Kommentar zur Anklage NSU: Der Staat zeigt Härte
Auch eine maximal scharfe Anklage gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Zschäpe kann nicht vergessen machen, wie blind der Staat auf dem rechten Auge war.
E in Jahr nach Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) hat der Generalbundesanwalt in Karlsruhe nun Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer angeklagt. Er erhebt den maximalen Vorwurf gegen die 37-jährige Zschäpe: Sie soll nicht nur Mitglied der Terrorgruppe NSU, sondern auch Mittäterin bei deren Morden gewesen sein.
Das ist ein Zeichen: Die Neonazi-Frau soll die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen und muss mit lebenslanger Haft rechnen. Damit sie am Ende auch als Mörderin verurteilt wird, werden die Ankläger nachweisen müssen, dass es einen gemeinsamen Tatplan des NSU-Trios gab. Ob das gelingt, muss der wohl im Frühjahr 2013 beginnende Prozess zeigen.
Aber schon jetzt ist klar: Obwohl sich hunderte Polizisten seit dem 4. November 2011 an die Ermittlungen machten, gibt es immer noch blinde Flecken in Bezug auf den NSU. 13 Jahre im Untergrund, 10 Morde, 2 Bombenanschläge, 15 Raubüberfälle: All das heute lückenlos aufzuklären, ist nicht einfach.
Offene Fragen
Viele Fragen sind nach wie vor offen: Warum wurden gerade diese neun Migranten und die Heilbronner Polizistin als Opfer ausgewählt? Gab es weitere Taten oder Pläne? Sollten womöglich auch Politiker ermordet oder Anschläge auf islamische und jüdische Einrichtungen verübt werden? Gibt es weitere Helfer der Terroristen in den Städten, in denen der NSU mordete, die bisher noch nicht erkannt wurden? Gab es eine konkrete Blaupause oder Vorbilder für die Taten?
Noch weniger können die Ermittler von Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt das nach wie vor schier unglaubliche Versagen der Sicherheitsbehörden seit 1998 wettmachen.
Auch eine maximal scharfe Anklage gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Zschäpe kann nicht vergessen machen, wie blind der Staat auf dem rechten Auge war. Über die Konsequenzen aus dem Debakel werden Parlamente und Öffentlichkeit noch Jahre reden müssen.
Das komplette Netzwerk des NSU – vor allem das Innenleben der Zwickauer Zelle – wird aber wohl nur dann vollständig aufgedeckt werden können, wenn Beate Zschäpe ihr Schweigen bricht. Die Opferbeauftragte der Bundesregierung, Barbara John, hat die Rechtsextreme vor wenigen Tagen fast schon angefleht, wenn sie auch nur die kleinste Faser Herz habe, müsse sie reden. Ein hilfloser Appell. Wünschenswert wäre es trotzdem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“