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Kommentar zur Lage in ÄgyptenRückkehr zu alten Verhältnissen

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Die ägyptischen Sicherheitskräfte haben brachial jeden Versuch einer politischen Einigung zunichtegemacht. So sieht eine Konterrevolution aus.

Anhängerin der Muslimbruderschaft in Kairo. Bild: reuters

A ls „Massaker“ hat die Muslimbruderschaft die Räumung von Protestlagern des gestürzten ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi bezeichnet. Das scheint eine zutreffende Beschreibung der Ereignisse zu sein. Wie sonst soll man es nennen, wenn friedliche Demonstranten mit gepanzerten Fahrzeugen angegriffen werden, wenn auf sie scharf geschossen wird und es zahlreiche Tote und Verletzte gibt?

In Kairo sind aber nicht nur Menschen gestorben, sondern auch alle Hoffnungen darauf, dass die Streitkräfte tatsächlich bereit sind, Ägypten in die Demokratie zurückzuführen. Wer so brutal gegen die Opposition im eigenen Land vorgeht, wird allenfalls ein Marionettenregime dulden, aber keine unabhängige Regierung. Offenbar hat das auch Friedensnobelpreisträger Mohamed El Baradei erkannt. Er trat als Vizepräsident der Übergangsregierung zurück, weil er nicht länger die „Verantwortung für Entscheidungen“ übernehmen wolle, mit denen er nicht einverstanden sei.

Nicht weiter überraschend ist es, dass die behaupten Opferzahlen der Machthaber und der Muslimbrüder stark voneinander abweichen und dass beide Seiten sehr unterschiedliche Berichte liefern. Das pflegt in solchen Fällen so zu sein. Aber selbst wenn die offizielle Lesart stimmt, derzufolge Demonstranten bewaffnet waren und geschossen haben: Dann ändert das nichts daran, dass von den Protestlagern bisher keine Gewalt ausgegangen war.

Und es ändert auch und vor allem nichts daran, dass die Sicherheitskräfte – wenn man sie denn so nennen möchte – jeden Versuch einer politischen Einigung zunichte gemacht haben.

Seit Jahrzehnten hat das ägyptische Militär die Fäden gezogen, an denen die zivilen Politiker des Landes hingen. Es sah so aus, als ob der arabische Frühling dem ein Ende bereiten würde. Jetzt zeichnet sich eine Rückkehr zu den alten Verhältnissen ab. Man kann auch sagen: In Ägypten ist derzeit zu besichtigen, wie eine Konterrevolution aussieht.

Es gibt wahrlich gute Gründe, an der demokratischen Geisteshaltung vieler Muslimbrüder zu zweifeln. Und es gab gute Gründe für viele Ägypter, von der Regierung Mursi enttäuscht zu sein. Aber Menschenrechte und demokratische Freiheiten gelten nicht nur für Sympathieträger. Sondern für alle. Sonst gelten sie gar nicht.

Vor 40 Jahren fand der Putsch gegen den chilenischen Präsidenten Salvador Allende statt, Tausende wurden damals gefoltert und ermordet. Vor fast einem Vierteljahrhundert wurden chinesische Demonstranten auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking niedergemetzelt. Beide Ereignisse haben zu erbitterten, lang anhaltenden Protesten von Demokraten weltweit geführt. Wer es ernst meint mit dem Beharren auf Freiheit und Grundrechten, darf jetzt nicht deshalb schweigen, weil er oder sie die Muslimbrüder politisch ablehnt. Das ist eine Frage der Moral.

Aber die Verurteilung der Ereignisse in Kairo ist darüber hinaus eine Frage der politischen Klugheit. Wenn dieses Massaker achselzuckend hingenommen wird, gibt es für Islamisten überhaupt keine Argumente mehr, sich auf demokratische Prozesse einzulassen. Schließlich haben sie damit genug schlechte Erfahrungen gemacht: In Algerien, in den Palästinensergebieten – und nun in Ägypten. Ohne die Solidarität von Leuten, die mit den Muslimbrüdern politisch nichts gemein haben, muss jetzt jeder Islamist das Gefühl haben, der Weg in den Untergrund sei das einzige Mittel der Wahl. Das zu verhindern, liegt im Interesse der ganzen Welt.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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11 Kommentare

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  • HH
    Hartmut Hannaske

    Auch zu Bettina Gaus Ansichten im ARD-Presseclub: Wie gut es für ein Land und die Welt ist, radikale Fanatiker in eine demokratische Regierung einzubinden, statt sie unabhängig von ihrer Anhängerzahl zu verbieten, zu verfolgen und an der Macht zu putschen, dass hat die deutsche Geschichte mit Weltkrieg und Holocaust eindrucksvoll bewiesen. Aber warum aus der deutschen Geschichte lernen oder aus der jüngsten mit weltweit Millionen Opfern des Islamismus. Eine religiöse Untermenschenideologie ist genauso wie eine ideogische mit allen Mitteln zu bekämpfen, anstatt sie in unverantwortlicher Weise zu verharmlosen.

  • Mich überzeugt Frau Gaus' Argumentation nicht. Präsident Mursi und seine Anhänger haben ihre und ihres Landes historische Chance verspielt. Ein Präsident, der wie Mursi sich per Dekret als über dem Recht stehend setzt ist kein Demokrat. Herr Mursi hat sich an seiner Macht berauscht, den Bogen rechtlich und politisch überspannt und die Macht damit verloren.

  • schwache argumentation, keine ahnung: gaus raus.

    • Bernd Pickert , Autor , Auslandsredakteur
      @paulibahn:

      Wie überzeugend doch Ihre Argumentation ist!

      • @Bernd Pickert:

        ich werde aber auch nicht dafür bezahlt ;-)

  • A
    Ada

    die argumentation erschließt sich mir nicht, wenn Fau gauss die Islamisten nicht für das sieht, was sie sind, nämlich eine Spielart des faschismus, dann empfehle ich ihr als frau etwas teinehmende Beobachtung bei den Taliban oder so, um deren humanistische demokratiefähigkeit zu bestaunen. Danke für den aktiven widerstand gegen den faschismus ans ägytische militär. hätte deutschland nur 1933 solch mutige Soldaten gehabt ...

  • Gut kommentiert. Jedoch meine ich, dass die Ägypter noch keine Revolution, und daher auch keine Konterrevolution, erleben konnten. Auch keine Demokratie, zu der sie also nicht zurückkehren können. Der Weg zu ihr ist, wäre, noch vor ihnen.

     

     

     

    Die ägyptische Monarchie hat ihre Machtzügel 1952 an das Militär abgegeben, nachdem sie sie von der Kolonialmacht 1922 erhalten hat. Seitdem hat sich nichts von Bedeutung geändert, die Armee herrscht und toleriert den Anschein einer Demokratie, solange es beim Anschein bleibt.

     

     

     

    Sie herrscht auch über die Ausrutscher, die die Macht der Mächtigen im Hintergrund schwächen könnten, wie zuletzt die des Mursis, der seine Rolle überschätzt hat.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Die Profitler, der westlichen WETTBEWERBSBEDINGTEN Welt- und "Werteordnung" im "Recht des Stärkeren", haben kein Interesse an einer geordneten Kommunikation, denn dann bestände die Gefahr der richtigen Fragen und Forderungen an das "Demokratie-Verständnis" der Diktatur des Kapitals.

     

     

     

    Also schreiben sie keinen Blödsinn von wegen KONTERREVOLUTION!!!

  • Islamisten können keine Demokratie sondern nur Scharia!

     

    Somit hat Sicherheitsapparat richtig reagiert!

     

     

     

    Den Islamfaschisten darf kein Nährboden gegeben werden!

    • D
      DP
      @cue :

      Sie meinen sicher "Fußbreit", nicht "Nährboden" - Nährboden wird den Islamisten tatsächlich gerade gegeben.

       

      Auffällig ist, dass mehrere Kommentatoren hier die Demokratieunfähigkeit der Muslimbrüder betonen, den "Sicherheitsapparat" aber als eine neutrale Größe, ja gradezu als Korrektiv wahrzunehmen scheinen.

       

      CU und ADA: Ihre Argumentation ist im Kern nicht etwa "hätte deutschland nur 1933 solch mutige Soldaten gehabt ..." sondern "gut dass die Nationalsozialisten die Machtergreifung der Kommunisten verhindert haben".

       

      Den liberalen Ägyptern bleibt nur zu hoffen, dass Militär und Muslimbrüder sich irgendwann zum Ausgleich auf eine semi-liberale Regierung einlassen. Im Moment ist jedoch das Bild einer Konterrevolution (Gaus) weit treffender als der immer wiederkehrende Faschismusvergleich.

  • PH
    Peter Haller

    Sehr kluger Kommentar von Frau Gaus !

     

    An dem was dort momentan abgeht, kann man auch erkennen, wie unnütz die Bewertungen aus dem Amiland inzwischen geworden sind. Da hat doch noch vor ein paar Tagen ein US-Minister erklärt, dass das Militär die Demokratie nach Ägypten zurückgebracht habe !!

     

    Kann ja sein, dass für die Amis Demokratie inzwischen so aussieht, für mich ist dies alles andere, nur keine Demokratie !