Konflikt in Afghanistan: Gefangenenaustausch für Frieden
US-Präsident Donald Trump erklärte die Verhandlungen mit den afghanischen Taliban für „tot“. Nun könnten sie wieder aufgenommen werden.
Am Dienstag gab der afghanische Präsident Aschraf Ghani live im Fernsehen bekannt, seine Regierung habe beschlossen, „gefangene Taliban im Austausch gegen zwei Universitätsprofessoren frei zu lassen, um den Weg für Direktverhandlungen mit den Taliban zu ebnen“.
Es gibt widersprüchliche Meldungen, ob die Freilassungen der ausländischen Professoren bereits stattgefunden haben. Bei ihnen handelt es sich um den 63-jährigen Amerikaner Kevin King und den 50-jährigen Australier Timothy Weeks, die beide an der Amerikanischen Universität in Kabul lehrten und dort am 7. August 2016 aus ihrem Auto heraus entführt worden waren.
Im Oktober 2017 teilten die Taliban mit, King sei ernstlich krank. Zwei militärische Befreiungsversuche an der afghanischen Südostgrenze mit Pakistan scheiterten. Seitdem gab es keine öffentliche Nachricht mehr von den beiden Geiseln.
Geiseln des Hakkani-Netzwerkes
Afghanistans Südosten ist das Operationsgebiet des Hakkani-Netzwerks, einer halbautonomen regionalen Untergruppe der Taliban, die älter ist als die 1994 gegründete Bewegung selbst und die bereits seit Mitte der 1970er Jahre bewaffnet gegen Kabuler Regierungen kämpft.
Bei ihrem inzwischen verstorbenen Gründer Dschalaluddin Hakkani tauchte in den 1980er Jahren Al-Qaida-Chef Osama bin Laden erstmals in Afghanistan auf. Inzwischen führt Hakkanis Sohn Seradschuddin die Gruppierung. Zwei der drei vor der Freilassung stehenden Gefangenen sind enge Verwandte von ihm, darunter sein jüngerer Bruder Anas.
Der war 2014 von lokalen und US-Beamten auf dem Flughafen von Bahrain festgenommen und an die Justiz in Kabul übergeben wurde. Dort wurde er als Terror-Financier zum Tode verurteilt.
Der jetzige US-Botschafter in Kabul, John Bass, lobte Ghani für seinen „mutigen Schritt“. Mehrmals hatte es nach Taliban-Anschlägen öffentliche Proteste gegeben, in denen als “Vergeltung“ Hakkanis Hinrichtung gefordert worden war.
Afghanische Regierung überschreitet eigene „rote Linie“
Noch Ende Oktober bezeichnete ein Ghani-Sprecher seine Freilassung als „rote Linie“, die nicht überschritten werden dürfe.
Man kann davon ausgehen, dass der Druck der US-Regierung groß war. Sie behandelt die Befreiung von im Ausland als Geiseln genommenen eigenen Bürgern als Priorität. Gleichzeitig dürfte Ghanis Zugeständnis nicht ohne Gegenleistung bleiben.
Der afghanische Präsident wird gegenüber US-Chefverhandler Zalmay Khalilzad, der Anfang November Kabul besucht hatte, darauf bestanden haben, dass die USA sich für die schnellstmögliche Beteiligung einer Delegation aus Kabul an den Verhandlungen mit den Taliban einsetzen. Denn bisher wollten die Taliban Direktgesprächen erst nach einem Abkommen mit den USA zustimmen.
Vertrauensbildende Maßnahmen wie der bevorstehende Gefangenenaustausch werden als Voraussetzung dafür gesehen, dass Khalilzad bei Donald Trump die notwendigen „fünf Minuten“ erhält, die nötig sind, um wieder grünes Licht für Taliban-Kontakte zu erhalten, wie es der deutsche Afghanistan-Sondergesandte Markus Potzel am Montag auf einer Veranstaltung der Böll-Stiftung in Berlin ausdrückte.
Bereits 2014 hatte ein erster Gefangenenaustausch US-Taliban-Gefangenenaustausch bilaterale Gespräche eingeleitet.
Neuer Selbstmordanschlag in Kabul
Am Mittwoch sind bei einem Anschlag mit einer Autobombe in Kabul mindestens sieben Menschen getötet und zehn weitere verletzt worden. Unter den Verletzten seien vier ausländische Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma, sagte ein Sprecher des afghanischen Innenministeriums am Mittwoch in Kabul.
Die Autobombe detonierte demnach in der Nähe des Innenministeriums. Zunächst bekannte sich niemand zu dem Anschlag. Alle Todesopfer sind afghanische Zivilisten.
Innenminister Masud Andarabi erklärte, unter den Todesopfern sei auch ein 13-jähriges Schulkind. „Die Feinde unseres Volkes sollten wissen, dass unser Volk zum Frieden entschlossen ist. Nichts kann es davon abhalten, Frieden zu erreichen“, erklärte Andarabi. Aus Ministeriumskreisen hieß es, ein Selbstmordattentäter habe sich in dem Auto in die Luft gesprengt.
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