Kommentar zur „Pille danach“: Deutschland wird erwachsen
Endlich gibt es auch in Deutschland die „Pille danach“ rezeptfrei. Aber wie immer geht Fortschritt nicht ohne konservativ moralisches Getöse.
B undesgesundheitsminister Gröhe von der CDU musste einlenken. Damit werden nervöse Auftritte vor dem Hausarzt, das Gefühl von Demütigung und Unmündigkeit Vergangenheit sein: „Die Schlacht ist geschlagen“ (Karl Lauterbach, SPD), die „Pille danach“ wird es bald schon rezeptfrei in der Apotheke geben. Das ist nicht nur für die jüngeren Leute dieser Republik eine mehr als gute Nachricht. Es ist für diese Gesellschaft ein weiterer Schritt zur Freiheit, zur Selbstbestimmung, zum freien Umgang mit dem eigenen Körper.
Natürlich kommt dieser Beschluss nicht ohne Nebengeräusche daher. Zum einen fragt man sich, warum es erst Weisung aus Brüssel (via EU-Arzneimittelausschuss) brauchte, um diesen einfach nur vernünftigen Beschluss seitens der Bundesregierung in die Gänge zu leiten. Zum anderen fragt man sich, was CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn reitet, im gleichen Zug vor „Missbrauch durch Minderjährige“ zu warnen.
Aber ja, ohne konservativ moralisches Getöse kommt kein noch so kleiner Fortschritt aus, wie man ja auch bei der sogenannten Frauenquote sehen kann. Dementsprechend sind auch Forderungen nach einer „strukturierten Beratung“ (sie wird in Apotheken normalerweise ohnehin erfolgen) und heimlicher Rezeptpflicht wegen einer möglichen Kostenerstattung durch die Krankenkassen zu werten. Und auch die Ärzte haben an der von ihnen durchgeführten Zwangsberatung verdient. Einige werden sich auch daran gefreut haben, Frauen einmal mehr als unmüdige Wesen behandeln und also belehren zu können.
Dass die „Pille danach“ bei den betreffenden Frauen einen ziemlichen Hormonschock verursacht, ist natürlich nicht abzustreiten. Aber diese Pille wird Frau ja auch kaum spaßeshalber schlucken – sondern eher aus einer gewissen, rein privaten Notlage heraus. Nebenbei bemerkt, ist der Beschluss auch ein Schritt zur Emanzipation. Denn zur Apotheke kann jetzt auch der betroffene Mann gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen