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Kompensation für CO2-Ausstoß von FlügenModerner Ablasshandel?

Zahlen fürs Gewissen: Um­welt­schüt­ze­r*in­nen sehen CO2-Kompensationen für Flüge kritisch. Die Politik schiebe Verantwortung auf die Einzelnen.

Immer mehr Flugreisende kompensieren CO2 Foto: Pedro Sanchez/dpa

Berlin taz | Ablasshandel, Scheinlösung oder effektiver Klimaschutz? Flugreisende kompensieren immer öfter ihren Flug – direkt bei der Airline oder über verschiedene Organisationen wie Atmosfair, Klimakollekte und Myclimate. Neben Flugemissio­nen können auch andere Reisen, Strom oder Papier ausgeglichen werden. Durch Kompensation soll die ausgestoßene CO2-Menge an anderer Stelle eingespart werden.

„Das soll kein moderner Ablasshandel sein“, sagt Vera Bünte von Klima-Kollekte, „sondern eine Chance, Verantwortung für den Ausstoß der eigenen Emissionen zu übernehmen und zu Klimagerechtigkeit beizutragen.“ Wo es (noch) nicht möglich sei, Emissionen zu reduzieren, biete die Klima-Kollekte die Möglichkeit, wenigstens einen Ausgleich zu leisten. „Das macht keineswegs unser Umdenken hinfällig und kann mitnichten weitreichende Klimaschutzmaßnahmen bei uns vor Ort abgelten“, betont sie.

Die Klima-Kollekte fördert mit den Kompensationszahlungen Projekte, durch die der Ausstoß von Treibhausgasen im Globalen Süden vermindert werden soll: Energieeffizientere Kocher in Kenia oder Ruanda. Biogas, PV-Module und Solarlampen in Indien. Zudem werde durch diese Projekte nicht nur CO2 eingespart: „Sie mindern Armut vor Ort, indem sie Frauen stärken, Gesundheit schützen und Per­spektiven ermöglichen“, erklärt Bünte.

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„Kompensation ist nur die zweitbeste Lösung“, sagt Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Die beste: Wenn irgend möglich, Fliegen vermeiden. „Klimaneutral fliegen geht nicht – das Klima wird immer belastet. Ich kann mich nicht freikaufen.“ Er fordert ein Verbot von Flugreisen auf Strecken, die von der Bahn in unter vier Stunden bedient werden, und ein Subventionsverbot: „Flughäfen dürfen nicht länger staatlich finanziert werden. Wir brauchen eine angemessen hohe Kerosinsteuer, und Flugtickets dürfen nicht von der Umsatzsteuer befreit sein.“

Wenigstens besser als gar nichts?

Diese Wettbewerbsverzerrung mache Flugreisen oft billiger als ein Bahnticket – das verleite zum Fliegen. „Wenn jetzt auch noch das vermeintlich saubere Gewissen dazu verkauft wird, dann scheitern wir beim Klimaschutz.“

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So sieht das auch Lambert Schneider vom Öko-Institut: „Kompensation kann keine langfristige Lösung sein. Wir brauchen eine Transformation zu null Emissionen.“ Die Flugbranche dürfe nicht weiterwachsen, Subventionen müssten gestrichen werden und alternative Kraftstoffe her.

Die Politik müsse endlich anpacken: „Freiwillig zu kompensieren ist nur nötig, weil die Politik nicht funktioniert und es nicht genug politische Maßnahmen gibt. Kompensieren ist das Einspringen des Einzelnen, weil die Politik versagt“, kritisiert Schneider. Kompensation sei für die Flugindustrie eine einfache und billige Alternative, ohne wirklich etwas zu ändern.

Kompensieren sei jedoch besser, als gar nichts zu tun. Zu beachten sei: „Wird das Projekt wirklich nur durch die Kompensation ermöglicht? Wie wird die Emissionsmenge beim Flug und beim Projekt berechnet? Welche sozialen Wirkungen haben die Projekte jenseits des Klimaschutzes?“

Gegen den „CO2-Kolonialismus“

Vor Waldprojekten, um etwa Abholzung zu vermeiden, warnt Schneider. Da sei oft fraglich, wie die reduzierten Emissionen bemessen werden. Brennt der Wald zu einem späteren Zeitpunkt doch ab, kommen sie trotzdem in die Atmosphäre. Oft würden stattdessen auch einfach andere Waldstücke gerodet.

