Komplett-Verzicht von Tierversuchen?: Tierversuchsfreie Stadt als Ziel
Die Tierversuchskommission des Landes Berlin wird neu besetzt. Das sorgt für teils erhitzte Diskussionen in Politik und Gesellschaft.
W ie wird man eigentlich Tierschützer*in? Mit dem Tierschutz-Meisterbrief? Der bronzenen Ehrennadel von Peta oder dem örtlichen Tierschutzverein? Oder muss man nur lang genug streunende Katzen gefüttert haben, damit diese künftig noch besser Kleintiere wie Mäuse und Ratten töten können?
Um deren Wohl in Forschungslaboren ringt jedenfalls die Tierversuchskommission des Landes Berlin. Jedenfalls sollte sie das. Allerdings soll die Zusammensetzung des Expertengremiums nach dem Willen des zuständigen grünen Senators Dirk Behrendt (Grüne) zugunsten des Tierschutzes verändert werden – welches zusätzliche Expertenwissen auch immer damit gewonnen werden soll. Aber die Neubesetzung ist bislang nicht gelungen, sodass die Kommission nicht wie geplant im September tagte und seither auch nicht. Nächste Woche könnte es so weit sein.
Tierversuche sind nach Meinung des überwiegenden Teils der Forscher*innen unentbehrlich. Zwar wird in Berlin schon lange die sogenannte 3R-Strategie verfolgt: Reduce, Replace, Refine. Also Reduktion der Zahl von für Versuche benötigten Tieren, verbesserte Versuchs- und Haltungsbedingungen sowie Ersatz von Tierversuchen durch andere Methoden, wo das möglich ist. Mit der Meinung allerdings, man könne in absehbarer Zeit ganz auf sie verzichten, steht die neue Berliner Tierschutzbeauftragte Kathrin Herrmann in der Wissenschaft ziemlich alleine da.
Zumal Tierversuche gesetzlich stark reglementiert sind und nur bei ausführlicher Begründung genehmigt werden. Die von Tierversuchsgegnern beklagte hohe Genehmigungsquote hängt genau damit zusammen: Der Aufwand für die Anträge ist hoch, sodass die Forscher*innen schon im Vorfeld auf Nummer sicher gehen und möglichst solide begründen.
Brandbrief an den Senat
20 solcher Anträge warten nun auf die Stellungnahme der Kommission in der gesetzlich eigentlich mit vier Wochen festgelegten Frist, darunter ein besonders eiliger aus der Covid-19-Forschung. Angesichts der Coronakrise ist diese Selbstfindungsauszeit höchst befremdlich. Vielleicht soll das Ziel einer tierversuchsfreien Stadt mangels fachlicher Alternativen durch Verzögerungstaktik erreicht werden?
Die führenden Forschungseinrichtungen Berlins haben sich jedenfalls in einem Brandbrief an den Senat in dieser Woche deutlich darüber beklagt, dass ihnen durch die Arbeitsverweigerung im Bereich Tierschutz massiv Steine in den Weg gelegt würden, was den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) nun zum persönlichen Eingreifen veranlasst hat.
Für die Grünen tut sich hier wie schon im Fall Homöopathie eine Glaubwürdigkeitslücke auf: Während man bei Klimaschutz und Biodiversitätskrise zu Recht darauf besteht, der Wissenschaft zu folgen, scheint diese bei Tierversuchen plötzlich eher lästig zu sein. Weshalb wichtige Forschungsfragen blockiert und der Wissenschaftsstandort Berlin geschwächt werden.
Um aber mal die Relationen zu betrachten: Für jeden Berliner werden im Lauf seines Lebens vier Versuchstiere eingesetzt – inklusive den viel genutzten Zebrafischen. In derselben Zeit isst er durchschnittlich deutlich über 1.000 andere Tiere einfach auf. Ganz ohne jeden Kommissionsentscheid.
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