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Kommentar zur Sarrazin-Entscheidung der SPDDie verstummte Partei

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Die SPD duckt sich in Sachen Sarrazin weg - mitten im Wahlkampf

M acht die SPD gerade irgendetwas richtig? Klar, wer genau hinguckt, wird bestimmt was finden. Vielleicht einen Mitarbeiter, der in der Parteizentrale einen formidablen Kaffee kocht. Aber sonst? Na? Noch mal nachschauen. Nein. Sorry. Fehlanzeige.

Die Partei quält sich mit der Causa Sarrazin. Weil ihr das unangenehm ist, soll keiner gucken. Erst trifft sich die Parteiausschlussschiedskommission am Abend des Gründonnerstags. An Ostern guckt schließlich keiner so genau hin. Und für den Fall, dass trotzdem jemand auf die Idee kommt, nachzufragen, verordnen sich die Entscheider einen Maulkorb. Spitzenpolitiker wie der Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel oder der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit weilen zudem gerade in Urlaub. Müssen also gar nichts sagen wollen. Sehr praktisch.

Als dennoch ein Sturm der Empörung losbricht, greift die Partei erneut zu ihrem aktuellen Wundermittel: dem Maulkorb. Thilo Sarrazin darf zwar Sozialdemokrat bleiben, aber nichts mehr sagen. Zumindest nicht auf Parteiveranstaltungen. Traurig, traurig. Die SPD, ein schlechter Witz ohne Worte.

SPD fällt nichts mehr ein

Eine Begründung, warum Sarrazin aus der Partei fliegen muss, selbst auf die Gefahr hin, dass das Wähler kostet, hätte man sich gewünscht. An einer stichhaltigen Darlegung, warum er trotz alledem Sozialdemokrat sein soll, hätte man sich immerhin reiben können. Denn in der Politik zählt nur eins: das ausgesprochene Argument. Deshalb geht der Exsenator mit seinen ekelhaften Thesen weiter auf Lesetour. Doch der SPD fällt dazu lieber nichts mehr ein.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Bluesky:@gereonas.bsky.social Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de ex-Twitter: @gereonas Foto: Anke Phoebe Peters
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5 Kommentare

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  • H
    Hanna

    Die SPD hat schon lange ein ideologisch-ethisch-theoretisches Problem. Im Grunde genommen hat die SPD schon lange keine Ideale oder Visionen, deswegen empfinden viele SPD-Anhänger Sarrazin auch nicht als Fremdkörper, sondern als kleinen lustigen braunen Farbkleks.

    Tatsächlich ist Sarrazin ein Topproblem, weil er für Zumachen, Abschieben, Vorurteile, Stammtisch und Entgleisung steht. Auch seine Ausfälle gegen Arme und Arbeitslose waren nahe der Geisteskrankheit und hätten schon sanktioniert werden müssen.

    Der Vorteil an Sarrazin wird aber übersehen: Jetzt merkt es wirklich noch der verschlafenste - die SPD ist über ihren Zenit. Sie kann wohl nur durch die Grünen (evtl. Linke) überhaupt noch eine Funktion haben.

  • H
    HilmarHirnschrodt

    Wenn Sarrazin nicht aus der SPD ausgeschlossen wird, dann darf wohl auch in Zukunft niemand mehr aus der SPD ausgeschlossen werden, den noch mehr Schaden als Herr Sarrazin mit seinem Buch und seiner Tour durch Deutschland kann man kaum noch anrichten. Dieser Sarrazin-Nichtauschluss zeigt aber sehr deutlich, warum die SPD immer mehr Wähler verliert. Die SPD hat einfach jede Glaubwürdigkeit verloren und verrät schon wieder die eigenene (inzwischen wohl schon Schein)Identität wenns - wie jetzt im Fall Sarrazin - darauf ankommen würde! Nicht Deutschland schafft sich ab; die SPD schafft sich mit Sarrazin ab.

  • JK
    Joachim Kappert

    Früher wurden Genossen ausgeschlossen, weil sie gegen den NATO-Doppelbeschluss waren und das 'Bündnis' gefährdeten, inzwischen akzeptiert die SPD Thesen wie 'Akademikerinnengebärpauschalen' um frau wieder an den Herd zu bringen und man kann wieder den völkischen Beobachter spielen, denn Stammtischpolitik ist ja angesagt in Europa. Dass selbst Eichmann bei seinem Prozess 'den Juden nichts Böses' wollte, scheint als Argument bei der SPD Einzug gehalten zu haben. Das war's dann wohl - von der ehemaligen Sozialdemokratischen Partei.

  • RF
    Rosemarie Finke-Thiele

    Ich komme aus einer Berliner Familie mit einer langen sozialdemokratischen Tradition.

    Spätestens jetzt bin ich sehr froh, dass ich nicht in die SPD eingetreten bin ( und auch weiterhin parteilos bleibe).

     

    Spätestens jetzt müssten alle wahrhaftigen Sozialdemokraten aus dieser Partei austreten.

    Kennen die heutigen Sozialdemokraten ihre Parteigeschichte und ihr Parteiprogramm nicht ?

    Die "Thesen" des Herrn Sarrazin sind jedenfalls nicht sozialdemokratisch. Und jetzt will man ihn also ein wenigstens ein bisschen ausschließen ...

    Es ist ein Trauerspiel!

  • JK
    Jürgen Kluzik

    Schon der Titel des Buches - "Deutschland schafft sich ab" - suggeriert das Vorhandensein einer ominösen "Volksgemeinschaft", die sich durch gemeinsames Blut und gemeinsamen Boden vernetzt und verbündet. Also durch Inzucht. Mir aber steht mein Neffe, der ein "Mischling" ist, weil seine Mutter aus einem exotischen Land stammt, näher als ein Bayer, Sachse, Thüringer, Berliner oder Hesse, der zufällig im Haus nebenan wohnt.