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Komödie „Sehnsucht in Sangerhausen“Wo verstreute Seelen sich verbünden

Julian Radlmaiers Komödie „Sehnsucht in Sangerhausen“ verbindet leichtfüßig Geschichte, Kapitalismuskritik und politische Fragen. Geister gibt’s auch.

In „Sehnsucht in Sangerhausen“ gehen Ursula und Neda auf Geisterjagd, hier im Kleinbus von Sung-Nam Foto: Grandfilm

In Sangerhausen spukt’s wohl. Im Ort treiben sich die Geister von Unterdrückten und Ermordeten der deutschen Geschichte herum: ein Hausmädchen, das mit 19 Jahren im Kindsbett starb; erschossene Arbeiter aus einem Streik von 1921; eine antifaschistische Partisanin aus Sarajevo. Julian Radlmaier enthüllt in seiner neuen Komödie „Sehnsucht in Sangerhausen“ jedoch erst nach und nach, wie dort die Vergangenheit und die Gegenwart zusammenhängen.

Am Höhepunkt des Films verschlägt es seine Figuren zum Kyffhäuserberg und in die Barbarossahöhle, wo der Legende nach Friedrich I. noch immer auf seine Wiederkehr und auf ein geeintes Deutschland wartet. Was didaktisch klingt, macht im Film ziemlichen Spaß – Julian Radlmaier zeigt sich erneut als Infotainer des hiesigen Autorenfilms. Sein Talent, historische Schwergewichte, Kapitalismuskritik und große Politfragen in leichtfüßige Zeichenspiele zu verwandeln, ist ihm offensichtlich nicht abhanden gekommen.

Die Hel­d*in­nen seines Films haben es in Deutschland nicht so wirklich leicht: Lotte will zur Zeit der französischen Revolution ihrem tristen Leben als Dienerin entkommen und nicht mehr länger den Nachttopf von Novalis leeren müssen, während im heutigen Sangerhausen dann Ursula, Neda und Sung-Nam versuchen, das Beste aus ihren Lebensumständen zu machen. Ursula wurde ganz jung Mutter, klemmt in einer drögen Ehe fest und schuftet hart, um die Familie durchzubringen.

Neda, eine iranische Filmemacherin im Exil, schlägt sich in Deutschland als Influencerin durch. Sung-Nam ist aus der Sowjetunion geflohen, um dem Kriegsdienst zu entgehen, kümmert sich um ein Ziehkind und jobbt als Reiseführer. Als wären die Alltagsprobleme noch nicht genug, hat Neda eine Armverletzung, Sung-Nam trägt Halskrause und Ursula hat ein gebrochenes Herz. Rassismus, Prekarität, politische Unterdrückung und verstaubte Rollenbilder haben in ihren Leben merkliche Spuren hinterlassen.

Der Film

„Sehnsucht in Sangerhausen“. Regie: Julian Radlmaier. Mit Clara Schwinning, Maral Keshavarz u.a. Deutschland 2025, 90 Min.

Die Rettung verspricht – wie schon oftmals zuvor in Julian Radlmaiers Filmen – das Bilden von Banden, in denen zumindest zeitweise ein Gefühl von Gemeinschaft alle Beteiligten weiterbringt. Die verstreuten Seelen finden sich in Sangerhausen irgendwann zusammen, ein Käffchen, und das Gewicht der Welt scheint für einen Moment von ihren Schultern zu purzeln. Der Weg zum Moment der Versöhnung ist jedoch steinig und mit Hindernissen gespickt. Julian Radlmaier lässt auf seine Figuren wildgewordene Blumentöpfe, den Herzschmerz der deutschen Romantik und nicht zuletzt seinen eigenen Formwillen hereinbrechen.

Wer die Personen seines Films kennenlernen will, muss aufmerksam bleiben bei den vielen Orten, Bildwechseln und Ideen. Manchmal ist auch ein wenig Rätselraten nötig. Etwa wenn Ursula von der Bedeutung des Buchstabens U in ihrem Leben spricht – Ulrich ist ihr Nachname, wie der des Radfahrers (der eine Briefmarke in Uruguay hat), sie war schon mal auf Usedom und zeltet an der Unstrut, und sie hat einen Mann namens Uwe Ursprung. Das U ist mysteriös und das Zeichen der Parabel, meint eine Geigerin, zu Besuch in der Stadt. Für Ursula, die das U immer eher energielos und so hängend fand, ist die Begegnung eine Liebe auf den ersten Blick.