Grundsätzlich „gar nichts“ vom Kompensieren hält Lena Tucnak von der Initiative „Am Boden bleiben“: „Für uns ist das eine Scheinlösung, die gutes Gewissen erzeugen soll und dazu führt, dass Leute weiterhin fliegen.“ Sie nennt es „CO2-Kolonialismus“: Viele der Kompensationsprojekte sind im Globalen Süden, da dort CO2 billiger eingespart werden kann. „Häufig führen sie zu Einschränkungen für indigene oder bäuerliche Gemeinden, die zum Beispiel ihren angestammten Wald nicht mehr nutzen können.“

Solarkocher für Frauen in Afrika könnten zwar sinnvoll sein, „aber die Haltung ist fraglich: ‚Ihr Frauen in Afrika müsst Emissionen einsparen, damit wir weiterfliegen können‘“, kritisiert Tucnak. „Da Kompensation immer billiger ist, als Emissionen zu reduzieren oder technologische Erneuerungen einzuführen, werden dadurch politische Maßnahmen hinausgezögert.“ Als Beispiel nennt sie das Reduk­tionsprogramm Corsia für den Flugverkehr, das vielfach von Umweltverbänden als unzureichend kritisiert wird.

Eine Alternative seien Zertifikate aus dem Europäischen Emissionshandel, empfiehlt Schneider vom Öko-Institut. CO2-Zertifikate können etwa bei The Compensators erworben werden. „So werden CO2-Zertifikate für die Industrie stillgelegt, das Angebot verknappt und Unternehmen unter Druck gesetzt.“

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8 Kommentare

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  • Was sind das für neue Bäume, die genauso schnell wachsen wie eine Flugreise dauert, um die dabei freigesetzte CO2 Menge zu "kompensieren"? Sie werden wohl auf der Südseeinsel wachsen, auf der Pippi Langstrumpfs Papa König ist.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Eine typisch politische Lösung auf Papier!



    Sinnvoll wäre die tatsächliche Vermeidung. Wenn dies nicht sofort geht, bietet sich die bewährte und sichere Technik von Carbon Capture & Storage an - kurz CCS.



    Dagegen hat ausgerechnet Greenpeace, die sich Umweltschutz auf die Fahnen geschrieben hat, massivst und erfolgreich Widerstand geleistet.



    Die CCS-Befürworter haben immer gesagt, dass diese Technik eine Brückentechnologie sei. Wollte man aber nicht hören. Ziel war der total Kohleausstieg - egal was es kostet und es hat und wird eine Menge kosten, völlig unnötigerweise. Allein in Deutschland 40 Milliarden. Beschlossen!



    Das CO2 ist aber immer noch in der Atmosphäre.



    Ein mieses Spiel, dass Greenpeace zu verstärkter Macht verhilft, den Bürgern dieser Welt aber massiv schadet.



    Beispiel: In Südafrika werden weit über 80% des Stoms über Kohle produziert. Die britischen Kollegen waren damals nahe dran, um dort CCS zu etablieren. Dann kam das Aus und die Briten haben lieber das vorhandene Budget in den Ausbau des Atomkraftwerkes Hinckley an der Südküste Englands investiert.



    Toll, oder?

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Im Falle der Lausitz hat nicht Greenpeace CCS verhindert, auch nicht der Bürgerprotest, wie oft behauptet, sondern Vattenfall selbst - nachdem festgestellt wurde, dass man für die Verpressung und unterirdische Verbringung der Emissionen des Kraftwerks Jänschwalde 2 weitere Kraftwerke hätte betreiben müssen. Sowohl Direct Air Capture als auch CCU als auch CCS benötigen ungeheure Mengen an Energie - wo sollen die alle herkommen? Die verheißungsvollste Methode ist bislang die Speicherung unter Basaltgestein, Bedingungen, wie sie in Island zu finden sind, das zudem noch über genügend Geothermie verfügt, um den Aufwand umweltfreundlich betreiben zu können. Es bleibt dabei: die einfachste und schnellste Lösung ist die konsequente und unverzügliche Umsetzung der Energiewende und ein drastischer Rückgang der Emissionen.

