Komplizierte Wahlprogramme: Bis zu 69 Wörter in einem Satz
Die Wahlprogramme der Parteien sind zwar kürzer als 2021, aber immer noch schwer verständlich. Besonders umständlich formuliert die AfD.
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Denn die Parteien scheinen alles zu nutzen, was das Lesen schwierig macht. Zum Beispiel Schachtelsätze: 30 bis 40 Wörter pro Satz seien keine Seltenheit, schreiben die Autor*innen der Analyse. Auch Sätze mit mehr als 50 Wörtern fänden sich bei vielen Parteien. Sogar einer mit 69 Wörtern ist ihnen begegnet.
Dabei sollte jeder Satz möglichst wenige Informationen vermitteln, damit auch Wenig-Leser*innen die Wahlprogramme einfach verstehen können. Hinzu kommen Wortungetüme wie „Telekommunikationsnetzausbaubeschleunigungsgesetz“ (FDP) und Fachbegriffe wie „Small Modular Reactors“ (CDU/CSU). Und wussten Sie, was ein „Quick-Freeze“ ist, von dem die Grünen schreiben?
Immerhin etwas kürzer als beim letzten Mal sind die Wahlprogramme, im Durchschnitt 25.544 Wörter. Am formal verständlichsten finden die Forschenden das Programm der Union mit 10,5 Punkten auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex, gefolgt von der Linken mit 8,3 Punkten. Am wenigsten verständlich ist das Programm der AfD mit 5,1 Punkten.
Damit stehen die Wahlprogramme zwar besser da als Doktorarbeiten in der Politikwissenschaft (1,2 Verständlichkeitspunkte), aber deutlich schlechter als Haushaltsreden im Deutschen Bundestag 2023 (15 Punkte).
Zumindest die Haushaltspolitiker*innen der Parteien können somit anscheinend Verständlichkeit. Was ist also bei den Wahlprogrammen schiefgelaufen? Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider spricht vom „Fluch des Wissens“: Die Themenkapitel seien das Ergebnis von Expertenrunden. „Diesen ist meist gar nicht bewusst, dass die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler ihren Fachjargon nicht versteht“, sagt Brettschneider. Dass die Parteien durchaus verständlicher formulieren könnten, bewiesen gelungene Passagen in den Einleitungen und im Schlussteil. Für diese vergaben Brettschneider und sein Team meist mehr als zehn Verständlichkeitspunkte.
Jetzt die Auflösung: Beim „Quick-Freeze-Verfahren“ werden IP-Adressen, Telefonnummern und andere Verkehrsdaten bei den Internet- und Telefonanbietern gesichert, wenn der Verdacht einer erheblichen Straftat besteht und die Daten mit ihr im Zusammenhang stehen könnten. Die Grünen wollen dieses Strafverfolgungsinstrument „konsequent ausbauen“. „Small Modular Reactors“ sind Mini-Atomkraftwerke, auf deren Beforschung die Union setzt, neben der potenziellen Reaktivierung bereits abgeschalteter Atomkraftwerke. Und der Bandwurmsatz mit den 69 Wörtern steht im Programm des BSW.
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