Die Montage überwindet Zeit und Raum

Für Julian Radlmaier ist nicht nur die Begegnung der beiden ein Dreh- und Angelpunkt für ausgelassene Spiele mit dem Realen, Emotionalen und Realistischen. Während er in seinen bisherigen Filmen unmissverständlich machte, dass die Kamera sich durch das Hirngespinst eines Künstlers bewegt und die Welt auf magische, spielerische und unberechenbare Weise imitiert wird, könnte man das inszenierte Sangerhausen in seinem Film nun beinahe mit dem realweltlichen Ort verwechseln. Es gibt mehr Raum für authentische Situationen und Gespräche, für Klarheit und Einfachheit.

Natürlich sind da immer noch die Anspielungen und so manche Radlmaier-Insider, bekannte Gesichter aus früheren Filmen, auffällige Kamerabewegungen und Zooms, Interventionen mit Musikstücken aus anderen Zeiten, eine freidrehende Montage, die immer wieder Zeit und Raum überwindet, Kontraste und Pointen setzt. Diesmal gibt es als besonderen Running Gag auch einen wiederkehrenden Schlagerhit von Bianca Graf, der das filmische Sangerhausen schon vor dem ersten Bild mit einer Grundironie auflädt.

Doch insgesamt lässt es Julian Radlmaier in seinem neuen Film handfester angehen: keine Hundemenschen, keine herumschwirrenden schwarzen Kreise und Wolken, keine tagaktiven Vampire und exzentrischen Kostüme, keine konspirativen Arbeitskreise und Theoriedebatten, kein Julian Radlmaier als Schauspieler, der sich im Film selbst veräppelt. Wenn das filmische Sangerhausen zum Ende des Films hin dann doch für einen Moment übernatürlich und bühnenhaft wird, kommt das beinahe ein wenig überraschend – aber nur beinahe.

Slapstick, Beobachtungen und Mitgefühl

Der zurückhaltendere, realistischere Tonfall tut dem Film einen großen Dienst und fordert die Zusehenden heraus, genauer zu befragen, was sie da eigentlich sehen, mit welcher Wirkung: Wann gilt das Gesetz des Slapstick, wann stellt der Regisseur politische Fragen nach Sachsen-Anhalts Gegenwart, wann darf einfach beobachtet und mitgefühlt werden? Früher führte Julian Radlmaier in seinen Filmen deutlicher das Utopische vor, zeigte immer auch die Gemeinschaft von Künst­le­r*in­nen und Freund*innen, mit denen er vor und hinter der Kamera über die Welt und das System nachdachte.

Bei „Sehnsucht in Sangerhausen“ können sich utopische Gefühle schwerer entfalten, denn die Figuren des Films sind isolierter und schleifen in größerem Maße die Schwere und Banalität des Lebens mit sich herum. Gewalt spielt eine größere Rolle, Neda und Sung-Nam werden im Ort nie so recht in Ruhe gelassen, verspottet, bedrängt und beleidigt, während Ursula bei ihrer Arbeit im Café von schleimigen Typen angebaggert wird. Auch der Inhalt von Novalis’ Nachttopf bekommt eine schön unappetitliche Großaufnahme spendiert.

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Trailer „Sehnsucht in Sangerhausen“

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Radlmaiers Blick auf seine filmischen Welten ist im Kern einer der involvierten Analyse, der Ironie und der Hoffnung – in den schwächsten Momenten haarsträubend bourgeois, in den besten Momenten aktivierend, widersprüchlich und sarkastisch gegenüber den Herrschaftsverhältnissen, die sich ohne Humor noch schwerer abschütteln lassen. Der immerwährende Gleichmut und der friedliebend-ironische Ton seiner Filme könnte einen angesichts der Härte des realen Lebens auf die Palme bringen, wären die Personen vor seiner Kamera nicht so sympathisch.

Bei Julian Radlmaier ist das Charisma ein Kollektiverfolg – die Chemie zwischen den Spielenden überträgt sich, die Begeisterung des Regisseurs für sie, für die Irrungen und Wirrungen der Geschichte und Gesellschaft. Zu sehen sind stets die Schönen, die Intelligenten, die Eloquenten. Im Kern pocht eine gutherzige und rührende Hoffnung auf Solidarität und Verbundenheit über alle Unterschiede und Identitäten hinweg.

Doch, bei aller Liebe, weil hier alles eine privilegierte, grundgute Spielerei und Farce bleibt, erlaubt auch Radlmaiers neuer Film kaum, Solidarität auf eine Weise zu denken, wie sie gesellschaftlich dann oftmals stattfinden muss: jenseits von Sympathie und Sicherheit. Aber bleiben wir solidarisch. Man soll nicht jammern, da stimme ich dem Geist seines Films schon zu.

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