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Kommentar zur „Pille danach“Deutschland wird erwachsen

René Hamann
Kommentar von René Hamann

Endlich gibt es auch in Deutschland die „Pille danach“ rezeptfrei. Aber wie immer geht Fortschritt nicht ohne konservativ moralisches Getöse.

Liberalisierung dauert in Deutschland halt manchmal ein wenig länger: Auch die erste „Pille davor“, die 1961 auf den Markt kam, wurde anfangs nur verheirateten Frauen verschrieben. Bild: ap

B undesgesundheitsminister Gröhe von der CDU musste einlenken. Damit werden nervöse Auftritte vor dem Hausarzt, das Gefühl von Demütigung und Unmündigkeit Vergangenheit sein: „Die Schlacht ist geschlagen“ (Karl Lauterbach, SPD), die „Pille danach“ wird es bald schon rezeptfrei in der Apotheke geben. Das ist nicht nur für die jüngeren Leute dieser Republik eine mehr als gute Nachricht. Es ist für diese Gesellschaft ein weiterer Schritt zur Freiheit, zur Selbstbestimmung, zum freien Umgang mit dem eigenen Körper.

Natürlich kommt dieser Beschluss nicht ohne Nebengeräusche daher. Zum einen fragt man sich, warum es erst Weisung aus Brüssel (via EU-Arzneimittelausschuss) brauchte, um diesen einfach nur vernünftigen Beschluss seitens der Bundesregierung in die Gänge zu leiten. Zum anderen fragt man sich, was CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn reitet, im gleichen Zug vor „Missbrauch durch Minderjährige“ zu warnen.

Aber ja, ohne konservativ moralisches Getöse kommt kein noch so kleiner Fortschritt aus, wie man ja auch bei der sogenannten Frauenquote sehen kann. Dementsprechend sind auch Forderungen nach einer „strukturierten Beratung“ (sie wird in Apotheken normalerweise ohnehin erfolgen) und heimlicher Rezeptpflicht wegen einer möglichen Kostenerstattung durch die Krankenkassen zu werten. Und auch die Ärzte haben an der von ihnen durchgeführten Zwangsberatung verdient. Einige werden sich auch daran gefreut haben, Frauen einmal mehr als unmüdige Wesen behandeln und also belehren zu können.

Dass die „Pille danach“ bei den betreffenden Frauen einen ziemlichen Hormonschock verursacht, ist natürlich nicht abzustreiten. Aber diese Pille wird Frau ja auch kaum spaßeshalber schlucken – sondern eher aus einer gewissen, rein privaten Notlage heraus. Nebenbei bemerkt, ist der Beschluss auch ein Schritt zur Emanzipation. Denn zur Apotheke kann jetzt auch der betroffene Mann gehen.

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René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
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6 Kommentare

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  • Als Frauenarzt kann ich mich nur wundern, mit welcher Ahnungslosigkeit von der Sache in den letzten Jahren die Frage der Rezeptfreiheit für die "Pille danach" von Kommentatorinnen, selbsternannten Expertinnen, Politikerinnen und anderen Meinungsmacherinnen diskutiert wurde und wird. Bar jeder Sachkenntnis werden hier Schlagzeilen wie "Rezeptpflicht macht Ärzte reicher" oder Schlagworte wie "das Gefühl von Demütigung und Unmündigkeit", "Selbstbestimmung der Frau", "Emanzipation" dazu benutzt, um die Freiheit von der Rezeptpflicht zu erreichen. Dass sich hier allen voran die vereinigten Linken dieser Republik einschließlich sämtlicher Medien dazu haben benutzen lassen, der Pharmaindustrie neue Umsatzsteigerungen von 1000-1500% sozusagen frei Haus und ohne Werbeausgaben zu liefern, ist für mich einer der größten Witze der ganzen Geschichte. (siehe HRA Pharma, auf deren Website hier der Erfolg des Lobbyismus gefeiert wird: http://www.hra-pharma.com/ ). Nun ist einer der größten Märkte in der EU endlich von seiner hemmenden Restriktion der Rezeptpflicht befreit. In der Schweiz hat sich der Umsatz mit der "alten" LNG Pille nach Freigabe mehr als verzwölffacht (vor Freigabe 2002: lächerliche 8000 Packungen, nach Freigabe mehr als 100000 Packungen jährlich). Weniger Abtreibungen oder ungewollte Schwangerschaften hat dieser Umsatzschub allerdings nicht bewirkt wie in allen anderen Ländern mit Freigabe auch. Als Frauenarzt weiß ich, dass die Verordnung einer "Pille danach" nur in sehr seltenen Fällen wirklich sinnvoll ist, und diese Entscheidung soll nun in Zukunft der Apotheker treffen, der das Medikament verkauft? Das ist so, als würde man vom Metzger erwarten, dass er einen beim versuchten Kauf einer Wurst davon überzeugen soll, dass eine vegetarische Ernährung doch viel gesünder sei. Selten so gelacht! Aber in Zukunft kann frau sich ja endlich rezeptfrei die Pille danach für 17-35 € kaufen und einwerfen. In 9 von 10 Fällen völlig sinnlos!

  • Wo die Emanzipation liegen soll, wenn der Mann zur Apotheke geht, ist nicht klar. Oder meinen Sie, dass der emanzipierte Mann der Frau die Pille danach heimlich unterjubeln soll - als Emanzipation dazu, dass die Frau die Pille heimlich weglassen kann? Das Risiko ist dann doch vielmehr, dass dann gar keine Aufklärung mehr über die Risiken erfolgt.

    Die Lösung ist sicher pragmatisch - doch warum sind dann andere Medikamente noch rezeptpflichtig. Ob Antibiotika oder Viagra - der Gang zum Arzt oder der Ärztin ist doch immer lästig und kostet ggf. wertvolle Zeit. Doch wird das nicht diskutiert. Im Endeffekt gilt hier auch, dass allgemeine Regeln zurückstehen müssen, wenn es um Fraueninteressen geht. Das gilt z.B. auch bei der Quote wo das Diskriminierungsverbot plötzlich aufgehoben werden soll bzw. nur dann gelten soll, wenn Frauen davon profitieren.

    So gibt es die absurde Situation, dass die Pille davor, die wesentlich wenige Hormone enthält, rezeptpflichtig bleibt aber die Pille danach aus politischen Gründen rezeptfrei wird. Das ähnelt den Verjährungsregeln in der Schweiz - dort wurde die Verjährung bei Vergewaltigung abgeschafft - bei Mord jedoch nicht. Wer also einen Mann umbringt und eine Frau vergewaltigt kann 30 Jahre danach nur noch wegen der Vergewaltigung belangt werden.

    • @Velofisch:

      Kein Grund zu Beschuldigung und Paranoia. Sie sind über denn Begriff „Emanzipation“ verärgert, da die rezeptfreie „Pille danach“ der Entscheidung über eine Schwangerschaft, nicht dem Mann entgegen kommt, sondern weiter der Frau zugesprochen wird. Diese Ungleichgewicht empfinde ich ebenso als unemanzipiert. Dies ist im Artikel aber gar nicht der Punkt. Hier geht es um die Verteilung der Verantwortung der Verhütung gegenüber. Das diese nur einer der beteiligten Personen unterliegt ist mehr als unfair, aber aufgrund der pharmazeutischen Möglichkeiten heutzutage kaum anders möglich.

      Das Verhütung noch primär Frauensache ist, nämlich für beide Seiten kein Vorteil. Das eigentliche Problem ist, das es keine gleichwertige alternative der hormonellen Verhütung für Männer gibt. Wäre dem so, würde beiden Betrachtungsweisen Abhilfe verschaffen. Mann und Faun könnten beide über seine Zeugungsfähigkeit entscheiden und beide müssten sich auf der anderen Seite der diesbezüglichen Verantwortung stellen.

      Vergessen sie bitte nicht, dass die Einnahme und das Abschaffungsprozess der „Pille danach“ äußerst erniedrigend ist. Ängste, Schamgefühl und körperliche Belastung sind daran gekoppelt. Der versuch diesem Umstand ein Stück weit entgegen zu kommen ist tatsächlich notwendig, aber leider löst es nicht das eigentliche Problem.

      Ärgern sie sich also lieber über die männerauslassende medizinische Forschung auf diesem Gebiet, anstatt der Frauenseite ihre Situationsverbesserung zu missgönnen.

      • @Nina Gonzalez:

        *Entschuldigen sie die unmöglich Schreibfehler, ich bin in eile.

    • @Velofisch:

      Ganz grundsätzlich gehts bei der Rezeptpflicht um Gefährlichkeit des Medikaments.

       

      Schlucken Sie z.B. ne ganze Packung Viagra, sterben sie an einem Herzklabaster.

       

      Bei der Pille danach, bei der eine Packung auch nur eine Pille hat, passiert ihnen gar nichts, nicht mal, wenn Sie sie als Mann schlucken;-)

       

      Dass es bei der Rezeptpflicht auch einige Merkwürdigkeiten gibt, will ich dabei nicht abstreiten.

  • Sauber!