zwischen Baku und Ankara möglich geworden. Diesen Faktor müsse Kiew bei seiner Konfrontation mit Russland berücksichtigen.

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8 Kommentare

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  • Mich stört die Geschichtsvergessenheit und Kriegsgeilheit zu vieler Politiker,



    Kommentatoren und Journalisten!

  • Und was macht die Diplomatie? Wo bleibt die EU?... NATO und die USA haben der, in Hass und Angst erstarrten Ukraine ja so etwas wie 'bedingungslose Unterstützung' erklärt? Und Russland formuliert sich als Schutzmacht für Noworussia (Donbass).. Im Text von Frau Oertel, "Lauter Brandstifter" vom 6.4.2021, wird auf das Gewirr der Propaganda hingewiesen, auf die Eskalation des Konflikts zwischen Kiew und Moskau..



    Und nun, eine knappe Woche später, siehe den heutigen Text von Herrn Clasen, "Virtuell hat der Krieg begonnen"... Zum Kotzen ist das!



    Zudem, weil Krieg und Kriegertum im Lichte globaler Klima-und Ökoprobleme, als



    historisch/provinzielle Machtsystematik und auch im Lichte der corona Pandemie "OUT"



    ist! Darf die friedliebende Weltbevölkerung eine weitere Beschädigung der - immer noch-Bewohnbarkeit des Planeten durch den Irrsinn von Krieg hinnehmen? NEIN!

  • Für alle, die es noch nicht wussten oder schon wieder vergessen haben:



    Im „Budapester Memorandum“ von 1992 verpflichtete sich die Ukraine, die von der Sowjetunion geerbten Atomwaffen an Russland abzugeben. IM GEGENZUG VERPFLICHTETE SICH RUSSLAND, DIE TERRITORIALE INTEGRITÄT DER UKRAINE ZU GARANTIEREN. Warum wird das heutzutage gar nicht mehr erwähnt?



    Die Ukraine hat ihren Teil des Vertrages erfüllt. Und Russland? Siehe Krim, Ost-Ukraine und die im Beitrag zitierten an Wahnsinn grenzenden Atomkriegspläne!



    Aber, um es ironisch zu formulieren: Ein Einsatz von Atomwaffen russischerseits wird wohl unnötig sein. Selbst in einem konventionellen Krieg wäre die Ukraine zu schwach, um sich gegen das imperialistische Russland wirksam zur Wehr zu setzen. Die baltischen Staaten waren gut beraten, sich den Beistand der NATO zu sichern, ehe sie von Russland geschluckt wurden.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Pfanni:

      Russland hat jegliche Versuche einer Atomwaffenfreien Welt damit torpediert, ich bin mir ziemlich sicher in 20 Jahren werden Balten, Polen und Ukrainer sich zusammen Nuklearwaffen angeschafft haben, Iraner, Türken, Saudis auch und Japan zusammen mit Taiwan vermutlich auch. Die einzige Garantie dagegen von Großmächten geschluckt zu werden.

  • In Russland stehen die Dumawahlen an, und die Chancen von Putins Abnickpartei Jedinaja Rossija stehen so schlecht wie noch nie. Putin hat Russland nichts mehr zu bieten, seit acht Jahren sinkt der Lebensstandard kontinuierlich. Wahlmanipulation ist nur begrenzt möglich, das Volk murrt, da bietet sich ein Krieg mit der Ukraine geradezu an, um von der innenpolitischen Misere abzulenken. Dieses Rezept hat seit Jelzins erstem Tschetschenienkrieg funktioniert, daher versucht es Putin nun erneut damit. Fraglich jedoch, ob dieses Kalkül noch einmal aufgehen wird. Der Kriegsherr im Kreml könnte sich diesmal verkalkulieren.

    • @Michael Myers:

      Danke dass Sie diesen evidenten Zusammenhang erwähnen, den der Artikel leider völlig außer acht lässt. Wobei zu der allgemein für Putin ungünstigen Stimmung im Land hinzukommt, dass die "innenpolitische Misere" jetzt einen Katalysator hat, der sich in der Haftanstalt von Pokrow befindet.

      Russland hat nach gestrigen Meldungen bis zu 80.000 Soldaten an der Grenze zum Donbas und auf der Krim zusammengezogen, und Herr Lawrow kommentiert das wie folgt:

      "Russland will von Deutschland Informationen über Alexej Nawalny erhalten, wenn Berlin seinerseits Daten über die Bewegung der russischen Truppen in der Nähe der Grenze zur Ukraine anfordert, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow.



      Zuvor hatte die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zu Berichten über die Lage an der russisch-ukrainischen Grenze die Meinung geäußert, Russland solle die Bewegungen seiner Truppen erklären.



      "Wir möchten das Recht der Russischen Föderation respektiert sehen, beliebige Aktivitäten auf ihrem Territorium durchführen zu dürfen. Und was die deutsche Seite betrifft, so ist bei ihr unter bekannten Umständen Herr Nawalny aufgetaucht, über dessen Gesundheitszustand uns die deutsche Seite immer noch nichts sagt", sagte Lawrow auf einer Pressekonferenz in Teheran.".

      Das ist keine Zeitungsente, sondern eine RIA-Agenturmeldung vom heutigen Tag.

      Quelle: ria.ru/20210413/voyska-1728021888.html.

      Der reinste Irrsinn. Das ist das offizielle Statement des Chefdiplomaten des Kreml zu einer Anfrage der deutschen Verteidigungsministerin über Truppenbewegungen an der russisch-ukrainischen Grenze.

      • @Barbara Falk:

        Ja, Lawrow gibt den Gromyko. Mr. Njet 2.0.

  • Es ist nicht verständlich, wie man Schirinowski als Liberaldemokrat stehen lassen kann. Der ist schon so lange in der Duma und der Rechte Unterstützer Putins. Was der schon alles für Sprüche losgelassen hat, ist kaum zu glauben, aber nachzulesen: u.a.



    de.wikipedia.org/w...itsch_Schirinowski

    "There lives a man in Moscow and Russia is his fate



    He always prayed for power for loyalty and hate



    His dreams are very simple, dreams of an iron fist



    His name is Shirinovski, he′s a bloody damned fascist



    He′s talking about freedom, talking about Russia′s lost



    But it means another war"



    Paddy goes to Holyhead, 1994