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Kommunalpolitik in LüneburgMachtspiele in der Heide

In Lüneburg eskaliert die Sozialdezernenten-Wahl – es geht um einen alten Skandal und das heikle Verhältnis von SPD und grüner Oberbürgermeisterin.

Hinter der historischen Rathausfassade in Lüneburg wird mit harten Bandagen gekämpft Foto: Philipp Schulze/dpa

Hannover taz | Die Wahl einer Sozialdezernentin auf kommunaler Ebene interessiert normalerweise vor allem diejenigen, die es unmittelbar betrifft. In der Stadt Lüneburg hat sie aber jetzt ungewöhnlich hohe Wellen geschlagen.

Die Kandidatin, Gabriele Scholz, war vorher Leiterin des Landesjugendamtes in Hamburg. Und von dort ist sie nicht unbedingt im Guten geschieden. Für Empörung hatte im Januar 2024 gesorgt, dass sie gleich eine ganze Reihe von Jugendverbänden vom Verfassungsschutz überprüfen lassen wollte.

Das betraf vor allem die Vereine, die in der Arbeitsgemeinschaft Interkultureller Jugendverbände (AGIJ) organisiert waren. Vordergründiger Anlass war, dass ein einzelner Verein im Kontakt mit dem „Roten Aufbau“ stand, einer kommunistischen Gruppe, die im Verfassungsschutzbericht auftaucht.

In dem Dachverband soll der Verein aber eher inaktives Mitglied gewesen sein und auch schon länger keine Zuwendungen erhalten haben. Trotzdem nahm das Landesjugendamt ihn zum Anlass, eine Liste aller Mitgliedsvereine und wohl auch von Einzelpersonen an den Verfassungsschutz zu übersenden, um prüfen zu lassen, ob sich hier weitere Extremisten fänden.

Verfassungsschutzanfragen in der Jugendförderung

Diese Art von allgemeiner Misstrauenserklärung sorgte für großen Aufruhr unter den Vereinen und Verbänden. Und eigentlich, das geht aus einer Antwort des Hamburger Senats hervor, gab es dafür auch keine Rechtsgrundlage. Eine Regelabfrage ohne konkrete Verdachtsmomente ist nicht vorgesehen. Sie sei in diesem Fall nur „ausnahmsweise“ erfolgt.

Ans Licht gekommen war dies durch hartnäckige Anfragen der Linken-Bürgerschaftsabgeordneten Olga Fritzsche. In ihren Anfragen ist außerdem von Mobbing- beziehungsweise Bossing-Vorwürfen im Landesjugendamt die Rede, von hohen Krankenständen und vakanten Stellen – diese Vorwürfe hat die Behörde allerdings zurückgewiesen.

Gabriele Scholz schied in der Folge trotzdem aus dem Dienst, und zwar nicht in gegenseitigem Einvernehmen. Bis heute ist ein arbeitsrechtliches Verfahren anhängig. Denn Scholz, die selbst Juristin ist, sieht sich immer noch im Recht.

Es sei nun einmal so, dass Verfassungsfeinde nicht gefördert werden dürfen, sagte sie auch in der Lüneburger Ratssitzung noch einmal. Im Übrigen habe sie die Jugendverbände vor Vorverurteilung und Unterwanderung schützen wollen.

Ihre Bewerbung auf eine ähnliche Position, das Amt der Ersten Beigeordneten im ostwestfälischen Minden, war auf den letzten Metern daran gescheitert, dass sie diesen Rechtsstreit verschwiegen hatte. Das, so sagen es Leute, die am Verfahren beteiligt waren, habe sie in Lüneburg klüger gemacht.

Oberbürgermeisterin stellt Ratsfrau an den Pranger

Trotzdem sorgte ihre Nominierung dort für Wirbel. Die grüne Oberbürgermeisterin Claudia ­Kalisch hatte die Personalie zunächst im kleinen Kreis verhandeln wollen, aber irgendwie gelangten der Name der Kandidatin und ihre Vorgeschichte dann doch ziemlich schnell in die Öffentlichkeit, über das Online-Portal „Lüneburg aktuell“.

Das wollte Kalisch so nicht hinnehmen und griff in der Ratssitzung zu ziemlich drastischen Maßnahmen. Sie beschuldigte öffentlich die SPD, für die Durchstechereien verantwortlich zu sein. Mehr noch, sie benannte namentlich alle Mitglieder der vertraulichen Runde und erklärte, sie habe von allen eine schriftliche Erklärung erhalten, keine Informationen weitergegeben zu haben – abgesehen von der Vertreterin der SPD.

Das war, wie sich schnell ableiten ließ, Andrea Schröder-Ehlers, die stellvertretend für ihre Fraktionsvorsitzenden an der Sitzung teilgenommen hatte. Für die ist das nun ziemlich unangenehm, weil das Ganze über das Hintergrundmagazin „Rundblick“ auch in die Landespolitik transportiert wurde – immerhin ist Schröder-Ehlers auch Vizepräsidentin des Landesrechnungshofes.

Die SPD-Ratsfraktion wurde von dieser Attacke kalt erwischt und war erst einmal perplex, dann forderte sie eine längere Sitzungsunterbrechung zur Beratung, nach der man sich gegen diese „Inszenierung“ verwahrte.

Der Kreis der Eingeweihten, sagen die Sozialdemokraten, sei zum Zeitpunkt des Erscheinens der Online-Berichte schon längst viel größer gewesen, weil sich die Kandidatin ja auch noch in den Fraktionen vorgestellt habe. Später forderte man deshalb via Lokalzeitung auch noch eine Entschuldigung. Darauf mochte sich die Bürgermeisterin bisher aber nicht einlassen.

Ihre Kritiker werfen ihr vor, es sei nicht das erste Mal, dass sie bei der Personalauswahl kein glückliches Händchen beweise. Scholz’ Vorgänger im Sozialdezernat, der ITler Florian Forster aus Bremen, hatte nach nur zwei Jahren frustriert hingeworfen.

Im Dezember hatte die neue Leiterin für den Fachbereich Kultur und Sport, Heike Horn, für Schlagzeilen gesorgt. Sie hatte sich erst ein paar Wochen zuvor aus gesundheitlichen Gründen als Bürgermeisterin von Langeoog abwählen lassen.

Nicht der erste Konflikt dieser Art

Unterstützer der Oberbürgermeisterin verweisen dagegen darauf, dass es vor allem die SPD sei, die Kalisch mit Hingabe Knüppel zwischen die Beine werfe – wohl weil sie den Verlust des Rathauses nicht verwinden kann, in dem bis 2021 dreißig Jahre lang Ulrich Mägde (SPD) das Sagen hatte.

Kalisch rechtfertigt ihr Vorgehen damit, dass es auch in früheren Bewerbungsverfahren schon Indiskretionen gegeben habe, die sowohl die Kandidaten als auch die Stadt als Arbeitgeberin beschädigten.

Wichtige andere Fraktionen stehen jedenfalls in dieser Sache treu an der Seite der Oberbürgermeisterin. Von einem „politisch unwürdigen Stil, der der SPD gar nicht gut zu Gesicht steht“, spricht CDU-Chef Wolfgang Goralczyk.

Und die neue Sozialdezernentin? Habe mit Offenheit und ihrer Persönlichkeit überzeugt, sagen übereinstimmend die Fraktionsvorsitzenden von Grünen, FDP und CDU. Man freue sich auf die Zusammenarbeit.

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