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Sicher ginge es um die tatsächliche Vermeidung. Technologisch und organisatorisch (bspw. via Videokonferenzen) lassen sich dienstliche Flugreisen vermeiden und wirtschaftliche Zwecke der Unternehmen (wie bspw. Rüstungsindustrie) hinterfragen, und Urlaubsflüge als zerstörerischer Luxus ebenso vermeiden und anstelle diesem Urlaub mit Bahn, Fahrrad, Handbike, Kanu ... machen. Entsprechend müsste der Rahmen geändert werden: tatsächliche Kosten müssen sich im mindesten in Flugticketpreisen widerspiegeln, besser noch eine Kontingentierung von Flügen. Das wäre sozial gerechter. Bahnfahrten müssten günstiger, niedrige Einkommen höher werden. Ein solcher Rahmen verhinderte CO2-Emissionen.



      Der "Kohleausstieg" in Deutschland ist in Wirklichkeit eine Finanzierung der Energiekonzerne. Ein Ausstieg wäre früher und womöglich günstiger machbar gewesen, so mein Eindruck bzw. Positionen der Klimabewegung. Zudem bleibt es fraglich, was für die Arbeiter*innen in der Kohleverstromung von den Milliarden übrig bleibt. Gleichzeitig wurde der Ausbau der regenerativen Energien in Deutschland verschleppt bzw. sabotiert. Die menschengemachte Klimaerhitzung und deren Folgen sind seit den 1980ern erforscht und bekannt. Politisch wurde allerdings kaum etwas dagegen unternommen. Auch heute noch wird ungenügend (bspw. nur Zubau von 1 Gigawatt an Solaranlagen) und kontraproduktiv (bspw. Wald/Forstrodung für Straßen) gehandelt. Über Einsparungen von Energie und Produktion wird nicht einmal wirklich diskutiert sondern Scheinlösungen wie der Ersatz von Verbrennern durch E-Autos. Es braucht keine*r CCS, wenn denn Klimaziele endlich mal umgesetzt würden. Allgemein gesagt, nicht unbedingt auf Sie gemünzt - hierfür müsste sich mensch allerdings einsetzen und selbst für - so gut es geht - bewegen. Hilfreich hierfür ist, eine grundsätzliche Analyse der sozialen und Herrschaftsverhältnisse: wie das System funktioniert, wer warum wie handeln kann, wer warum nicht handeln kann, wer profitiert, wer verliert ...

  • Acch so, geht es um Umweltschutz?



    Ich dachte um einen Kampf gegen die Erderhitzung.



    die Antarktis tauscht Geld nicht in Eis um.

  • Zertifikate kaufen und stilllegen (letzter Absatz) hätte nur Sinn, wenn das sehr viele Leute mit sehr, sehr vielen Euro tun würden. Das Greenpeace Magazin schreibt über The Compensators:

    >> Entsprechend hart fällt auch das Urteil von Karsten Smid aus, Klimaexperte bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace: „Das angestrebte Vereinsziel, den Konzernen die CO2-Zertifikate vor der Nase wegzuschnappen, ist nicht zu erreichen.“ Zwischen der Zahl der von Compensators aufgekauften Zertifikate und den benötigten Emissionsrechten eines einzelnen Kohlekraftwerks lägen mehrere Zehnerpotenzen. „Der Emissionshandel lässt sich so nicht beeinflussen. Notwendig ist eine Verschärfung der europäischen Klimaziele durch die Politik“, sagt Smid.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Mika:

      Karsten Smid ist mein ganz besonderer Freund.



      Da stellen sich mir die Nackenhaare auf.

  • Ablasshandel wäre es nur dann würde tatsächlich nichts weiter als ein reines Gewissen bestehen wie beim tatsächlichen Ablasshandel bei welchem der Kirche zwar Gelder zugeflossen sind aber keinerlei tatsächliche Entschädigung geleistet wurde. Es war ein reiner Selbstzweck unabhängig vom vermeintlichen Opfer einer Tat. Dies ist hier anders, bei einer Investition in zB Aufforstung besteht ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen Verursacher und "Opfer". Dh das Geld führt (mit gewisser zeitlicher Verzögerung) tatsächlich zu einem Ausgleich, bzw einer Wiedergutmachung, der Tat.